Henriette van der Blom / Christa Gray / Catherine Steel (eds.): Institutions and Ideology in Republican Rome. Speech, Audience and Decision, Cambridge: Cambridge University Press 2018, XIII + 355 S., ISBN 978-1-108-42901-6, GBP 90,00
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In den vergangenen Jahren haben H. van der Blom, C. Gray und C. Steel zahlreiche anregende Studien aus dem Maschinenraum der spätrepublikanischen Politik vorgelegt. [1] Es ist nur konsequent, dass die drei Herausgeberinnen sich nun zusammengetan haben, um einen weiteren Sammelband zu Institutionen und allen voran zur Ideologie der späten Republik vorzulegen, für welchen sie zahlreiche Experten und Expertinnen gewinnen konnten.
Gleich zu Beginn wird der Anspruch formuliert, mit institutionellem Rahmen sowie Ideologie (oder auch "political belief") zwei unterschiedliche "frameworks" zu beleuchten, innerhalb derer politische Handlungen vollzogen wurden, ja deren Zusammenwirken für das Funktionieren von Politik geradezu konstitutiv war. Die Herausgeberinnen heben hervor, dass "Ideologie" in diesem Kontext das problematischere Rahmenwerk darstellt, da - einmal abgesehen von den modernen Wurzeln dieses Konzepts - "it (...) implies a more pervasive and organised phenomenon than can be documented for Rome (...)" (2). Es ist den Herausgeberinnen sicherlich beizupflichten, dass "Ideologie" als Konzept aufgrund dessen von ForscherInnen bisher vernachlässigt bzw. abgelehnt wurde. Im Gegensatz dazu erfreut sich die Erforschung des institutionellen "frameworks" seit vielen Jahren großer Beliebtheit. Folgerichtig dient der Sammelband unter anderem dazu, die Lücke hinsichtlich der "Ideologie" ein Stück weit zu schließen. Zur Einlösung des Vorhabens werden die sechzehn Beiträge in vier Hauptkapitel eingeteilt. Allerdings ist insofern eine Unwucht zu beobachten, als dass sich das Gros der Beiträge dann doch vorrangig mit Institutionen beschäftigt.
Part eins widmet sich der politischen Kommunikation. Überwiegend stehen hier Diskurse im Zentrum, die vom öffentlich (meist in contiones) ausgetragenen, aristokratischen Wettkampf als Mittel der Akzeptanzsteigerung des politischen Systems beim Volk (A. Yakobson, ch. 1) bis hin zu den Göttern als wichtige Argumentationsressource reichen (A. Clark, ch. 4). Einen interessanten Ansatz bietet C. Tiersch (ch. 2) mit der Frage nach "semantic battles", wobei sie sich insbesondere auf Ciceros (eher missglückten) Umdeutungsversuch des Terminus popularis konzentriert. Aus dem Kommunikationsrahmen etwas heraus fällt der Beitrag von C. Rosillo-López (ch. 3), die sich erhellend mit dem generellen Problem der Identifikation und Bekanntheit von aristokratischen Politikern durch die Plebs in einer Anwesenheitsgesellschaft beschäftigt.
Politische Allianzen als Sonderform einer Institution beleuchtet der zweite Hauptteil. Von der Hervorhebung des producere in contionem als Werkzeug im politischen Wettkampf (F. Pina Polo, ch. 5, inkl. einer nützlichen Übersicht zu allen "Vorladungen") über die Etablierung eines beratenden "inner circle" seitens eines Politikers (Pompeius und Theophanes von Mytilene, F. Santangelo, ch. 6) bis hin zur politischen Cliquenbildung von philosophisch Gleichgesinnten (z.B. Epikureern, C. Valachova, ch. 7) wird ein weites Spektrum möglicher politischer Allianzen abgedeckt, die das Bild der politischen Zusammenarbeit in spätrepublikanischer Zeit erheblich erweitern. In dieses Bild fügt sich auch K. Morrells Beitrag (ch. 8), der anhand von Catos und Pompeius' Zusammenarbeit im Jahr 52 für eine, wenn auch verhaltene, Revitalisierung der prosopographischen Methode argumentiert.
Teil drei komplettiert die Untersuchung zu den Institutionen, wobei konkret institutionelle Praktiken betrachtet werden. Neben den Auspicien als religiöse Institution (G. Driediger-Murphy, ch. 9) werden sinnvollerweise sowohl Wahlen (genauer das öffentliche Sprechen über Wahlen, A. Haimson Lushkov, ch. 11) als auch private Institutionen wie das familiäre consilium (H. Flower, ch. 13) thematisiert. G. Clementes Präsentation (ch. 10) bietet gar gut verdichtet eine kleine Geschichte der Zensur, wobei er beiläufig auf die mores als "ideology of the aristocracy" (204) verweist. Auf besonders interessantes Terrain wagt sich auch R. M. Frolov (ch. 12), wenn er den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Termini contio und coetus nachgeht. Seine Schlussfolgerung, dass coetus "'wrong' meetings", welche eine "uncommon political significance" (251) besaßen, bezeichnete, klingt plausibel. Interessant wäre darüber hinaus gewesen, wie Frolov das Verhältnis dieser Termini zu circulus (einmal randläufig erwähnt auf S. 248), einem weiteren Ausdruck für informelle Versammlungen, einschätzt.
Im letzten Hauptabschnitt "Memory and Reputation" wird sich schließlich einem breiteren Ansatz zur politischen Kultur und politischen Kommunikation zugewendet. E. Jewell widmet sich dem spannenden Thema der Familienexempla und ihrem ideologischen Gehalt anhand der gentes Lutatia, Livia und Iunia. Als Ergebnis hält er fest, dass diese "ideological exempla" besonders mächtig gegenüber Mitgliedern einer Familie, aus der das exemplum stammte, war und zudem von versierten Rednern bei Abweichung gegen einzelne Familienmitglieder gewendet werden konnte (281). Nachdem A. Eckert (ch. 15) die enge Verbindung zwischen der Entität felicitas und Gemeinwohl - und wie vor allem Sulla seinem Beinamen felix in diesem Zusammenhang all Unehre machte - betont, beschließt M. Stone (ch. 16) die Analyse dieses Teils sowie den Sammelband insgesamt mit seinen Beobachtungen zum Verres-Fall. Stone macht deutlich, dass mit Verres nicht einfach nur ein über die Strenge schlagender Statthalter vor Gericht stand, sondern das viel größere ideologische Problem der richtigen Herrschaftsausübung verhandelt wurde. Während Verres und sein Verteidiger Hortensius im Umgang mit den Reichsbewohnern eher auf severitas setzten, plädierten der Gegenanwalt Cicero und wohl auch Pomepius für einen milden Umgang. So wurde im Verresprozess gleichfalls die Frage nach der Art, wie ein Imperium zu führen sei, mitverhandelt.
Insgesamt bieten die Beiträge zahlreiche innovative Einblicke in das politische System der späten Republik. Nicht zuletzt ist dies der überlegten Frage nach "Ideologie" bzw. nach "political belief" zu verdanken. Wenngleich allein durch die Aufgliederung der Teile doch der Eindruck entsteht, dass der Schwerpunkt eher auf den Institutionen liegt, so bietet der Sammelband zweifelsohne äußerst fruchtbare Ansatzpunkte, denen in Zukunft sicherlich noch viele weitere Beiträge folgen werden. Es wäre aber zu wünschen gewesen, dass eine intensivere theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept "Ideologie" erfolgt wäre, trotz der Quellenproblematik insbesondere in Hinblick auf Fragen nach einem möglichen römischen nomologischen Wissen oder nach römischen mentalen Dispositionen. In diesem Zusammenhang ist es auch zu bedauern, dass das Konzept der Ideologie nur in wenigen Beiträgen (Clemente, Jewell) unmittelbar aufgegriffen wird. Vieles muss sich der Leser hier durch die inhaltliche Zuordnung zu einem der vier Hauptkapitel erschließen.
Nichtsdestoweniger bietet die einzelnen Beiträge viel Stoff und eine Fülle an Anregungen für weitere Überlegungen. Nicht zuletzt durch die ausführliche Bibliographie sowie den umfangreichen Index bietet der vorliegende Sammelband ein gutes Arbeitswerkzeug, um weitere Vorstöße in die Tiefen der römischen "political beliefs" zu unternehmen.
Anmerkung:
[1] In Auswahl: H. van der Blom: Oratory and Political Career in the Late Roman Republic. Cambridge 2016; H. van der Blom / C. Steel (eds.): Community and Communication. Oratory and Politics in Republican Rome. Oxford 2013; C. Gray [e.a.] (eds.): Reading Republican Oratory. Reconstructions, Concepts, Receptions. Oxford 2018; C. Steel (ed.): The Cambridge Companion to Cicero. Cambridge 2013.
Fabian Knopf