Ewa K. Bacon: Saving Lives in Auschwitz. The Prisoner's Hospital in Buna-Monowitz, West Lafayette, IN: Purdue University Press 2017, XII + 263 S., ISBN 978-1-55753-779-9, USD 39,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Christian Schmittwilken: Zentralen des Terrors. Die Dienststellen der Kommandeure der Sicherheitspolizei und des SD im Reichskommissariat Ukraine, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2024
Franziska Jahn: Das KZ Riga-Kaiserwald und seine Außenlager 1943-1944. Strukturen und Entwicklungen, Berlin: Metropol 2018
Evgeny Finkel: Ordinary Jews. Choice and Survival during the Holocaust, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2017
Thomas Pegelow Kaplan / Jürgen Matthäus / Mark W. Hornburg (eds.): Beyond "Ordinary men". Christopher R. Browning and Holocaust Historiography, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019
Robert S. C. Gordon: The Holocaust in Italian Culture, 1944-2010, Stanford, CA: Stanford University Press 2012
Jochen Böhler / Stephan Lehnstaedt (Hgg.): Gewalt und Alltag im besetzten Polen 1939-1945, Osnabrück: fibre Verlag 2012
Andrea Rudorff: Frauen in den Außenlagern des Konzentrationslagers Groß-Rosen, Berlin: Metropol 2014
Gideon Greif / Itamar Levin: Aufstand in Auschwitz. Die Revolte des jüdischen "Sonderkommandos" am 7. Oktober 1944. Aus dem Hebräischen übersetzt von Beatrice Greif, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015
Ewa K. Bacon, emeritierte Professorin für Europäische Geschichte an der Lewis University in Romeoville (Illinois) schrieb dieses Buch in doppelter Funktion: als professionelle Historikerin und als Tochter eines KZ-Überlebenden. Ihr Vater, Stefan Budziaszek, war von Februar 1942 bis Kriegsende Häftling des KZ Auschwitz und verrichtete seit 1943 im sogenannten "Häftlingskrankenbau" des KZ Auschwitz-Monowitz Zwangsarbeit. In dem Buch werden zwei Erzählstränge verwoben: die Geschichte des Lagerkomplexes Auschwitz bzw. des Häftlingskrankenbaus in Monowitz und Budziaszeks Lebensgeschichte bzw. Hafterfahrung. Neben der Forschungsliteratur stützt sich die Verfasserin vor allem auf Dokumente aus dem Nachlass ihres 1994 verstorbenen Vaters, darunter ein Erinnerungsbericht aus dem Jahre 1974, den er für das Museum in Auschwitz angefertigt hatte. Diese Quelle hat für die Verfasserin insofern eine besondere Bedeutung, als sie mit ihrem Vater nie über seine Haft in Auschwitz gesprochen hat - obwohl oder gerade weil die Gefangenschaft in der Familie bekannt war.
Nach einem einleitenden Übersichtskapitel über den deutschen Überfall auf Polen und die nationalsozialistische Germanisierungspolitik wird zunächst Budziaszeks Biografie bis zu seiner Verschleppung nach Auschwitz beschrieben. Er wurde 1913 in einem kleinen Dorf zwischen Krakau und Oświęcim geboren und stammte aus einer katholischen Familie. Er absolvierte ein Medizinstudium in Krakau und schloss sich zu Beginn des Krieges einer studentischen Widerstandsgruppe an. Im Juni 1941 wurde er verhaftet und in das Krakauer Gefängnis Montelupich gebracht, im Februar 1942 nach Auschwitz überstellt. Das KZ Auschwitz war im Juni 1940 eingerichtet worden. Die SS nutzte das Stammlager zunächst zur Unterdrückung des polnischen Widerstands und der polnischen Intelligenz. Ende 1941 erfolgte die Erweiterung um das Lager Birkenau (Auschwitz II), in dem später die europäischen Juden sowie Sinti und Roma in den Gaskammern ermordet wurden. Monowitz (Auschwitz III), ebenfalls 1941 errichtet, diente als Industriekomplex für die I.G. Farben. Hinzu kamen 47 Außenlager, in denen die Häftlinge Zwangsarbeit verrichteten. Auch Budziaszek wurde in verschiedenen Arbeitskommandos eingesetzt, darunter das Außenlager Jawischowitz. Im Sommer 1943 erfolgte der Transport nach Auschwitz-Monowitz. Dort gelangte Budziaszek in den Häftlingskrankenbau, wo er - als ausgebildeter Arzt und der deutschen Sprache mächtig - schnell eine Art Leitungsfunktion innerhalb des Systems der Funktionshäftlinge übernahm. Er nutzte sowohl den in diesem Zeitraum sich abzeichnenden Funktionswandel des KZ-Systems - die SS bewertete die Arbeitskraft der KZ-Häftlinge nun deutlich höher - als auch seine Handlungsspielräume als Funktionshäftling, um den Häftlingskrankenbau umzustrukturieren. Bald arbeiteten dort mehr als 40 ausgebildete Ärzte. "[They] worked to create an oasis in the Buna-Monowitz hospital amid the tempest of the labor camp" (3), und gaben "thousands of men at least a chance at long-term survival" (74). Es ging, so die Verfasserin, darum, in Auschwitz Leben zu retten - so der programmatische Titel des Buches. Im Sommer 1944 begann die SS, größere Gefangenengruppen aus Auschwitz Richtung Westen zu treiben, und im Januar 1945 erfolgte die endgültige Auflösung des Lagerkomplexes. Auch Budziaszek befand sich in einem Todesmarsch und erreichte nach etwa einer Woche zu Fuß und im Waggon Buchenwald. Dort erlebte er die Befreiung.
Bacon legt kein Fachbuch im engeren Sinne vor. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen der mittlerweile hochdifferenzierten Fachliteratur sucht man vergebens. Vielmehr wendet sie sich explizit an die dritte und vierte Generation der Überlebenden, die nicht mehr unmittelbar an der Tradierung der Erfahrung teilhat, da die Zeitzeugen nicht mehr leben und von ihren Erfahrungen berichten können. Doch auch und gerade bei den Nachkommen der Überlebenden soll die Erinnerung an die Familiengeschichte wachgehalten werden. Zudem schreibt Bacon für ein amerikanisches Publikum, das mit Auschwitz nahezu ausschließlich den Holocaust assoziiert und dem das Schicksal ihres Vaters - eines Nichtjuden in Auschwitz - daher gesondert erklärt werden muss. Im deutschen oder polnischen Kontext wäre dies nicht erforderlich. Unabhängig davon gelingt es ihr eindrucksvoll, an einer einzelnen Lebensgeschichte die strukturellen Bedingungen zu erschließen. Dazu gehört auch das sensible Thema der Funktionshäftling, die sich ja in einer unauflösbaren Zwangslage, in der "Grauzone" zwischen Opfern und Tätern befanden. Diese wissenschaftlich zu analysieren und angemessen zu beschreiben, ist ohnehin schon schwierig - an eine Tochter aber stellt es besondere Herausforderungen.
Karin Orth