David J. Collins (ed.): The Sacred and the Sinister. Studies in Medieval Religion and Magic, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2019, VIII + 292 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-0-271-08240-0, USD 74,95
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"Das Heilige und das Höllische" (will man die Alliteration wahren) ist eine Festschrift für Richard Kieckhefer, der durch seine kompetenten Publikationen Vieles zur Kenntnis der Religion des späten Mittelalters beigetragen hat, namentlich in den Bereichen Hagiographie, Hexenverfolgung und Magie. Es sind im vorliegenden Band, von der Einleitung abgesehen, zehn Beiträge anglophoner AutorInnen - discipuli, collegae, amici - versammelt, die sich wie üblich als von recht diverser Thematik und Qualität erweisen.
Wertvoll ist Katelyn Meslers Erstedition der Passagen über die Rechte der Inquisition gegenüber Juden und Muslimen, die der bekannte Dominikanertheologe Nicholas Eymerich in einem noch ungedruckten Traktat Contra infideles demones invocantes forumuliert hat (163-199). Natürlich sammelte der Autor jene Bibel-Stellen und sonstigen Argumente, die für eine solche Kompetenz sprechen, und bereitete sie nach der scholastischen Quaestionen-Methode auf. Anscheinend handelt es sich bei diesem Beitrag um eine Probe aus einer geplanten - wünschenswerten - Ausgabe der gesamten Abhandlung.
Ebenfalls textphilologisch geht der Aufsatz von Sean Field vor (41-67): Er befasst sich mit dem hagiographischen Werk einer Stefania genannten Verehrerin der hl. Margherita Colonna OSCl, das sich in seinen Formulierungen vielfach an ältere Schriften (von Cassian, Arnulf von Lisieux, Gregor IX. u.a.) anlehnt - aber wie sollte es anders sein? Welche mittellateinische Vita täte dies nicht?
Dass der Begriff raptus im Mittellateinischen sowohl juridisch auf Entführung und Vergewaltigung abhebt als auch religiös die Entraffung oder Ekstase meint, ist wohl bekannt. Elizabeth Casteen stellt einige Belege für beide Bedeutungen zusammen (91-116), ohne viel Neuland zu betreten, was mangels der Kenntnis einschlägiger Editionen und Sekundärliteratur nicht wirklich verwundert. [1]
Hängen die Konzeptionen von Geisteskrankheit und Magie im spätmittelalterlichen Deutschland zusammen? Diese Frage behandelt Anne Koenig unter dem Titel Magicking Madness (201-230), kommt aber nach Analyse verschiedener Quellenarten zu dem Schluss, dass man damals nur sehr selten einen solchen Zusammenhang hergestellt hat. [2] Ein solcher negativer Befund erspart hoffentlich künftigen Dissertanten immerhin das Beschreiten eines Holzweges.
Eine Studie über gelehrte Dämonologie durfte in dieser Festschrift kaum fehlen; sie wird von Sophie Page beigesteuert (235-254). Sie zeigt an theologischen, naturkundlichen, auch volkssprachlichen Texten sowie einigen bildlichen Darstellungen für das 13. bis 15. Jahrhundert auf, wie Dämonen als Agenten einer Beeinflussung der himmlischen Erscheinungen vorgestellt wurden, wie sie also in den Bereich der Astrologie hineinwirkten. Als Grundlage ist laut Page von der Rezeption der aristotelischen Kosmologie auszugehen.
Ein Detail der Theologie des Albertus Magnus wird vom Herausgeber David Collins S.J. diskutiert, nämlich seine Ansichten über die neutestamentlichen magi, die drei Weisen aus dem Morgenland. Der Terminus in der Vulgata war natürlich geeignet, an der positiven Zeichnung dieser Heiligen Zweifel aufkommen zu lassen, die ihre letzte Ruhestätte im Kölner Dom gefunden haben. Albertus interessierte sich als Naturwissenschaftler aber primär für den Stern von Bethlehem und untersuchte, wie sein Auftreten vor dem Hintergrund der gelehrten Himmelsmechanik zu verstehen sei (257-276).
Nicht zur Lektüre empfehlen kann ich bedauerlicherweise die weiteren Abschnitte, nämlich den ganz willkürlichen Vergleich zwischen Franz von Assisi und Christina von St. Trond (Claire Fanger), den lokalgeschichtlichen Essay über englische Kirchenarchitektur (Kristi Woodward Bain), die gänzlich innovativer Ansätze ermangelnde Zusammenfassung über das Syneisaktentum (Maeve Callan) sowie die nichtssagende Kritik an Herbert Grundmann vonseiten Michael Bailey's. Dergleichen einem so ausgewiesenen Kenner der Materien wie Kieckhefer zu widmen, wirkt schon nahezu befremdlich.
Anmerkungen:
[1] Zitiert wird die frankoprovenzalische Vita der hl. Douceline von Digne nach der ungenauen Edition von 1879 statt nach der kritischen von R. Gout (Paris 1927). Nicht englischsprachige Literatur zum raptus ist der Verfasserin unbekannt (z.B. Peter Dinzelbacher: Vision und Visionsliteratur im Mittelalter, Stuttgart 2. Aufl. 2017, S. 105-111 u. pass.).
[2] Koenig hat weder das unverzichtbare Standardwerk von H. H. Beek: Waanzin in de middeleeuwen, Nijkerk 1969 konsultiert, noch die aktuellen vier Bände von Richard Golden (Hg.): Encyclopedia of Witchcraft. The Western Tradition, Santa Barbara 2006, was die Geltung ihrer Ausführung einigermaßen schmälert.
Peter Dinzelbacher