Johannes Willms: Napoleon (= C.H. Beck Wissen; 2893), München: C.H.Beck 2019, 127 S., 3 s/w-Abb., 2 Kt., ISBN 978-3-406-73479-3, EUR 9,95
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14 Jahre nach seiner - laut Beck-Verlag - "vielgerühmten Biografie Napoleons" (2) widmet sich Johannes Willms erneut dem Leben des legendären Korsen. Das macht neugierig: Welche frischen Akzente setzt der Autor bei der zweiten (formatbedingt oberflächlicheren) Annäherung? Wie reagiert er auf die Kritik an der Biografie von 2005? Diese hatte sich insbesondere an der Konzentration auf die Person Bonaparte entzündet, die strukturelle Einflüsse und Rahmenbedingungen weitgehend ausgeblendet habe [1].
Derartige Spekulationen sind müßig: Der vorliegende Band ist eine Kurzfassung des Werks von 2005, neue Akzente oder eine Auseinandersetzung mit den Kritikern sucht man vergeblich. Wer Willms erste Napoleonstudie kennt, kann sich dieses Buch daher sparen. Erstleser erwartet eine kompromisslose Abrechnung mit dem Kaiser der Franzosen, dessen Vita der Verfasser konsequent unter negativen Vorzeichen beleuchtet.
Bereits als Revolutionsgeneral in Italien sei der Korse "vom bejubelten Befreier zum Bevollmächtigten des Schreckens" geworden, der den Feldzug "schamlos zur eigenen Bereicherung" genutzt habe (23). Durch seinen Staatsstreich 1799 habe Napoleon keineswegs ein am Rand des Zusammenbruchs stehendes Land "gerettet", wie von der bonapartistischen Propaganda behauptet (36). Im Gegenteil: Der vermeintliche "Retter" wurde zum Totengräber der Republik, wie Willms anhand der Konsulatsverfassung darlegt. Durch die Entmachtung der Legislative und die "Monarchisierung" des Wahlrechts (53) habe der Erste Konsul die 1789 gewonnene Volkssouveränität "usurpiert" (38).
Die viel gelobte institutionelle, juristische und administrative Neuordnung Frankreichs unter dem Konsulat sieht der Biograf ebenfalls kritisch. Der Code civil habe zwar "fundamentale Prinzipien der Revolution" zu geltendem Recht gemacht und "die Beseitigung des Feudalwesens" bestätigt. Er habe jedoch auch die Sklaverei in den Kolonien wiedereingeführt und durch die "Verabsolutierung des Eigentums" und das patriarchale Familienrecht "die demokratischen und emanzipatorischen Einflüsse der Revolution" beschnitten (59).
Napoleons Außenpolitik stellt Willms besonders düster dar. Dass der Frieden, den Bonaparte 1802 mit England geschlossen hatte, nicht lange hielt, legt er eindeutig dem Ersten Konsul zur Last: Letzterer habe sich für eine "friedliche Koexistenz" nicht wirklich interessiert (47), wie die Ausdehnung seiner Macht in Mitteleuropa und eine "expansive Kolonialpolitik" gezeigt hätten (50). "Mit seiner aggressiven Politik" sei er auch der "Architekt" der dritten Koalition von 1805 gewesen (69). Nach dem Triumph von Austerlitz hätte der Kaiser Deutschland und Italien "in je einer staatlichen Ordnung" vereinen können - mit Frankreich als Garantiemacht. Der Korse sei jedoch nur auf "neue Eroberungen" aus gewesen (73). Auf Dauer hätten die "maßlosen Forderungen" Napoleons "Wirtschaft und Gesellschaft" seiner Verbündeten schwer geschädigt. Dies zeige die Kontinentalsperre. Willms erklärt, dass deren eigentlicher Zweck die wirtschaftliche "Unterwerfung" des Kontinents unter Frankreich gewesen sei. Europa habe die an England verlorenen Kolonien als Absatzmärkte für französische Waren ersetzen und französische Handelsgewinne ermöglichen müssen (97).
Als Kernproblem der napoleonischen Außenpolitik macht Willms eine fundamentale Planlosigkeit aus. Ein "strategisch-politisches Konzept, das über den bloßen Machterhalt hinauswies", habe Bonaparte nie entwickelt (43). Dies verdeutlicht der Autor am Beispiel Preußens. Der Kaiser habe nach 1806 jegliches Vertrauen seitens der Preußen verspielt gehabt, weshalb das "amputierte Land" als Partner Frankreichs nicht mehr in Frage gekommen sei. Da es "gleichwohl immer noch eine beunruhigende Größe" gehabt habe, wäre es klug gewesen, es "einfach zu zerschlagen". Dies habe Napoleon mangels Plans für eine grundlegende Neuordnung Europas versäumt (88). Laut Willms nutzte der Korse stattdessen, ohne die Folgen zu bedenken, blindlings jede Chance auf neue Eroberungen, wie seine Intervention in Spanien zeige. Auch den Russlandfeldzug 1812 habe der Kaiser "ohne ein fest umrissenes politisches Ziel wie auch ohne plausible politische Strategie" begonnen, weshalb er schließlich hoffen musste, dass der Zar die Nerven verlieren und um Frieden bitten würde (111).
Der Untergang der "Grande Armée" in Russland habe jedoch nicht zwangsläufig zur Absetzung des Kaisers geführt. Im Interesse des europäischen Mächtegleichgewichts sei Österreich 1813 bereit gewesen, einen Modus Vivendi mit Napoleon zu finden. Letzterer habe dies jedoch durch "unerfüllbare Forderungen" unmöglich gemacht (111). Der Korse sei nicht in der Lage gewesen, die anderen Großmächte durch "taktische Zugeständnisse" gegeneinander auszuspielen, was 1813 möglich gewesen wäre (113).
Willms Fazit lautet, dass Napoleons tatsächliche "historische Bedeutung als Jockey der 'Sattelzeit'" von einem völlig übersteigerten Mythos überlagert werde. Bonapartes große Leistung sei es gewesen, die revolutionäre Neuordnung der Eigentumsverhältnisse in Frankreich zu zementieren. Das "weitere Erbe der Revolution" habe er hingegen nicht geschützt, sondern teilweise sogar zerstört. Dennoch sei es ihm in der Verbannung auf Sankt Helena gelungen, sich zum "unwiderstehlichen Aszendenten freiheitlicher Ideen", ja zur "Verkörperung" der Revolution zu stilisieren (121).
Diese Generalabrechnung hat unbestreitbare Stärken. Präzise wie wenig andere Autoren arbeitet Willms die Planlosigkeit und Halbherzigkeit von Napoleons Außenpolitik heraus. Mit Recht betont er, dass der Korse kein altruistischer Modernisierer Europas war. Problematisch ist jedoch - wie bereits 2005 kritisiert wurde - die totale Konzentration auf eine Person. Napoleon bestimmt bei Willms im Alleingang sein und Europas Schicksal, strukturelle Zwänge spielen keine Rolle und seine Gegenspieler sind bloße Statisten. Dass andere Forscher in dieser Epoche England und Russland ebenfalls als Kriegstreiber sehen, interessiert den Verfasser nicht. Alternative Meinungen tauchen bei ihm nur als "hartnäckig sich behauptende" (112) Fehlurteile auf.
Immerhin scheint die jüngste deutsche Rezeption der Rheinbundzeit nicht völlig an Willms vorüber gegangen zu sein. Er konstatiert skeptisch, dass mit der "rheinbündischen Episode" ein "Zauber" bzw. "langfristig wirksame Modernisierungsimpulse" verbunden sein würden. Solche Impulse habe es zwar gegeben, aber wirklich ins Gewicht fielen sie nicht. Thomas Nipperdeys berühmtes Diktum, "Im Anfang war Napoleon" treffe "allenfalls auf Bayern, aber nicht auf Deutschland zu" (78).
Diese Einschätzung wirkt - etwa aus badischer und württembergischer Sicht - befremdlich. Es ist absolut plausibel, die Schattenseiten von Bonapartes Herrschaft stärker zu gewichten denn ihre - aus heutiger Perspektive - positiven Fortschrittsanstöße. Aber diese als bedeutungslos abzutun, überzeugt nicht. Die napoleonische Epoche war letztlich, um bei Nipperdey zu bleiben, eine "Grauzeit".
Sebastian Dörfler