Bernd Goebel: Im Umkreis von Anselm. Biographisch-bibliographische Porträts von Autoren aus Le Bec und Canterbury (= Fuldaer Hochschulschriften; 60), Würzburg: Echter Verlag 2017, 237 S., ISBN 978-3-429-04381-0, EUR 16,80
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Unter den Erzbischöfen Lanfranc und Anselm wurde die englische Bischofsstadt Canterbury mit ihren großen Klöstern im 11. und 12. Jahrhundert zu einem kulturellen, geistigen und theologischen Brennpunkt Europas. In dieses Zentrum des mittelalterlichen Theologietreibens wird der Leser des vorliegenden Bandes geführt. Jene Akteure samt ihren Werken stehen dabei im Fokus, die im nächsten Umkreis Anselms wirkten. Sie prägten sein Denken und Handeln, wurden aber auch maßgeblich von seiner Theologie und seiner Sicht auf Gott, den Menschen und die Welt beeinflusst. Schüler und Freunde, Mitarbeiter, Herausgeber, aber auch Kritiker werden im vorliegenden Band behandelt. Bernd Goebel - Professor für Philosophie und Geschichte der Philosophie an der Theologischen Fakultät Fulda - präsentiert in drei Kapiteln insgesamt neun Einzelpersonen, die entweder aus dem Kathedralpriorat Christ Church, einem der Klöster in Canterbury oder - wie Anselm selbst - aus dem normannischen Kloster Le Bec stammten und zeichnet so den Kreis an Wissensexperten um Anselm.
Das erste Kapitel (31-133) widmet sich den Hagiographen, Historikern, Musikern und Dichtern im Umkreis Anselms. Dabei stehen der Sekretär Anselms Eadmer von Canterbury (31-67), der Prior von Westminster Osbern von Canterbury (68-82), der Mönch Goscelin von Canterbury (83-123) sowie der lateinische Lyriker und Hagiograph Reginald von Canterbury (124-133) im Fokus.
Im zweiten Kapitel (135-154) nimmt Goebel zwei Mitarbeiter Anselms und Herausgeber in den Blick: den Nachlassverwalter Alexander von Canterbury (135-144) und Abt Boso von Le Bec (145-154). Theologische und philosophische Denker, die Anselms theologisches Wirken prägten und beeinflussten, stehen im Zentrum des dritten Kapitels (155-213). Dabei werden Leben und Wirken von Ralph von Battle (155-173), Gilbert Crispin (174-201) und Elmer von Canterbury (202-213) vorgestellt. Vor allem bei Gilbert Crispin veranschaulicht der Verfasser sehr gut, wie Anselm sein Umfeld im theologischen und philosophischen Denken, aber auch hinsichtlich der theologisch-philosophischen Diskussion zu prägen vermochte (178-181).
Der bewusste Verzicht auf Fuß- oder Endnoten (24) in den biographischen Darstellungen ist zu bedauern, zumal Goebel in seiner Einführung (11-29) darauf verweist, dass zu diesen vorzustellenden Personen zahlreiche neuere Forschungsergebnisse vorgelegt wurden. Zwar benennt er an einigen Stellen in Klammerreferenzen die Autoren der geschilderten Forschung, die allesamt in der folgenden Bibliographie aufgeführt werden, allerdings wäre eine weitere Ausführung, die Benennung eines Desiderats oder die diskursive Vertiefung an der einen oder anderen Stelle (93; 128; 204f.) in Form von Fußnoten wünschenswert gewesen.
Goebel liefert in einem ersten kurzen Abschnitt die wesentlichen Informationen zu Leben, Herkunft und Aufgabe wieder. Im Anschluss daran folgt eine umfassende Darstellung der jeweiligen Vita und dann der Werke. Abschließend würdigt der Verfasser das Werk, ordnet es in den theologiehistorischen Rahmen ein und verdeutlicht die gegen- oder einseitige Beeinflussung zwischen Akteur und Anselm. Der Leser erhält hierbei einen kompakten Überblick über Vita und Oeuvre. Die Lektüre der gesamten Darstellung Goebels zeigt, wie sehr die einzelnen Personen in ihrem Handeln und Denken mit- und untereinander verbunden waren, aber auch, wie sehr sie den prägten, der sie in der Theologiegeschichte und Historiographie in den Schatten stellte: Anselm von Canterbury. Das vorliegende Summarium trägt dazu bei, dass die monozentrierte Sichtweise auf Anselm aufgebrochen wird.
Es wäre hierbei noch lohnenswert gewesen zu zeigen, ob solche Gelehrtenkreise in der damaligen Zeit gewöhnlich oder ungewöhnlich waren. Ein Vergleich mit ähnlichen Personenkonstellationen hätte zeigen können, ob der um Anselm organisierte Mitarbeiter- und Herausgeberkreis bestimmte Spezifika aufwies. Die Forschung über Anselm von Canterbury hätte davon sicherlich profitiert.
Der Aufbau der einzelnen Kapitel beschränkt sich nicht nur auf eine Porträtierung der jeweiligen Personen, deren Funktion und Aufgabe, sondern gibt auch einen Überblick sowohl über deren Werke - untergliedert in die verschiedenen Genre, wie zum Beispiel historische Werke, bio- und hagiografische Werke, Predigtaufzeichnungen, theologische Schriften, Briefe oder Lieder - als auch über Forschungsstudien, Lexika- und Handbuchartikel. Zudem verfügt der Band über ein Ortsverzeichnis (215-216), ein Verzeichnis antiker und mittelalterlicher Personen (217-221) sowie über ein Verzeichnis neuzeitlicher und moderner Personen (223-230).
Neben den biographischen und werkbezogenen Beschreibungen erweisen sich vor allem die umfangreichen und detaillierten Bibliographien als hilfreich, da sie den aktuellen Forschungsstand wiedergeben. Für weitere Forschungsvorhaben zum Leben und theologischen sowie philosophischen Wirken Anselms stellt die Monographie von Bernd Goebel ein hilfreiches Instrumentarium zur bibliographischen Orientierung und zum thematischen Überblick dar.
Joachim Werz