Martina Schattkowsky (Hg.): Frauen und Reformation. Handlungsfelder - Rollenmuster - Engagement (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 55), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2016, 354 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-86583-927-5, EUR 66,00
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Bei der ungeheuren Menge an Literatur, die im Umfeld des Reformationsjubiläums 2017 produziert worden ist, fällt das weitgehende Fehlen frauen- und geschlechtergeschichtlicher Arbeiten umso mehr auf. Und das, obwohl der Zusammenhang von "Frauen und Reformation" in der Forschung seit langem kontrovers diskutiert wird, wie Martina Schattkowsky in ihrer Einleitung zu dem vorliegenden Sammelband ausführt. Zum einen wird nach dem Zusammenhang zwischen dem (in Ansätzen durchaus erforschten) Engagement von Frauen für oder auch gegen die Reformation und den von der Reformation propagierten Normen in Bezug auf Ehe und Familie gefragt. Zum anderen ist nach wie vor umstritten, ob die Reformation für die Situation der Frauen eine Verbesserung bedeutet habe, indem zum Beispiel ihre Handlungsmöglichkeiten ausgeweitet worden seien und ihre Position durch die Ehe als Ideal eine Aufwertung erfahren habe. Anne Conrad fasst die wesentlichen Positionen zu diesen Fragen in ihrem einleitenden Beitrag konzis zusammen und zeigt so, dass die Forschung trotz mancher Detailforschungen auf diesem Gebiet weiterhin mehr Fragen als Antworten bietet.
Umso mehr ist der vorliegende Sammelband zu begrüßen. Er geht auf eine Tagung zurück, die zur Vorbereitung der Ausstellung "eine STARKE FRAUENgeschichte - 500 Jahre Reformation" (Rochlitz 2014) im Oktober 2013 auf Schloss Rochlitz stattgefunden hat. Zwei der in dem Sammelband abgedruckten Beiträge sind bereits in ähnlicher Form in dem Rochlitzer Ausstellungskatalog erschienen, drei Beiträge wurden hingegen eigens für den Sammelband eingeworben.
Bewusst geht es nicht um eine Aneinanderreihung biografischer Skizzen von Frauen im Sinne einer "Heldinnengeschichte", intendiert ist vielmehr eine problemorientierte Auseinandersetzung mit Handlungsfeldern und Rollenmustern. Das gilt durchaus auch für den ersten Teil über "Protagonistinnen der Reformation". Angesichts des Tagungsortes Schloss Rochlitz, dem Witwensitz der Herzogin Elisabeth von Sachsen, wo sie 1537 die Reformation einführte, darf ein Beitrag über Herzogin Elisabeth natürlich nicht fehlen. Jens Klingner skizziert die Bedeutung und die Editionsgeschichte des Briefwechsels Elisabeths, der zweifellos eine der herausragenden Fürstinnenkorrespondenzen der Zeit darstellt. Dabei weist er auch darauf hin, dass durchaus noch einige Fürstinnenkorrespondenzen in den Archiven der Aufarbeitung harren, die weitere Erkenntnisse zur Haltung von Fürstinnen gegenüber der Reformation erwarten lassen. Schwieriger ist die Quellenlage in Bezug auf niederadlige Frauen, wie Martin Arnold in seinem Beitrag ausführt. Auch deshalb ist deren Positionierung zur Reformation noch kaum erforscht. Arnold macht deutlich, dass sich dies durchaus lohnt und dass zum Beispiel das Wirken niederadliger Witwen als Patronatsherrinnen auch Chancen bietet, dieses Handeln zu erforschen.
Die bekannteste niederadlige Frau der Reformationszeit ist sicherlich Katharina von Bora. So mag es zunächst erstaunen, wenn Gabriele Jancke ausführt, dass kaum Material zu einer biografischen Rekonstruktion Katharinas vorhanden sei, dass es vielmehr fast von Anfang an weniger um Katharina selbst gegangen sei, sondern darum, wofür sie stand. In diese Rezeptionsgeschichte führt Jancke anhand von drei biografischen Darstellungen sowie Beispielen aus der sogenannten Pfarrhausliteratur ein. Sie analysiert die ausgewählten Beispiele hinsichtlich des ihnen zugrundeliegenden binären Genderkonzepts, aber auch in Bezug auf die ab dem 19. Jahrhundert wichtiger werdenden nationalen Komponenten.
In ihrem Beitrag über Frauen im Bauernkrieg fragt Franziska Neumann danach, ob eine geschlechtergeschichtliche Untersuchung des Bauernkriegs überhaupt sinnvoll sei, eine Frage, die sie letztlich mit einigen Einschränkungen bejaht. Dabei dürfe es freilich nicht primär um die Frage nach der quantitativen Beteiligung der Frauen am Geschehenskomplex Bauernkrieg gehen - diese sei sicher eher gering zu veranschlagen -, sondern darum, den männlichen Blick auf die Quellen herauszuarbeiten.
Auch wenn der zweite Teil "Lebenswelten und Rollenbilder" einen stärker strukturellen Zugang zum Thema verspricht, geht es doch auch hier letztlich meist um einzelne Protagonistinnen, wobei zumeist die bekannten "Heldinnen" im Mittelpunkt stehen. So bieten diese Beiträge eher eine willkommene Zusammenfassung durchaus bekannter Sachverhalte, als dass sie wirklich neue Erkenntnisse oder gar neues Material ausbreiten. Dorothee Kommer fasst zentrale Ergebnisse ihrer 2013 publizierten Studie zu reformatorischen Flugschriften von Frauen zusammen und führt aus, dass die Frauen alle aus persönlicher Betroffenheit veranlasst wurden, sich mit ihren Anliegen an eine breitere Öffentlichkeit zu wenden. Auch wenn es sich (mit Ausnahme Katharina Zells) durchweg um sozial höhergestellte Frauen handelte, überschritten sie damit doch die Grenze des üblichen weiblichen Rollenmodells. Die bereits von Kommer behandelte Argula von Grumbach steht auch im Zentrum des Beitrags von Sarina Jaeger, die ihre publizistische Tätigkeit mit der von Caritas Pirckheimer, also der bekanntesten Publizistin auf katholischer Seite, vergleicht. Jaeger arbeitet heraus, dass den beiden so unterschiedlichen Frauen das unbedingte Festhalten an der eigenen Position gemeinsam ist. Erstaunlich ist, dass sie sich darüber wundert, dass Pirckheimer in einem geringeren Maß als Grumbach ihre Argumentation mit Bibelzitaten untermauert, obwohl "man aufgrund ihres Klosterhintergrundes eine stärkere Argumentation auf der Basis der Bibel erwartet hätte" (225). Der stärkere Bezug auf die Bibel bei Grumbach ist als Ausfluss des reformatorischen "sola sciptura" durchaus zu erwarten, zumal die Bibel die einzige Autorität war, auf die sie sich stützen konnte, während Pirckheimer ihre Amtsautorität als Äbtissin und die Tradition auf ihrer Seite wusste.
Die Studie Stefan Dornheims über die ersten Frauen im Pfarrhaus nimmt eine für die weitere Geschichte der protestantischen Kirchen zentrale Gruppe weiblicher Protagonistinnen in den Blick, indem er bekannte Vertreterinnen wie Wibrandis Rosenblatt und Katharina Zell vorstellt, gleichzeitig aber deutlich macht, dass es sich bei ihnen eher um Ausnahmen handelte. Die Heirat mit einem Pfarrer bedeutete in den Anfangsjahren der Reformation ein erhebliches Risiko für die Frauen, da die Pfarrfrau zunächst vielfach angefeindet wurde und mitnichten das hohe Sozialprestige besaß, wie es sich dann im 17. Jahrhundert entwickelte. Die Pfarrfrauen kamen deshalb zunächst meist aus bäuerlichen und unterbäuerlichen Schichten, da für bürgerliche Frauen die Heirat mit einem Geistlichen keine attraktive Option darstellte.
Den Fürstinnen und ihren Bibliotheken widmet sich der Beitrag von Benjamin Müsegades. Dabei weist er auf die erheblichen methodischen Probleme hin, die sich bei der Auswertung von Bibliothekskatalogen stellen. Insbesondere ist es kaum möglich, Informationen über die tatsächlichen Lektüregewohnheiten der Bibliotheksbesitzer und -besitzerinnen zu erhalten. Immerhin ist auffallend, dass die Bibliotheken von Fürstinnen der Reformationszeit mit ihrem Schwerpunkt auf religiöser Literatur ganz andere Prioritäten setzten als die vor allem höfische Literatur beinhaltenden Bibliotheken von Fürstinnen des 15. Jahrhunderts.
Der dritte Teil gilt mit der Frage "Nonne vs. Ehefrau?" einer klassischen Fragestellung der Forschungen zum Zusammenhang von Frauen und Reformation. Während im Mittelalter die Nonne das Ideal weiblicher Existenz darstellte, propagierten Luther und andere Reformatoren das Leben als Ehefrau als die erstrebenswerte Lebensform für Frauen. Den damit verbundenen Konflikt erfuhren vor allem die Nonnen, die zu Beginn der Reformationszeit im Kloster lebten. Die bekannte Flucht Katharinas von Bora und der Kampf Caritas Pirckheimers für den Fortbestand ihres Klosters täuschen darüber hinweg, dass dieser Themenkomplex weitgehend unerforscht ist. Umso wertvoller ist die Studie Sabine Zinsmeyers, die in ihrem Beitrag Ergebnisse ihrer Arbeit zu sächsischen Frauenklöstern der Reformationszeit vorstellt. Dabei geraten auch die verschiedenen Varianten der Beendigung des Klosterlebens in den Blick: die Flucht aus dem Kloster, solange dies noch verboten oder rechtlich ungeklärt war, aber auch die Auflösung der Klöster im Rahmen einer obrigkeitlichen Einführung der Reformation, die die bisherigen Nonnen mit einer ungewissen Zukunft konfrontierte, und dies zunächst unabhängig von ihrer eigenen Haltung. Vor solche Fragen konnten auch Nonnen fürstlicher Herkunft gestellt werden, die Jasmin Irmgard Hoven-Hacker in ihrem Beitrag in den Blick nimmt. Bei den von ihr vorgestellten Beispielen ist freilich kaum eine aktive Rolle der jeweiligen Frauen erkennbar, vielfach wurde ihre klösterliche Existenz sogar ausdrücklich gegen ihren Willen beendet. Deutlich wird in jedem Fall die zentrale Rolle der Familie, ohne deren Unterstützung die Frauen keine Chance hatten, ihr Leben außerhalb des Klosters auch nur einigermaßen standesgemäß zu gestalten.
Eher einen Fremdkörper in diesem Teil bilden hingegen die Beiträge von Ralf Frassek über das frühe evangelische Eherecht im sächsischen Raum und von Anke Fröhlich-Schauseil über Lucas Cranachs Caritas-Darstellungen.
Insgesamt ist das Spektrum des Bandes weit gefasst und ermöglicht somit einen guten Überblick über den Themenkomplex "Frauen und Reformation". Dennoch bleibt der Forderung von Ute Gause aus ihrem einleitenden Beitrag über "Reformation und Genderforschung" zuzustimmen, dass eine Neukonzeptionierung der Reformationsgeschichte unter gendergeschichtlicher Perspektive notwendig ist und weiterhin ein Desiderat darstellt. Der vorliegende Band löst dies nur in ganz wenigen Beiträgen ansatzweise ein, weitgehend bleibt er bei der additiven Hinzufügung stehen, und auch dabei handelt es sich vielfach nicht um eine wirkliche Hinzufügung, sondern um einen Rekurs auf die bekannten Beispiele von Argula von Grumbach über Katharina von Bora und Katharina Zell zu Ursula von Münsterberg. Damit soll nicht bestritten werden, dass auch diesen bekannten Frauen neue Facetten abzugewinnen sind. Wichtiger wäre es aber sicherlich, neues Material zu erschließen, wie vor allem die Beiträge von Klingner und Zinsmeyer deutlich machen, die Hinweise auf solche noch kaum genutzten Quellenbestände bieten. Ein ganz anderes Desiderat wird hingegen in dem Band nicht einmal erwähnt, geschweige denn seine Beseitigung angegangen: Unter der Überschrift "Frauen und Reformation" ließe sich ja auch die Stellungnahme von Frauen gegen die Reformation verhandeln. Lediglich im Fall von Caritas Pirckheimer klingt diese Möglichkeit an. Ansonsten aber wissen wir darüber praktisch nichts. So hat meines Wissens bisher niemand nach Korrespondenzen altgläubiger Fürstinnen überhaupt nur gesucht, von anderen Frauengruppen ganz abgesehen. Solche Forschungen waren im Rahmen eines Reformationsjubiläums sicher nicht zu erwarten, könnten und sollten künftig aber angegangen werden, um unser Wissen über das Agieren von Frauen angesichts der konfessionellen Konflikte des 16. Jahrhunderts von der einseitigen Fixierung auf die protestantische Seite zu lösen.
Bettina Braun