Rezension über:

Sebastian Kasper: Spontis. Eine Geschichte antiautoritärer Linker im roten Jahrzehnt, Münster: Edition Assemblage 2019, 253 S., ISBN 978-3-96042-049-1, EUR 14,00
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Rezension von:
Jens Benicke
Freiburg/Brsg.
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Jens Benicke: Rezension von: Sebastian Kasper: Spontis. Eine Geschichte antiautoritärer Linker im roten Jahrzehnt, Münster: Edition Assemblage 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 9 [15.09.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/09/33367.html


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Sebastian Kasper: Spontis

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In den letzten Jahren wurde den Zerfallsbewegungen, die auf die 68-Revolte im "roten Jahrzehnt" (Gerd Koenen) folgten, verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Meist betonte man dabei den Bruch mit der antiautoritären Revolte, ob nun durch den hierarchischen Parteiaufbau der mao-stalinistischen K-Gruppen oder durch den bewaffneten Kampf der Stadtguerillagruppen. Organisationen und Bewegungen, die sich dagegen in der Tradition der antiautoritären Revolte der Sechziger gesehen haben, wie das Sozialistische Büro in Offenbach oder die so genannten Spontis wurden dagegen eher vernachlässigt.

Wenn es dann doch zu einer Beschäftigung mit den Spontis kam, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit meist entweder reißerisch auf einige prominente Exponenten der Bewegung wie Joschka Fischer oder Daniel Cohn-Bendit, die später bei den Grünen Karriere gemacht haben [1], oder das Interesse kaprizierte sich ganz auf die vermeintlich typischen Sponti-Sprüche [2]. Eine Beschäftigung mit den Inhalten oder eine Entwicklungsgeschichte der Spontis suchte man dagegen bisher vergebens.

Diesen Missstand behebt nun Sebastian Kasper in seinem Buch über die Spontis. Er unterteilt seine Untersuchung chronologisch und thematisch stringent in vier Teile: Die Entstehungsphase der Spontis aus dem antiautoritären Flügel der 68er-Bewegung (1967-1970/71), die Konzentration der Spontis auf die Fabrikintervention und den proletarischen Lebenszusammenhang (1971-1974), die alternative Wende (1974-1979) und den Zerfall der Spontis (1979-1982/83).

Insbesondere die zweite Phase verdient besondere Beachtung. Denn sie widerspricht dem gängigen Bild der Spontis als militantem Flügel der Alternativbewegung. Das Buch zeigt, wie die Bewegung versuchte, die Grenzen der 68er-Revolte, an der diese letztendlich scheiterte, zu überwinden, ohne dabei deren antiautoritären Gehalt aufzugeben. Im Rahmen der so genannten Proletarischen Wende, die mit der wilden Streikwelle im September 1969 einsetzte, begann in großen Teilen der Protestbewegung eine inhaltliche Retraditionalisierung. Sie orientierte sich inhaltlich vor allem am Leninismus. Die Spontis bezogen in dieser Auseinandersetzung die Gegenposition zu den entstehenden Kader-Organisationen (K-Gruppen, DKP und trotzkistischen Vereinigungen). Diese bezichtigten sie deshalb des Spontaneismus. Die Aktivistinnen und Aktivisten widmeten diese negative Fremdzuschreibung in den späteren Phasen positiv um, und die Spontis hatten somit ihren Namen. Die drei in den frühen Phasen bedeutendsten Organisationen des Spontaneismus, auf die sich Kasper in seiner Untersuchung konzentriert, der "Revolutionäre Kampf" in Frankfurt, die "Proletarische Front" in Hamburg und die "Arbeitersache" in München, stellten sich zwar in der historischen Auseinandersetzung zwischen Rosa Luxemburg (Spontanität der Massen) und Lenin (Partei als Avantgardeorganisation des Proletariats) auf die Seite Luxemburgs, vertraten dabei aber keine rein voluntaristischen Positionen. An dieser Stelle hätte man sich vom Buch eine etwas tiefergehende Beschäftigung mit den theoretischen Debatten und (Selbst-)Einordnungen der Spontis in die historische Diskussion und in die politischen Auseinandersetzungen der Zeit gewünscht.

Anhand des wichtigsten Bezugspunktes der frühen Sponti-Gruppen, des italienischen Operaismus, leistet das Buch dies vorbildlich. Wie aus der Namensgebung der drei Gruppen schon ersichtlich, lag der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten zu Beginn im Versuch, eine nicht paternalistische Betriebspolitik zu entwickeln. Dabei orientierten sie sich am Konzept der so genannten Conricerca der italienischen Operaistinnen und Operaisten [3], was im deutschen meist mit "militante Untersuchung" übersetzt wird. Demzufolge sollten die Aktivistinnen und Aktivisten in die Betriebe gehen, dort Konfliktpotentiale ergründen und diese zuspitzen. Aber im Gegensatz zu den leninistischen Gruppen traten die Spontis nicht als Avantgarde der Arbeiterklasse auf, sondern beabsichtigten ihre Untersuchung und eventuell daraus entstehende Aktionen gemeinsam mit den Arbeiterinnen und Arbeitern im Betrieb zu entwickeln.

Diese Konzentration auf die Arbeitsverhältnisse - noch getrieben von der revolutionären Hoffnung der weltweiten Kämpfe Ende der 1960er und Anfang der 1970er-Jahre - stellte letztlich nur eine Phase der Sponti-Aktivitäten dar, die bereits nach einigen Jahren desillusioniert aufgegeben wurde. Die Spontis richteten ihre Aufmerksamkeit dann auf den so genannten Häuserkampf, zuerst noch in Unterstützung der Mietkämpfe migrantischer Arbeiterinnen und Arbeiter. Später entwickelte sich aus diesen Hausbesetzungen ein politisches Milieu. Immer weniger von fest strukturierten (Polit-)Gruppen getragen, entwickelte sich daraus ein lebensweltlicher Zusammenhang aus besetzten Häusern, Wohngemeinschaften, Zeitschriften und Alternativbetrieben. Es entstand "die Szene". Der Autor erklärt diese Entwicklung, den Rückzug der Spontis in das eigene Alternativ-Milieu, mit einer tiefsitzenden Enttäuschung über das Ausbleiben revolutionärer Veränderungen. Somit stellte sich den Spontis dieselbe Frage, wie den antiautoritären Aktivistinnen und Aktivisten von 1968: Wie lassen sich die für eine revolutionäre Umwälzung notwendigen "Langfristigkeits- und Kontinuitätserfordernisse" [4] so organisieren, dass es weder zu einem autoritären Dogmatismus, wie bei den K-Gruppen kommt noch zu einer entpolitisierenden Verengung auf eine Selbstveränderung des Bewusstseins wie in der Alternativbewegung? An dieser Frage scheiterten letztendlich auch die Spontis. Dies nochmal ins Bewusstsein gerufen zu haben, ist das Verdienst dieses sehr lesenswerten Buches.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Christian Y. Schmidt: "Wir sind die Wahnsinnigen...". Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang, München 1998.

[2] Vgl. Hans Gamber / Claudia Glismann (Hgg.): Graffiti. Sprüche aus der Szene, Gütersloh 1983/1984.

[3] Vgl. Steve Wright: Den Himmel stürmen. Eine Theoriegeschichte des Operaismus, Berlin / Hamburg 2005.

[4] Hans-Jürgen Krahl: Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution. Schriften, Reden und Entwürfe aus den Jahren 1966-1970, Frankfurt/M. 1971, 283.

Jens Benicke