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Margit Reiter: Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ, Göttingen: Wallstein 2019, 392 S., 17 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3515-8, EUR 28,00
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Rezension von:
Thomas Riegler
Wien
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Thomas Riegler: Rezension von: Margit Reiter: Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ, Göttingen: Wallstein 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 12 [15.12.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/12/33539.html


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Margit Reiter: Die Ehemaligen

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Einen wichtigen Beitrag zur österreichischen Zeitgeschichte liefert Margit Reiter mit der hier zu besprechenden Monografie: "Die Ehemaligen" ist die erste quellengestützte Studie zur "Vor- und Frühgeschichte" der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die 1956 aus dem Verband der Unabhängigen (VdU) hervorging. Obgleich Reiter der Zugang zu den Parteiarchiven von VdU und FPÖ nicht gewährt wurde, konnte sie neue Primärquellen - wie den Nachlass des ersten FPÖ-Bundesparteiobmanns Anton Reinthaller - auswerten.

Der Fokus des Buchs liegt auf den ideologischen und personellen Kontinuitäten zwischen VdU/FPÖ und den "Ehemaligen" - darunter sind ehemalige Nationalsozialisten zu verstehen, "die auch nach 1945 ihren Überzeugungen mehr oder weniger treu geblieben sind". Im Unterschied zu den anderen Parteien und deren "braunen Flecken" seien der VdU und "im noch größeren Ausmaß" die FPÖ "die parteipolitischen Repräsentanten dieses 'Ehemaligen'-Milieus" gewesen (10).

Den Anfang setzte der 1949 gegründete VdU mit seinem Kampf gegen die Entnazifizierung, die für den Großteil der 700.000 ehemaligen NSDAP-Mitglieder in Österreich Registrierung, Berufsverbote, Sühnemaßnahmen und Wahlausschluss bedeutet hatte. Rund 2.000 Personen wurden wegen NS-Gewaltverbrechen von Volksgerichten verurteilt. Insgesamt über 10.000 ehemalige NS-Funktionsträger wurden bis 1947 in alliierten Internierungslagern festgehalten. Bereits Ende der 1940er Jahre verschob sich die Priorität aber zugunsten der gesellschaftlichen und politischen Reintegration. Diese nachsichtige Politik, so Reiter, spiegelte die Machtverhältnisse in der österreichischen Nachkriegsdemokratie wider: Die "Kriegsgeneration" war zahlenmäßig stärker als die verhältnismäßig wenigen NS-Widerstandskämpfer und NS-Opfer. Das führte ab Ende der 1940er Jahre "zu einer Aufwertung der ehemaligen Wehrmachtsoldaten und der entlasteten 'Mitläufer' und einer gleichzeitigen Abwertung und Diffamierung der NS-Gegner und NS-Opfer" (23).

VdU-Parteigründer Herbert Kraus wurde finanziell von national orientierten Industriellen aus Oberösterreich unterstützt. Der "strikte Antikommunist" Kraus hatte im 2. Weltkrieg als Abwehroffizier in der Ukraine gedient und war an der Ausbildung der zur Partisanenbekämpfung eingesetzten Wlassow-Truppen beteiligt. Trotzdem stellte er sich später als ideologiefreier Unbeteiligter dar (78). Nach Kriegsende war Kraus mit der US-amerikanischen Besatzungsmacht im Austausch und wurde Informant des Counterintelligence Corps (CIC). Er profilierte sich politisch früh mit Agitation gegen die Entnazifizierung und neigte dabei zu "maßlosen Übertreibungen und zu Vergleichen, die häufig in Gleichsetzungen und Aufrechnungen mit den NS-Verbrechen mündeten" (84).

Nach dem Erfolg bei den Wahlen im Oktober 1949 zog der VdU mit 16 Abgeordneten in den Nationalrat ein: "Damit hatte der Kampf gegen die Entnazifizierung und für die vollständige Rehabilitierung der ehemaligen Nationalsozialisten auch Eingang in das Parlament gefunden." (127) Kraus versuchte, den VdU in weiterer Folge als "liberale" Kraft zu positionieren, geriet aber gegenüber dem ungleich stärkeren "nationalen" Segment ins Hintertreffen (120). Nach internen Querelen und Wahlniederlagen wurde schließlich 1956 der VdU von der neugegründeten FPÖ absorbiert. Allerdings, so Reiter, sei die "gängige Vorstellung eines klaren Bruchs zwischen dem angeblich 'liberalen' VdU und einer 'nationalen' FPÖ" nicht aufrechtzuerhalten, "denn schon im VdU waren viele ehemalige Nationalsozialisten vertreten, die auch wieder in der FPÖ aktiv waren" (225).

Symptomatisch dafür steht der erste FPÖ-Parteiobmann: Anton Reinthaller war 1938 SS-Oberführer gewesen und wurde drei Jahre später zum SS-Brigadeführer befördert. Er galt als Landwirtschaftsexperte und war zwischen 1942 und 1945 Landesbauernführer Niederdonau. Als "alter Kämpfer" und NS-Multifunktionär sei Reinthaller zweifellos "fest im nationalsozialistischen System verankert und ohne Zweifel ein ideologisch überzeugter Nationalsozialist" gewesen (180), auch wenn er sich nach 1945 stets darum bemüht habe, "seine Rolle und Funktionen im Nationalsozialismus stark abzuschwächen" (187). Dabei sei Reinthaller seiner Gesinnung "weitgehend treu geblieben", habe sich aber "zumindest partiell" an die "ohnehin nicht sehr strengen normativen Vorgaben offizieller Vergangenheitspolitik in Österreich angepasst" (190).

Reiters Studie hat die Anfänge der FPÖ im Fokus und geht dementsprechend auf die Entwicklung in den 1970er und 1980er Jahren nur überblicksmäßig ein. Ihr Befund ist, dass sich die Partei damals als rechte "Weltanschauungspartei" mit deutschnationaler Ausrichtung positionierte (257). Die "Klientelpolitik" des VdU für die "Ehemaligen" sei "ungebrochen" fortgesetzt worden (259). Ein Generationenwechsel vollzog sich nur "teilweise". Die meisten "altbekannten 'Ehemaligen'" behielten ihre Funktionen und hatten in der FPÖ nach wie vor "großes Gewicht" (249). Bedingt durch persönliche und ideologische "NS-Kontinuitäten" sowie durch Verbindungen in rechtsextreme Milieus und Organisationen habe sich die FPÖ "nicht nur in ihren Anfängen, sondern im Laufe ihrer gesamten Geschichte immer wieder an der Grenze zum Rechtsextremismus" bewegt (281). Die NS-Vergangenheit - "von der man sich - so scheint es - nicht lösen kann und will" - wirke bis heute nach (287).

Reiters gut lesbare Studie ist als wichtiger Referenzpunkt für weitere Forschung anzusehen. Ein lohnenswertes Feld, das die Autorin nur kurz anreißt, wäre die in US-amerikanischen Quellen dokumentierten Verbindungen von Kraus und anderen VdU-Spitzen zur US-Besatzungsmacht. Darüber hinaus stellt sich generell die Frage, welche Rollen der Kalte Krieg und Antikommunismus bei der Formierung der Partei gespielt haben [1].


Anmerkung:

[1] Siehe dazu auch Oliver Rathkolb: NS-Problem und politische Restauration. Vorgeschichte und Etablierung des VdU, in: Sebastian Meissl / Klaus-Dieter Mulley / Oliver Rathkolb (Hgg.): Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich 1945-1955, Wien 1986, 73-99.

Thomas Riegler