Anne Sieverling: Ernährung in Stratos und der Stratiké. Funktionsanalyse der früheisenzeitlichen und archaischen Keramik (= Akarnanien-Forschungen; 3), Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2018, XV + 568 S., zahlr. Abb., 22 Tbl., ISBN 978-3-7749-4141-0, EUR 129,00
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Mit dieser Arbeit legt die Autorin ihre überarbeitete Dissertation vor, in der sie in bester altertumswissenschaftlicher Interdisziplinarität durch Kombination von literarischen, bildlichen, paläontologischen, vor allem aber keramischen Quellen, Fragen von Ernährung und Esskultur in Stratos und der Stratiké sowie überhaupt in Akarnanien von etwa 1050 bis 480 v.Chr. behandelt.
Nach einer sehr knappen Einleitung (Kapitel 1), in der Sieverling grundsätzliche Fragen ihres Themas anreißt, stellt sie ihre drei hauptsächlichen Fragestellungen vor (Kapitel 2): Sie möchte untersuchen, welche Nahrungsmittel den Menschen im früheisenzeitlichen Akarnanien zur Verfügung standen, wie speziell in Stratos und seinem Umland Nahrung hergestellt und verzehrt wurde und welchen Wandlungsprozessen die dortige Ess- und Trinkkultur unterworfen war. Besonders stark stützt sie sich dazu auf keramisches Fundmaterial aus Stratos und der Stratiké selbst, dessen erstmaliger Vorlage das Buch nicht zuletzt dient. Theoretisch-methodische Überlegungen speziell zur dritten Frage, wie sie ältere Studien mit ähnlicher Zielsetzung durchaus geliefert haben, [1] vermisst man freilich ebenso wie eine Begründung für die gewählten Grenzen des Untersuchungszeitraums.
Die beiden folgenden Kapitel widmen sich der Vorstellung des ausgewerteten keramischen Materials (Kapitel 3) und der einschlägigen Forschungsgeschichte (Kapitel 4). Im Einzelnen handelt es sich bei den Funden um ausgewählte Keramik aus drei Forschungsprojekten, der Grabung auf der Agora von Stratos, einem besonders ertragreichen Fundort aus dem Survey in der Stratiké (FP 9250) und der Grabung an dem ca. 5 km von Stratos entfernt liegenden Heiligtum von Spathari. Sieverling stellt sodann die auf Coldstream (1968) zurückgehende Taxonomie vor, die von einer neben Akarnanien auch Aitolien, Elis, Achaia und Messenien umfassenden 'westgriechischen Koiné' der früheisenzeitlichen Keramik ausgeht, und konstatiert, dass diese auch nach heutigem Stand noch Gültigkeit beanspruchen kann. Besonderes Augenmerk richtet Sieverling in ihrem Forschungsüberblick anschließend auf die Erforschung der Funktionen von Keramik, die mit Zubereitung und/oder Verzehr von Nahrung verbunden werden kann.
Als weiteres einleitendes Kapitel (5) hat Sieverling einen Überblick zu "frühen" literarischen Quellen konzipiert. Nach der pauschalen Feststellung, dass die in der archaischen Epik verwendeten, nahrungsbezogenen "Metaphern auch 'reale' ernährungsbezogene Verhaltensweisen" (29) beschreiben und durch Zusammenstellung der einschlägigen Textstellen ein "Rahmen der soziokulturellen Möglichkeiten" (28) geschaffen werden kann, vor dessen Hintergrund sich die keramische Auswertung des nahrungsbezogenen Materials aus der Stratiké besser einordnen lasse, formuliert sie als Teilziel, "eine Art 'Realienkatalog' zum Thema Ernährung" aus der literarischen Überlieferung. Was folgt, ist eine Aufzählung von Textstellen zu Baumkultur, Gemüse, Getreide, Fleisch, Wild, Gewürzen, Käse, Wein, anderen Getränken und einigen sozialen Determinanten des Nahrungsverzehrs, visualisiert durch eine tabellarische Zusammenschau. Die folgende "Auswertung" (38-41) beschränkt sich auf Statistik. Fragen der Anschlussfähigkeit, Intertextualität oder sozialer Kontextualisierung der sehr heterogenen Texte werden nicht behandelt.
Ähnlich geht Sieverling bei der Präsentation der einschlägigen Bildquellen (Kapitel 6) vor. Sie stellt einschlägige Terrakotten und Vasenbilder zusammen, die Illustrationen zu den Themen Landwirtschaft, Weinlese und -produktion, Olivenernte und -produktion, Hirtenwesen (zusammen mit Fischerei und Jagd), sowie Verarbeitung von Fleisch, Milch und Getreide zeigen. Darüber hinaus präsentiert sie eine für ihr Material aus Akarnanien besonders wichtige, schlüssige Auswahl von Vasenbildern, in welchen die Verwendung von Keramik (vorrangig als Symposionsgeschirr) zu sehen ist. Auch hieran schließt sich eine statistische Auswertung sowie eine zusammenfassende Tabelle.
Es folgen Zusammenstellungen der archäologischen Nachweise für pflanzliche und tierische Lebensmittel aus dem Untersuchungsraum (Kapitel 7 und 8) auf Grundlage des aktuellen Forschungsstands. Insbesondere palynologische Werte liegen aus verschiedenen Regionen aus der heutigen Region Aitoloakarnanien vor, während sich Sieverling bezüglich tierischer Makroreste lediglich auf Stratos selbst und das nahe Heiligtum in Spathari stützt. Palynologisch lässt sich vor allem der planmäßige Anbau von Walnüssen und Oliven ab archaischer Zeit nachweisen. Bei den tierischen Resten überwiegt das Kleinvieh (Schafe/Ziegen), im städtischen Kontext von Stratos wurden freilich auch erhebliche Mengen von Schweine- und Rinderknochen gefunden.
Hiernach beginnt Sieverling die Arbeit an ihrem eigenen Material. Sehr exakt schafft sie sich so das Instrumentarium, um ihrer Fragestallung nach den "Ernährungsstrategien" in der Region nachzugehen. Einer Klassifikation der Keramik nach Form, Ware und Oberflächenbehandlung (Kapitel 9) folgt die Klassifikation nach Funktion (Kapitel 10). Diese beiden Kapitel sind Dreh- und Angelpunkte der Arbeit und berücksichtigen die gesamte Keramik, die Sieverling in einem akribisch erstellten Katalog sämtlicher einbezogener Stücke (Kapitel 18), der sich an den in Kapitel 9 und 10 aufgestellten Kategorien orientiert, erschließt und für die Analyse zugänglich und zitierbar macht.
Das folgende Kapitel (11) bietet die Quintessenz der Arbeit. Noch einmal nennt Sieverling die für Akarnanien belegten Nahrungsmittel und ordnet sie ihren Verarbeitungs- und Verzehrweisen zu, wie sie zuvor im Quellenüberblick gesammelt wurden. Die Keramik spielt dabei kaum eine Rolle, umso mehr dafür im folgenden Abschnitt zur Entwicklung der Ess- und Trinkkultur in Stratos und Umgebung. Hier gelingen Sieverling wichtige Beobachtungen, wie etwa zu Veränderungen bei Gefäßformen, dem Aufkommen der Kotyle oder dem Einsetzen korinthischen Einflusses seit dem ausgehenden 8. Jahrhunderts v.Chr. Insgesamt scheint sich nach Ausweis der einschlägigen Keramik die Ess- und Trinkkultur Akarnaniens mit dem 8. Jahrhundert v.Chr. stark verändert zu haben. Die Tischgefäße wurden flacher und kleiner, was Sieverling schlüssig als Hinweis auf festere und kleinteiligere, d.h. wohl aufwendiger zubereitete und präsentierte Nahrung beim Mahl deutet. Inwiefern Stratos und die Stratiké entsprechend der Kapitelüberschrift ein "Fallbeispiel" für die "griechische Ernährung" sein können (oder eben nicht), spricht Sieverling nicht an. Hier wäre etwa auf lokale Besonderheiten der Landwirtschaft einzugehen gewesen, wie sie Sieverling in Kapitel 7 durchaus vorstellt, und wie sie Akarnanien vom übrigen Griechenland absetzen. Auch die Einbindung der literarischen Quellen aus weit entfernten Regionen Griechenlands erfolgt so gut wie immer kommentarlos in der suggestiven Form schlichter Parallelisierung.
Es folgen Zusammenfassungen auf Griechisch (Kapitel 12), Englisch (Kapitel 13) und Deutsch (Kapitel 14), Appendizes zu literarischen Quellen und Gefäßmaßen, das Verzeichnis abgekürzt zitierter Literatur sowie der umfangreiche Katalog mit zugehörigen Tafeln, der die von Sieverling ausführlich beschriebenen und oft auch illustrierten 1700 Objekte aus den o.g. Fundplätzen unter 844 Nummern umfasst.
Die Arbeit ist unter zwei Gesichtspunkten einzuordnen, einerseits als Materialvorlage und Synthese bereits von anderen vorgelegten Materials aus dem Forschungsgebiet der Stratikè, andererseits als Versuch, dieses Material in einen weiteren Kontext des archaischen Griechenland einzubinden. Ersteres gelingt mustergültig, und die gewaltige Arbeitsleistung, die in die Visualisierung und anderweitige Erschließung des Materials geflossen ist, macht die Arbeit und ihre bereits erwähnten wichtigen Ergebnisse leicht zugänglich. Darüber hinaus leistet Sieverling mit der Erstpublikation wichtiger Befunde wertvolle Grundlagenforschung. Zu Letzteren ist freilich zu sagen, dass Sieverling trotz immer wieder angerissener Fragen über den akarnanischen Fokus hinaus keine erkennbaren Ziele verfolgt, obwohl ihre Zusammenstellung aller verfügbaren Quellengattungen dies angesichts der chronologisch wie geographisch weit verstreuten Belege erfordern würde. Ihr Einleitungskapitel "Regionale und soziokulturelle Unterschiede" (4f.) umfasst kaum zwei Seiten. Vor allem bei der Behandlung literarischer Quellen bleibt Sieverling hinter ihrem eigenen Anspruch zurück. Ihre durchaus richtige Einschätzung, dass die Zeugnisse der archaischen Dichtung kein Abbild einer oder mehrerer wie auch immer zu datierenden Lebenswelten sind, sondern der Interpretation ihres diskursgebundenen Kontextes bedürfen (28), kommt aufgrund eines eher antiquarischen Quellenverständnisses nicht zum Tragen. Leider wird auch zentralen Fragen wie der nach einem möglichen Symbolgehalt [2] oder nach literarischer Stilisierung [3] nicht nachgegangen. Die entsprechenden Teile des Buchs sowie die unkommentierten Übersetzungen einiger weniger ausgewählter Texte ("Appendix Schriftquellen" 260-268) werden auch kaum in einen nützlichen Bezug zu den vorgestellten materiellen Quellen gesetzt.
Das Buch ist verlagsseitig sehr qualitätsvoll hergestellt, vom gewählten Papier bis zu den sehr gut reproduzierten Farbtafeln. Die große Zahl an Fehlern in Orthographie und Satzbau freilich hätte durch eine sorgfältige Endredaktion vermieden werden können. Sieverling selbst hat graphisch sehr viel beigetragen, was die Übersichtlichkeit verbessert, von Tabellen über Keramikprofile bis hin zu komplexen Zeichnungen.
Die hier geäußerte Kritik, besonders an der Behandlung literarischer Quellen, soll nicht über den erheblichen Wert dieses innovativen Buchs für die Altertumswissenschaften hinwegtäuschen. Dessen hauptsächliche Ergebnisse, was die Entwicklung der Keramik, aber auch der Ess- und Trinkkultur in und um Stratos angeht, dürften es künftig zurecht zu einem Ausgangspunkt für viele Untersuchungen zu anderen Regionen und Epochen machen. Sieverling hat eine in sich schlüssige und auf vielen Forschungsfeldern weiterführende "Funktionsanalyse der eisenzeitlichen und archaischen Keramik" (Untertitel des Buches) aus Stratos und der Stratiké vorgelegt. Darüber hinaus stellt sie durchaus die richtigen weiterführenden Fragen, auch wenn sie damit meist an der Oberfläche bleibt. Andere Fragen, die vor allem auf der Grundlage des archäologischen Materials künftig noch zu stellen wären, dürften etwa Akkulturationsphänomene (bei Sieverling ist häufig schlicht von "griechischer Ernährung" die Rede) und die Einbindung in den historischen Kontext der Wirtschaft des östlichen Mittelmeerraums betreffen.
Anmerkungen:
[1] Einen Überblick bieten Richard Hunter / Demetra Koukouzika: Food in Greek Literature, in: A Companion to Food in the Ancient World, ed. b. John Wilkins / Robin Nadeau, Malden, MA 2015, 19-29 sowie vor allem Martin Pitts: The Archaeology of Food Consumption, ebenda, 95-104. Speziell für den interdisziplinären Ansatz, den Sieverling verfolgt, wäre es auch hilfreich gewesen, methodisch vergleichbare Überblicksstudien wie etwa diejenige von Hilary E. M. Cool: Eating and Drinking in Roman Britain, Cambridge 2006 heranzuziehen.
[2] Vgl. etwa Egbert J. Bakker: The Meaning of Meat and the Structure of the Odyssey, Cambridge 2013.
[3] Vgl. etwa Anja Bettenworth: Gastmahlszenen in der antiken Epik von Homer bis Claudian. Diachrone Untersuchungen zur Szenentypik, Göttingen 2004.
Werner Tietz