Thomas W. Gijswijt: Informal Alliance. The Bilderberg Group and Transatlantic Relations during the Cold War, 1952-1968 (= Routledge Studies in Modern European History; 41), London / New York: Routledge 2018, XII + 310 S., ISBN 978-0-8153-9674-1, GBP 115,00
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Die Bilderberg-Konferenzen genießen einen geheimnisvollen Ruf, werden bis heute häufig verschwörungstheoretisch gedeutet. Das reicht von linkem Antikapitalismus oder -amerikanismus bis zu rechter Verdammung von übernationalen, alles steuernden Netzwerken. Diese regelmäßigen, bis heute als Bilderberg-Meetings tagenden Veranstaltungen gingen auf den polnischen Exildiplomaten Joseph Retinger - "one of the most fascinating figures involved in international relations during the 20th century" (8) - zurück, der 1952 erfolgreich die Idee zu einem transatlantischen Netzwerk lancierte, von dessen Wert die Amerikaner erst langsam überzeugt werden mussten. Seit 1954 fanden regelmäßig jährlich ein oder zwei, zumeist dreitätige Treffen hochrangiger Diplomaten, Parteipolitiker, Wirtschaftsführer, Militärs und Journalisten in wechselnden Ländern auf beiden Seiten des Atlantiks statt. Bis 1960 präsidierte Retinger, danach vor allem Prinz Bernhard der Niederlande, deutschgebürtiger Ehemann der Königin. Wechselnde kleinere Steuerungskomitees oder Ähnliches bereiteten die Konferenzen durch Einladungen von Referenten vor. Mindestens genauso wichtig wie die offiziellen Diskussionen waren die informellen Gespräche der Teilnehmer. Die USA stellten im Untersuchungszeitraum das größte Kontingent derselben, gefolgt von Briten, Franzosen, West-Deutschen, Italienern, Niederländern und Belgiern. Gijswijt unterstreicht die Bedeutung des z. T. hochrangigen Charakters der Teilnehmer (damals anscheinend nur Männer!), die oft von Regierungen zu diesen informellen Gesprächen gleichsam entsandt wurden. Wichtig war es, dass auch jeweils viele Vertreter der politischen Opposition, im Fall der Bundesrepublik wichtige Sozialdemokraten, teilnahmen und so international sozialisiert wurden. Auch die französischen Gaullisten ließen in den sechziger Jahren den Kontakt nicht abreißen. Den Bilderberg-Konferenzen wurde oft große Nähe zu den Geheimdiensten vorgeworfen, was der Verfasser für die CIA zurückweist. Der Rezensent wäre hinsichtlich eines indirekten Einflusses vorsichtiger.
Bilderberg war ein Diskussionsclub ohne Entscheidungsbefugnisse, dessen direkter Einfluss schwer zu bestimmen ist. Gijswijt spricht von einer "informal alliance", wie es sie auch auf anderen Sektoren bi- oder multilateral gegeben habe. Der Antikommunismus oder die westliche Wertegemeinschaft waren die wesentliche Klammer. Geboren worden sei Bilderberg aus der Sorge einer Gruppe von Europäern um Retinger über einen wachsenden "Antiamerikanismus", den der Verfasser für neu hält, weil der Begriff in den Medien zuvor nicht auftauchte. Mit scheint der Begriff trotz mehrerer sektoraler transatlantischer Differenzen auf vielen Politikfeldern wenig glücklich zu sein; politische Differenzen und partielle Entfremdung bilden kein strukturelles "Anti" - wie man es für die Gegenwart wieder konstatieren kann. Der Verfasser meint gelegentlich den unmittelbaren Einfluss von Bilderberg auf die Politik feststellen zu können - so etwa nach der Suezkrise 1956 oder beim deutsch-französischen Elysée-Vertrag von 1963, als von Bilderberg anscheinend Impulse zur Formulierung der transatlantischen Präambel des Bundestages ausgingen oder die Krise um die multilaterale Streitmacht der NATO. Das unterstreicht den nützlichen Charakter als informelle Arena. Ob aktionistische Überschriften wie "Bilderberg responds" (237) nicht zu viel Handlungsmacht signalisieren, wäre allerdings zu fragen.
Jede Tagung hatte viele Themen, im Grunde wurden alle zentralen Fragen der internationalen Politik der Zeit abgedeckt. Gijswijt hatte die Protokolle vorliegen, dazu eine große Fülle von amtlichen Unterlagen und privaten Nachlässen vor allem mit Briefwechseln der Teilnehmer ausgewertet. Was herauskommt, ist ein erweiterter "Digest" eben jener europäischen und transatlantischen Politik, die manches markante Zitat beibringen kann. Das hat nur dann einen Sinn, wenn diese auch die allgemeinen Forschungen zu den Themengebieten eingebettet werden. Das tut der Verfasser auch, aber manchmal arg verkürzt und kaum auf dem Stand der Forschungen zu allgemeinen Themen, von der die jüngsten Arbeiten oft in Sammelanmerkungen erwähnt sind, ohne dass sie das einbettende Narrativ selbst berühren.
Was soll man davon halten, wenn etwa das Schwadronieren des Franzosen Antoine Pinay über die Bandung-Konferenz von 1955 referiert wird, wonach zum ersten Mal auf kommunistische Einladung hin Staaten mit einer Milliarde Einwohnern zusammenkämen, ohne dass die "white race" repräsentiert sei und dazu ihre Meinung sagen könne? Der Verfasser kommentiert, Bandung habe den kommunistischen Ländern eine Chance und George Ball der NATO daran eine gewisse Schuld gegeben (145). Gerade die Tatsache, dass man - wie hier zitiert - im Westen die Emanzipationsbewegungen der Dritten Welt primär als Bedrohung durch den Weltkommunismus sah, bedarf heutiger Einordnung. [1] Wenn Franz Josef Strauß einmal einen bundesdeutschen Atomehrgeiz kategorisch verneint, dann widerspricht Gijswijt hier mit Berufung auf neue Forschung ("disingenuous", 241) - doch das ist eine Ausnahme. An anderer Stelle geht es um die chinesische Beschießung von Inseln vor dem Festland, welche der Westen verteidigen müsse: "Whatever the dynamics of Soviet-Chinese relations [...]" (193), ist der Kommentar des Verfassers. Gerade diese sowjetisch-chinesische "Dynamik" oder reale Gefahr für den Frieden oder den Westen aber müsste der Verfasser deutlich machen. "The transatlantic crisis of the mid-1960s [...] did illustrate how the informal alliance could play a role in crisis management" (257): Gewiss: Aber welche Rolle die Angst vor Deutschland bei der MLF und Vorbereitung des Nichtverbreitungsvertrags von 1968 spielte, besonders bei dem häufig prominent auftretenden George Ball, ist unbekannt. [2] Der Rezensent verkennt nicht, dass eine solche, durchgängige Einordnung ein Buch wie dieses qualitativ und auch quantitativ leicht überfordert hätte; aber die weitgehende Beschränkung auf den Meinungs- und Briefaustausch der transatlantischen "Bilderberger" ist doch schade und greift gelegentlich zu kurz.
Bilderberg war darüber hinaus nur eine von vielen solchen transnationalen Arenen, die in Sammelbemerkungen immer mal wieder vorkommen und über die es z. T. auch schon ergiebige Studien gibt. "Weitere Forschungen" anzuregen, ist gut, aber es wäre erkenntnisfördernd gewesen, wenn auch Gijswijt einmal versucht hätte, dieses Ensemble und den Anteil von Bilderberg daran wenigstens im Ansatz zu fassen. Er hat seine Heidelberger Dissertation von 2007 gründlich überarbeitet, weitgehend neu formuliert, inzwischen selbst mindestens fünf Aufsätze zum Thema verfasst und nennt selbst sechs weitere, z. T. unveröffentlichte Arbeiten zum Thema. Unter diesen sticht die soziologische Studie von Björn Wendt hervor, in welcher der Autor die Gruppendynamiken, den Habitus der etablierten (hoch)adligen Gruppe zum Thema macht, vor allem für spätere Jahre von Privatisierung und Re-Oligarchisierung von Politik spricht. [3] Das wäre eine gute Ergänzung zu Gijswijts quellengesättigter politikgeschichtlicher Basisstudie gewesen, worüber eine Debatte erwünscht gewesen wäre. Jetzt liegt ein lesenswertes Buch zu einem wichtigen Thema der transnationalen Geschichte, gut geschrieben und lesbar, wenn auch überteuert vor.
Anmerkungen:
[1] Naheliegend etwa: Jürgen Dinkel: Die Bewegung Bündnisfreier Staaten: Genese, Organisation und Politik (1927-1992), München 2015.
[2] Vgl. etwa Shane J. Maddock: Nuclear Apartheid, Chapel Hill 2010; Roland Popp / Liviu Horovitz / Andreas Wenger (eds.): Negotiating the Non-Proliferation Treaty. Origins of the Nuclear Order, London 2016.
[3] Thomas W. Gijswijt, Uniting the West. The Bilderberg Group and Transatlantic Relations during the Cold War, 1952-1966, Diss. Heidelberg 2007 (im Microfiche erhältlich); Björn Wendt, Die Bilderberg-Gruppe. Wissen über die Macht gesellschaftlicher Eliten, Göttingen 2015, 3. Aufl. 2017.
Jost Dülffer