Irene Kubiska-Scharl / Michael Pölzl: Das Ringen um Reformen. Der Wiener Hof und sein Personal im Wandel (1766-1792) (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs; Bd. 60), Innsbruck: StudienVerlag 2018, 756 S., ISBN 978-3-7065-5638-5, EUR 49,20
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Das Buch stellt die Fortsetzung zu dem 2013 an anderer Stelle erschienenen Band "Die Karrieren des Wiener Hofpersonals 1711-1765" [1] dar, auch wenn es nicht als solche gekennzeichnet ist. Der Aufbau folgt dem des Vorgängerbands: An einen umfangreichen darstellenden Teil schließen sich zwei Verzeichnisse des Personals des Wiener Hofs der Jahre 1766-1792 an, und zwar einmal sortiert nach den einzelnen Hofstaaten und Ämtern, und einmal in alphabetischer Reihenfolge der Amtsinhaber und Amtsinhaberinnen. Damit liegt nun für die Regierungszeiten Maria Theresias, Josephs II. und Leopolds II. (mit gelegentlichen Ausblicken auf die Regierungszeit Franz' II.) ein solides Grundlagenwerk zum Wiener Hof und seinem Personal vor. Es wird sich rasch als unverzichtbares Nachschlagewerk für alle erweisen, die sich mit dem Kaiserhof des 18. Jahrhunderts beschäftigen, wie die Rezensentin aus eigener Erfahrung mit dem 1. Band bereits feststellen konnte. Allerdings könnte man sicher trefflich darüber streiten, ob es noch zeitgemäß ist, solche Listen zwischen zwei Buchdeckeln zu publizieren.
Welches Potential die Auswertung dieser Listen birgt und welche Erkenntnisse im Laufe der Erarbeitung der Verzeichnisse gewonnen wurden, macht der Darstellungsteil deutlich. Während im ersten Band an dieser Stelle vor allem einleitende Erläuterungen zu den zugrundeliegenden Quellen sowie zur Struktur des Hofs ihren Platz fanden - die in diesem Fall nicht wiederholt werden mussten - , bietet der Darstellungsteil des vorliegenden Bands einen chronologischen Überblick über die verschiedenen Phasen der Hofreformen sowie Einzeluntersuchungen zu bestimmten Fragestellungen. Deren Auswahl wird nicht explizit begründet, sie dürfte wohl den Interessen der Verfasser*innen geschuldet sein.
Der im Titel vorkommende Begriff der Reformen dient der Einbettung der Vorgänge in die Diskussion um den Aufgeklärten Absolutismus und den damit einhergehenden Reform- und Machbarkeitsoptimismus, ein Ansatz, der in der Darstellung freilich nicht konsequent weiterverfolgt wird. Denn zu diskutieren wäre ja durchaus, ob den hier für die Zeit nach 1765 postulierten Reformen ein prinzipiell anderer Ansatz zugrunde lag als den bereits von Maria Theresia nach 1740 angestoßenen Veränderungen, die hier als "praxis- und lösungsorientiert" (285) bezeichnet werden. Hinter dieser Bewertung könnte sich die Annahme verbergen, dass als Motiv für die Reformen Josephs - außer dem Willen zu Einsparungen - doch auch andere, grundsätzliche, eben vielleicht "aufgeklärte", Überlegungen zu vermuten sind. Solche Fragen lassen sich freilich nicht anhand der Personallisten beantworten, sondern die entsprechenden Andeutungen stellen das Ergebnis der Beschäftigung mit den Entscheidungsprozessen am Wiener Hof dar, bei denen diesbezügliche Argumentationen gelegentlich erkennbar werden. Insgesamt wird - angesichts der Abbildung von Joseph auf dem Titelblatt und der Konzentration auf die Zeit nach 1765 nicht unbedingt zu erwarten - doch betont, wie groß die Kontinuitäten über den gesamten Untersuchungszeitraum waren und wie hoch der Anteil Maria Theresias in diesem Prozess einzuschätzen ist. Denn zu Recht wird hervorgehoben, dass in der Hofpolitik keine grundsätzlichen Differenzen zwischen Maria Theresia und Joseph bestanden, dass die Kaiserin vielmehr die von ihrem Sohn angestoßenen Maßnahmen mitgetragen hat, ja: dass sie vielleicht ganz froh war, als Joseph Dinge in Angriff genommen hat, die unter ihrer bisherigen Regierung liegengeblieben waren bzw. vor deren Ausführung sie vielleicht zurückgeschreckt war. Für die Beantwortung solcher Fragen ist das Werk freilich zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt erschienen. Denn die im Zusammenhang mit dem Maria-Theresia-Jubiläum 2017 erschienenen Biographien [2], die auch manches zu dem Mutter-Sohn-Verhältnis enthalten, werden zwar erwähnt, konnten aber erkennbar nicht mehr eingearbeitet werden. Stehengeblieben ist auch der Satz, dass zu Maria Theresia im Unterschied zu Joseph auf ältere Arbeiten zurückgegriffen werden müsse (34).
Im Einzelnen werden Detailuntersuchungen vorgelegt zur Kanzlei des Obersthofmeisters, der Hofwirtschaft, der Seelenbeschreibung am Wiener Hof (eine Art Volkszählung) sowie dem Gericht des Obersthofmeisters. Der letztgenannte Beitrag wurde von Yasmin-Sybille Rescher verfasst und ist aus ihrer Dissertation hervorgegangen, er stammt als einziger nicht von den beiden Listenbearbeiter*innen. Ein geradezu modern anmutendes Problem behandelt der Beitrag über das Pensionsnormale und das Hofquartierwesen. Mit der Zuweisung von Hofquartieren, also Dienstwohnungen, wurde versucht, auf dem überteuerten Wiener Wohnungsmarkt Wohnungen für die Hofbediensteten bereitzustellen. Mit der Abschaffung dieses Hofquartierwesens durch Joseph 1781 und der Ersetzung der Bereitstellung von Wohnraum durch eine Abgabe wurde der Wohnungsmarkt dann wieder stärker dem freien Spiel der Kräfte überlassen, wie man das in modernen Termini fassen würde. Beim Thema Pensionsnormale, das auf das virulente Problem der Versorgung der Hofbediensteten und ihrer Familien im Alter reagierte, zeigt sich, dass damit zwar weitgehend eine schon existierende Praxis festgeschrieben, gleichzeitig aber erstmals ein Rechtsanspruch formuliert wurde, wenn auch nur für einen relativ kleinen Personenkreis, und anders als man aus heutiger Sicht vielleicht erwarten würde, ausgerechnet für die bessergestellten höheren Chargen. Dennoch handelt es sich bei dem Pensionsnormale um eine wahrhaft zukunftsweisende Maßnahme, mit der der Kaiserhof auch im internationalen Vergleich eine Vorreiterrolle übernahm.
Einen bisher in der Forschung kaum behandelten Aspekt des Hoflebens thematisiert das letzte Kapitel über den "Hof in Krisenzeiten". Dabei geht es um die Flucht des Hofes aus Wien in Pest- oder Kriegszeiten bzw. - eher ungewöhnlich - seine "Kasernierung" in der Hofburg während der Pest 1713. In diesem Kapitel greift die Darstellung über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinaus, da bis auf 1741/42 diese Krisen entweder früher oder später auftraten. Plastisch wird, welche Herausforderung eine solche Ortsverlagerung des Hofs darstellte, weil man eben so lange wie irgend möglich die "Normalität" und das hieß neben dem Funktionieren der Verwaltung eben auch das für notwendig erachtete Maß an Repräsentation aufrechterhalten wollte.
Die Beiträge sind allesamt aus exzellenter Quellenkenntnis geschöpft und bieten interessante Einblicke in den Alltag und das Funktionieren des Kaiserhofs im 18. Jahrhundert. Sie deuten zudem an, welche Forschungen mit dem durchgearbeiteten Material und den bereitgestellten Listen möglich sind und formulieren an etlichen Stellen auch explizite Forschungsdesiderate. Sie bleiben freilich vielfach auf einer eher deskriptiven Ebene stehen und schreiben sich kaum ein in die aktuelle Forschung zu Hof, Eliten, Staatsbildung, Verwaltung, Frauen am Hof - alles Bereiche, zu denen sich hier reichlich Material findet.
Anmerkungen:
[1] Irene Kubiska-Scharl / Michael Pölzl: Die Karrieren des Wiener Hofpersonals 1711-1765. Eine Darstellung anhand der Hofkalender und Hofparteienprotokolle (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte; 58), Innsbruck 2013.
[2] Thomas Lau: Die Kaiserin, Maria Theresia 1717-1780, Wien / Köln / Weimar 2016; Elisabeth Badinter: Maria Theresia. Die Macht der Frau, Wien 2017; Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München 2017.
Bettina Braun