Anton Rotzetter: Leidenschaft für Franz von Assisi. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Adrian Holderegger, Münster: Aschendorff 2018, 458 S., ISBN 978-3-402-13312-5, EUR 42,00
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Christian Hoffarth: Urkirche als Utopie. Die Idee der Gütergemeinschaft im späteren Mittelalter von Olivi bis Wyclif, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2016
Bradley R. Franco / Beth A. Mulvaney (eds.): The World of St. Francis of Assisi. Essays in Honor of William R. Cook, Leiden / Boston: Brill 2015
Marco Bartoli / Jacques Dalarun / Timothy Johnson u.a. (a cura di): Fonti liturgiche francescane. L'Immagine di San Francesco D'Assisi nei Testi Liturgici Del XIII Secolo, Padova: Editrici Francescane 2015
Der Schweizer Kapuziner Anton Rotzetter, der seit seiner Dissertation 1977 bis zu seinem allzu frühen Tod 2016 die franziskanische Literatur unsrer Zeit wie kein anderer bereichert hat [1], erhält nun als Freundesgabe seines Mitbruders Adrian Holderegger, des emeritierten Professors für Moraltheologie an der Universität zu Fribourg/Schweiz, eine Neuauflage vieler seiner Texte, die sich auf Franz von Assisi beziehen lassen. Ganz in der Intention des ursprünglichen Verfassers wendet sich Holderegger in diesem Lesebuch an ein breiteres Publikum. Denn wie er bereits in seiner Einleitung schreibt (9-17), ging es Rotzetter in diesen Texten nicht so sehr um eine wissenschaftlich-objektive, etwa um eine historisch-kritische, Erforschung der Gestalt des "poverello". Als geistlicher Lehrer und Schriftsteller wollte Rotzetter in einer leidenschaftlich-subjektiven Weise die aktuelle Bedeutung des Franz von Assisi vielen Menschen nahebringen. Das meinte freilich keinerlei Anpassung eines mittelalterlichen Menschen an die gegenwärtig herrschende Mentalität. Eher sollte die spirituelle Eigenart des heiligen Franziskus deutlicher erkannt werden, um so heutiges Denken kritisch zu befruchten, um neue Impulse zu geben für die Gestaltung des wirtschaftlichen, des politischen, des kirchlichen und des allgemein gesellschaftlichen Lebens bis hin zu konkreten Anleitungen für eine heute tragfähige Spiritualität, für Gottesdienstgestaltung und religiöse Poesie.
In den 43 Texten Rotzetters, die der Herausgeber in fünf Kapiteln zusammenfasst und leserfreundlich vorlegt [2], kommt dieses spirituelle Grundanliegen des Autors in stets neuen Anläufen zum Ausdruck, ohne dass leider bei der Vielfalt der Texte eine Rezension das hinreichend würdigen könnte.
Vielleicht genügt es, auf wenige Beispiele einzugehen. Rotzetter sah in der Begegnung des Franz von Assisi 1219 mit dem Sultan al-Malik al-Kamil (um 1180-1238) einen freundschaftlichen und verständnisvollen Zugang zum Islam, der wegweisend bleibt (129-138). In seiner Deutung dieser Begegnung bezog sich Rotzetter vor allem auf das so genannte "Missionsstatut" im 16. Kapitel der Regula non Bullata (131-133), in dem das neue Verständnis von Mission im Sinne des Evangeliums seinen Ausdruck fand. Für viele Franziskus-Forscher ist es eher wahrscheinlich, dass diese Konzeption eines friedlichen Zugehens auf Andersgläubige nach der genannten Begegnung entstand und erst um 1220 in die Regelentwicklung der franziskanischen Bewegung einging. Das kann die Bedeutung dieses Treffens noch unterstreichen, das den vom Evangelium Jesu Christi ergriffenen Bruder Franz mit einem Herrscher zusammenführte, der vielleicht von der Liebes-Mystik islamischer Sufis geprägt war. Franz wollte in einem dienstbereiten Dialog jedenfalls von der anderen religiösen Kultur lernen, wie weitere Hinweise in seinen Schriften zeigen (133-135). Leider ist dieses Beispiel in der franziskanischen Geschichte kaum einmal ganz wirksam geworden. Gewaltlosigkeit mit Bereitschaft zum Blutzeugnis gab es in der franziskanischen Mission oft, aber selten die demütige Bereitschaft, von den Andersgläubigen zu lernen, wie bei Roger Bacon (um 1214 - nach 1292) und Ramon Llull (um 1232 - um 1316). Doch in einer jetzt häufig von Feindschaft und Unverständnis bestimmten Atmosphäre kann das Beispiel des Franziskus ermutigen, trotz allem Wege der Begegnung mit Muslimen zu suchen und die religiös-spirituellen Werte in den fremden Kulturen der islamischen Welt besser kennen und schätzen zu lernen (137f.).
Ein anderes Beispiel sind die geschwisterlichen Begegnungen des Bruders Franz von Assisi mit Tieren, die über den späteren Heiligen gern erzählt und mit ihm dargestellt werden, als wundersame Vor-Zeichen paradiesischer Vollendung. Sie wurden für Rotzetter zur Orientierung, um über eine neue theologische, ethische und spirituelle Wertschätzung von Tieren nachzudenken und sie zu leben (279-290). Weil unsere Welt gespalten ist zwischen den Extremen einer rücksichtlosen Raub- und Konsumgier wie von Hunger und Elend, gibt es genug gute Gründe, auch unsren Umgang mit Tieren zu überdenken (280-287). Aber nicht immer war und ist es leicht, hier Rotzetter in seinen Gedanken zu folgen, zumal er schließlich die Tötung von Tieren und den Fleischverzehr prinzipiell in Frage stellte (287f.). Im Sinne Albert Schweitzers plädierte Rotzetter für eine dienst- und hilfsbereite Ehrfurcht vor allem Leben (284). Aber stehen alle Lebewesen auf einer Stufe und ist nicht doch zwischen uns Menschen sowie den verschiedenen Arten von Tieren und Pflanzen zu unterscheiden? Gibt es eine klare Grenze, an der die Tötung von Lebewesen, zumal von manch höheren Tieren, religiös-ethisch nicht mehr zu verantworten ist? Auf solche Fragen hatte Rotzetter, auch von Franziskus her, im besprochenen Text keine allgemein gültigen Lösungen anzubieten, obwohl er selbst seine persönliche Entscheidung gefunden hat. Es entsprach aber eher seiner franziskanischen Art spiritueller Führung, zum Mitfragen und Mitdenken anzuregen und einzuladen.
Diese beiden Beispiele zeigen vielleicht, dass es sich lohnt, anhand dieses Rotzetter-Lesebuchs sich durch Franz von Assisi neu zum Fragen und Denken, zum Verstehen und Handeln bewegen zu lassen. Nur noch eine kritische Anregung für eine eventuelle künftige Neuauflage des Lesebuchs: Wenn Anton Rotzetter bei Napoleon Bonaparte die wichtige Unterscheidung zwischen einer "Religion der Ordnung" und einer "Religion der Menschwerdung" fand (245; 380), scheint es sinnvoll, den Fundort dieses Gedankens und seinen Kontext zu verifizieren, was gar nicht so leicht ist, obwohl diese napoleonische Unterscheidung gelegentlich in der Literatur erwähnt wird.
Anmerkungen:
[1] Zur Bibliographie Anton Rotzetters siehe Oktavian Schmucki: Ein begabter und fruchtbarer Kapuziner-Schriftsteller, in: Helvetia Franciscana 46 (2017), 139-204.
[2] Siehe: I. Kapitel: Hinführung zu Franz von Assisi (10-138); II. Kapitel: Nachdenken über Franz von Assisi (139-218); III. Kapitel: Orientierung an Franz von Assisi (219-294); IV. Kapitel: Spiritualität des langen Atems (295-411); V. Liturgie und Poesie (412-450), VI. Anhang (451-458): Abkürzungen; Werke (in Auswahl).
Johannes Schlageter