Rezension über:

Michael Maurer: Konfessionskulturen. Die Europäer als Protestanten und Katholiken, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019, 415 S., ISBN 978-3-506-78727-9, EUR 49,90
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Rezension von:
Christian Mühling
Julius-Maximilians-Universität, Würzburg
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Christian Mühling: Rezension von: Michael Maurer: Konfessionskulturen. Die Europäer als Protestanten und Katholiken, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 9 [15.09.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/09/33110.html


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Michael Maurer: Konfessionskulturen

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Kulturgeschichte ist seit den 1990er Jahren das dominierende Paradigma in der deutschen Geschichtswissenschaft. Michael Maurer greift es für eine Geschichte von Protestanten und Katholiken im Europa der Neuzeit auf. Eine Konfessionskultur definiert er dabei als lebenspraktische Wirkung des Konfessionellen (8).

Seine Untersuchung gliedert sich in vier Hauptkapitel, von denen das erste sich mit der Entstehung der Konfessionen am Beginn der Frühen Neuzeit auseinandersetzt. Der Autor betrachtet hierfür zunächst die mittelalterlichen Voraussetzungen der Reformation und behandelt anschließend ihre theologischen Hauptströmungen. Es folgen Ausführungen zur Reformation in den Niederlanden, Skandinavien, auf den britischen Inseln, in Frankreich, Polen und Ungarn. In Bezug auf die katholischen Reaktionen und Parallelentwicklungen plädiert Maurer für die Beibehaltung des Begriffspaares "Katholische Reform und Gegenreformation", da dieses sowohl auf die Reformanstrengungen innerhalb der Papstkirche als auch auf die Abwehr des Protestantismus hinweise (84). Die Heterogenität des Katholizismus sei vom Protestantismus deutlich übertroffen worden. Als einigendes Band der protestantischen Kirchentümer hätte lediglich die Feindschaft zur römischen Kirche fungiert (107). Durch die Reformation und Konfessionalisierung sei es trotz der jeweiligen Binnendifferenzierung letztlich aber zur Ausbildung zweier konfessioneller Identitätssysteme gekommen, die miteinander konkurrierten (112).

Das zweite Hauptkapitel knüpft an diese Feststellung an und befasst sich systematisch mit der Ausprägung konfessioneller Identitäten. Behandelt werden der Zusammenhang von Konfession und Individualisierung, der konfessionelle Charakter von Bildung, katholischer Zölibat und protestantisches Eheverständnis, die Rolle von Frauen in der Kirche, Sozialdisziplinierung und Arbeitsethik, Armenfürsorge, Feiertagsregelungen, der unterschiedliche Umgang mit Kunst und Architektur, der Bibel und Musik. Hierbei orientiert sich Maurer häufig an klassischen Großtheorien wie Max Webers These von der protestantischen Arbeitsethik oder Ernst Troeltschs Individualisierungsthese, die er pointiert zu den jeweiligen Konfessionskulturen in Verbindung setzt.

Das dritte Hauptkapitel vertritt die These einer kulturellen Hegemonie des Protestantismus, die sich im Zuge der Aufklärung entfaltet habe. Der moderne Toleranzgedanken sei namentlich in den Niederlanden, beim Westfälischen Frieden und in England verwirklicht worden. Als lebendiges Beispiel hätten die Hugenotten die Idee der Toleranz in ganz Europa verbreitet. Durch die Religionspolitik aufgeklärter Herrscher habe sich aus Gründen der Staatsräson die Idee konfessioneller Toleranz im Bereich des Politischen etabliert. Die dominante Stellung von Protestanten im Druckgewerbe und Journalismus habe schließlich zur Etablierung eines hegemonialen protestantischen Diskurses geführt (264), der den Katholizismus im Rahmen der sogenannten schwarzen Legende perhorreszierte. Die protestantische Aufklärung habe den universellen Charakter des Christentums hervorgehoben und so auf eine Überwindung des Konfessionellen gezielt. Diese Sichtweise setzte sich in den intellektuellen Diskursen am Ende der Frühen Neuzeit gegen die katholische Perspektive durch (267). Trotz der Existenz einer katholischen Aufklärung sei das 18. Jahrhundert von einem markanten Antikatholizismus gekennzeichnet gewesen (275). Die katholische Amtskirche hingegen habe sich wegen des Antimodernismus der Päpste in großen Teilen scharf von den Ideen der Aufklärung abgrenzt (279). Ein abschließendes Unterkapitel behandelt die Folgen des Aufklärungsdiskurses in der französischen Revolution, der längerfristig politisch zur Trennung von (Konfessions-)Kirchen und Staat geführt habe (284).

Das vierte Hauptkapitel schließt daran an und widmet sich den Prozessen der Dekonfessionalisierung und Rekonfessionalisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Dabei konstatiert der Autor zunächst ein Wiedererstarken des Katholizismus in der Romantik, während die Gesellschaft sich gleichzeitig verweltlichte (295f.). Das Papsttum verurteilte moderne Ideen und die Trennung von Kirche und Staat, bevor das I. Vatikanische Konzil den Papst für unfehlbar erklärte (311f.). Protestantische Theologen hingegen beteiligten sich aktiv an der Sakralisierung der Nation (302). Aber auch im Katholizismus gingen Konfession und Nationalismus eine Symbiose ein, wie Maurer anhand der Beispiele Polens und Irlands belegt (304-309). Auf der anderen Seite kam es in Frankreich und Italien zu einer Auseinandersetzung zwischen modernem Nationalstaat und katholischer Kirche. Die faschistischen Regime in Italien und Spanien hingegen seien eine Allianz mit dem Katholizismus eingegangen (321, 324f.). Im Dritten Reich habe sich die katholische Kirche im Gegensatz zu einem mehrheitlich kooperativen Protestantismus als Opposition zum Regime erwiesen (327). Gleiches gelte später für den Katholizismus im kommunistischen Polen (332f.). In neuerer Zeit habe der Konfessionalismus in einer weitgehend entchristlichten Welt der Ökumene Platz gemacht (338).

Michael Maurer hat mit seinem Buch "Konfessionskulturen" die nicht ganz einfache Aufgabe übernommen, die kulturelle Bedeutung von Protestantismus und Katholizismus en longue durée darzustellen. Angesichts seiner großen europäischen Perspektive können einzelne Ungenauigkeiten fast nicht ausbleiben. So war bspw. Genf im 16. Jahrhundert nicht Bestandteil der Eidgenossenschaft (28); die "Confessio Gallicana" kein staatlich sanktioniertes Positionspapier (84).

Einige Begriffsverwendungen werfen weiteren Klärungsbedarf auf. Der Ausdruck "reformiert" wird einerseits für alle Protestanten, andererseits speziell für die Anhänger der Genfer und Schweizerdeutschen Reformation verwendet (116, 155, 194). Das Attribut "gälisch" verweist genuin auf die katholischen Bewohner Irlands (255, 307), obwohl ein nicht unbeträchtlicher Teil der katholischen Bevölkerung englischsprachig war. Im Nachbarland Schottland war gar die Mehrheit der gälischsprachigen Bevölkerung reformiert und somit weder irisch noch katholisch.

Einer weiteren Diskussion bedarf das stellenweise Festhalten an älteren Forschungspositionen. Das gilt etwa für die These, die Konfessionalisierung habe um 1650 ihren weitgehenden Abschluss gefunden (84) [1] oder das Konzept des Absolutismus (245) [2].

Auch wenn manche Einschätzungen sicher diskutiert werden können, handelt es sich doch um ein intelligentes und gut geschriebenes Buch. Sein bleibendes Verdienst ist es, eine breitere Öffentlichkeit für die kulturelle Bedeutung konfessioneller Gegensätze zu sensibilisieren. Dieser Aufgabe kommt mit dem Prozess weitreichender Entchristlichung eine große Bedeutung zu, wie der Autor völlig zurecht feststellt (344).


Anmerkungen:

[1] Dem widerspricht bspw. auf breiter Quellengrundlage: Andreas Holzem: Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570-1800, Paderborn [u.a.] 2000.

[2] Vgl. Lothar Schilling (Hg.): Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz, München 2008.

Christian Mühling