Jörg Hackmann / Peter Oliver Loew (Hgg.): Verflechtungen in Politik, Kultur und Wirtschaft im östlichen Europa. Transnationalität als Forschungsproblem (= Veröffentlichungen des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt; Bd. 35), Wiesbaden: Harrassowitz 2018, 211 S., ISBN 978-3-447-10991-8, EUR 29,00
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Frank Hadler / Matthias Middell (Hgg.): Handbuch einer transnationalen Geschichte Ostmitteleuropas. Band 1. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg (= Transnationale Geschichte; Bd. 6), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 685 S., ISBN 978-3-525-30173-9, EUR 75,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Historiografische Publikationen, die sich mit Wörtern aus der Familie "transnational" schmücken, haben seit einigen Jahren Hochkonjunktur. In zunehmendem Maße betrifft dies auch Forschungen zur Geschichte Ostmitteleuropas. Dennoch herrscht immer noch eine gewisse Unklarheit, welche Themenfelder mit welchen Zugängen oder Methoden damit erforscht werden können.
Welch unterschiedliche disziplinäre Anbindungen und Ursprünge Transnationalität hat, thematisiert ein 2018 erschienener Sammelband, dessen Beiträge teilweise auf eine 2012 durchgeführte Tagung zurückgehen. Dabei finden Historiografie, Politikwissenschaft, Soziologie, Anthropologie, Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Kunstgeschichte, Rechtswissenschaft und Religionswissenschaft Berücksichtigung. Etwas aus diesem Rahmen fällt der Beitrag von Corine Defrance, Romain Faure und Thomas Strobel zu transnationalen Verflechtungen der Schulbuchrevision nach 1945. Die Einleitung der die beteiligten Institutionen (Johann Gottfried Herder-Forschungsrat und Deutsches Polen-Institut) vertretenden Herausgeber Jörg Hackmann und Peter Oliver Loew macht schon in ihrem Titel deutlich, dass Transnationalität und Verflechtung hier als verwandte Forschungsfelder angesehen werden. Unklar bleibt jedoch, warum die Herausgeber Transnationalität als Forschungsproblem und nicht als Forschungsgegenstand bezeichnen.
Die folgenden fachwissenschaftlichen Beiträge bieten meist einen kurzen Abriss über die Forschungstraditionen eines Faches und eignen sich als Ausgangspunkte für die eigenständige Vertiefung. Einige Autoren und Autorinnen geben darüber hinaus Einblicke in transnationale Frage- oder Problemstellungen, mit denen sie sich näher auseinandergesetzt haben. Einer der Beiträge verdient es wegen seiner besonderen Originalität, näher vorgestellt zu werden: Piotr Kocyba beschäftigt sich mit sprachwissenschaftlichen Konzeptualisierungen von Verflechtungs- und Vermischungsprozessen. Mit Blick auf ein von Historikern nach der Erstnennung von Pierre-Yves Saunier [1] gern verwendetes Zitat des Sprachwissenschaftlers Georg Curtius aus dem Jahr 1862 stellt er klar, dass dies bisher missverstanden worden sei. Curtius schrieb zwar, dass "jede Sprache in ihrer Grundlage etwas transnationales" sei, grenzte sich dabei aber nicht, wie Saunier schlussfolgerte, von der Verbindung von Sprache und Nation ab, sondern bezog sich auf die Abstammung jeder Sprache von einer Elternsprache (80 f.). Im Folgenden diskutiert Kocyba mehrere Konzepte zur Darstellung von Sprachverwandtschaft, Sprachmischung und Sprachkreuzung und nennt zahlreiche Beispiele dafür, wie in der Historiografie auf diese Konzepte Bezug genommen wurde. So nimmt das Konzept der Kreolsprachen eine kolonialistisch und damit hierarchisch aufgeladene Beziehung zwischen den sich vermischenden Sprachen an. Kocyba plädiert mit Verweis auf das Oberschlesische dafür, dieses Konzept nicht nach Ostmitteleuropa zu übertragen. Er verdeutlicht an diesem Beispiel aber auch, dass Sprachen wie Nationen keine objektiven und unveränderlichen Untersuchungsgegenstände sind. Letzten Endes untersuchen somit Sprachwissenschaftler, die sich für Mischsprachen interessieren, ähnliche Phänomene wie an transnationalen Verflechtungen interessierte Historiker. Für sie sind Sprachen und Nationen Hybride, die sich ständig verändern und auf keinen genetischen Kern zurückzuführen sind. Daher kann Kocyba zugestimmt werden, wenn er für einen stärkeren Austausch zwischen Historiografie und Sprachwissenschaft plädiert.
Zwei weitere Beiträge des Sammelbandes (von Frank Hadler und Matthias Middell sowie von Beata Hock) sind gewissermaßen ein verspätet veröffentlichter Vorgriff auf das zweite hier zu besprechende Werk, das 2016 erschienene Handbuch einer transnationalen Geschichte Ostmitteleuropas. Besonders der Beitrag von Hadler und Middell sei dennoch zur Lektüre empfohlen, da er die zentralen konzeptionellen Überlegungen des Handbuchs in komprimierter Form enthält. Auch Hock gibt einen Einblick in ihre Herangehensweise, wobei besonders ihr letzter Satz im Gedächtnis hängen bleibt, demzufolge ein transnationales Gesamtbild bunter wirke als eine durch die bisherigen Herangehensweisen modellierte Geschichte (150).
Das Stichwort der "Buntheit" charakterisiert das Handbuch gut, obwohl die Herausgeber ihn selbst nicht verwenden. Es liefert kein Gesamtbild, sondern beispielhaft ausgebreitete Farbflecken, welche die Herausgeber als "signifikante Beispiele einer Geschichte der Transnationalität Ostmitteleuropas" (36) bezeichnen. Die Autoren behandeln in thematisch abgegrenzten Kapiteln die Bereiche Territorialisierung, Migration, Kultur, Wirtschaft und Internationalisierung in jeweils 60-120 Seiten. Danach folgt der zweite Hauptteil mit etwa 30 Seiten langen Ausführungen zu Forschungsgeschichte und Forschungsstand der fünf Bereiche, wobei die Forschungs- und Interessenschwerpunkte sowie die Sprachkenntnisse der Autorinnen und Autoren dazu führen, dass hier ein zwar fundierter, aber nicht repräsentativer Ausschnitt gezeigt wird.
Bei der Lektüre der Beiträge zeigt sich, dass Migration, Internationalisierung und Wirtschaft leichter transnational zu beschreiben sind als Kultur und Raumordnung. Dies liegt einerseits daran, dass sowohl Territorialisierung als auch Kultur ihren festen Platz in nationalhistorischen Narrativen haben. Andererseits sind beide Themenfelder so umfangreich, dass sie kaum von einem Autor allein umfassend beschrieben werden können. Konsequenterweise wurde das Kapitel über die Territorialisierung von drei Autoren (Middell, Uwe Müller und Steffi Marung) verfasst. Sie definieren den in der Historiografie meist mit Charles Maier verbundenen Begriff als "den Wandel hin zu moderner Territorialität, die gekennzeichnet ist durch eine eindeutige Grenzziehung zwischen den zu einem Territorium und den eben nicht dazu gehörigen Gebieten, durch eine Homogenisierung der Rechts- und Herrschaftsverhältnisse auf diesem Territorium und durch den Anspruch, zwischen Bewohnerschaft und Territorium eine klare Zugehörigkeitsdefinition zu etablieren" (37). Danach wird hervorgehoben, dass Ostmitteleuropa zu Beginn des untersuchten Zeitraums ein imperialer Ergänzungsraum für die Großreiche der Hohenzollern, Habsburger und Romanovs gewesen sei, deren Zentren außerhalb Ostmitteleuropas lagen. Die Geschichte der Territorialisierung dieser Meso-Region kann daher nur transnational mit Blick auf Berlin, Wien und St. Petersburg geschrieben werden. Middell, Müller und Marung gelingt es, in Ansätzen zu zeigen, welchen Erkenntnisgewinn die Historiografie erzielen kann, wenn sie die Transnationalität dieses Prozesses dadurch herausarbeitet, dass sie den "laufenden Abgleich der eigenen Erfahrungen mit den Politiken der Konkurrenten" (60) systematisch in die Darstellung einbezieht. Als Beispiel sei hier auf die erst 1897 durchgeführte Volkszählung im Russländischen Reich verwiesen. Als einer der Gründe führen die Autoren die Sorge vor einer politischen Vereinnahmung der erhobenen Daten durch einzelne Volksgruppen des Reiches an, wie sie die russländische Verwaltung in ähnlicher Form in der Habsburgermonarchie beobachtet hatte (75). Auch wenn dieses Argument weder näher ausgeführt noch mit Zitaten aus Primärquellen belegt wird, so wird an solchen Stellen doch deutlich, was die transnationale Geschichte von einer rein vergleichenden Geschichte oder aneinandergereihten Nationalgeschichten unterscheidet.
Die "wechselseitige Beobachtung" (61) als Form der Verflechtung wird auch im Kapitel über die Kultur von Hock hervorgehoben. Die eigentlich angekündigten Kontakte und Vermischungen innerhalb Ostmitteleuropas (190) werden dann aber nur am Rande behandelt. Der tschechische Architekt František Skarbout, der das Nationale Haus (Narodni Dom) in Laibach (Ljubljana) entworfen hat, wird zum Beispiel nur in einer Fußnote erwähnt (233). Diese Gewichtung ist gleichzeitig auch Sinnbild für die Konzentration der Autorin auf den Raum der Habsburgermonarchie, sodass sich die Zirkulation oder der Austausch von kulturellen Gütern und Ideen in ihrem Beitrag nur bedingt als transnational bezeichnen lassen, da sie zwar Sprach-, aber keine Staatsgrenzen überschreiten. Die gegenseitige Beeinflussung innerhalb der Region (255) wird daher nur selten wirklich greifbar und bleibt meist auf der Ebene des Verweises auf mögliche Forschungsthemen stehen.
Wesentlich überzeugender ist bei Hock der Versuch, Alternativen zu Kernnarrativen der Kunsthistoriografie Ostmitteleuropas zu entwickeln. Die postulierte Abwendung von den Attributen "rückständig", "verspätet", "imitierend" und "abgeleitet" bei der Beschreibung des Schaffens von Künstlern in und aus Ostmitteleuropa wird durch die Einordnung in transnationale Tendenzen vermieden. Hock zeigt, dass sich Kunstschaffende aus peripheren Regionen Europas geschickt ihrer Herkunft bedienten und die Erwartungen des westeuropäischen Publikums bezüglich ihrer Volkstümlichkeit und Wildheit bedienten, um kommerziell erfolgreich zu sein. Vom Standard künstlerischer Karrieren und der zu erwartenden Orientierung am "fortschrittlichen Westen" wichen zahlreiche Künstler ab, die nicht in die Zentren Wien, Paris, München oder Berlin migrierten. Stattdessen gingen sie nach St. Petersburg, Konstantinopel oder andere Zentren der Peripherie, wo sie nach Beschäftigung und Aufträgen suchten und diese teilweise auch bekamen. Die von Hock angeführten Mihály Zichy und Stanisław Chłebowski (249) waren hier keinesfalls Ausnahmen, auch wenn nicht jeder einen solchen Nachruhm erlebte wie der bis heute als nationaler Maler Georgiens geltende Zichy. Chłebowski und weitere ostmitteleuropäische Maler hatten damals mit orientalistischen Motiven Erfolg, was Hock nutzt, um die gängigen Deutungen des europäischen Orientalismus zu hinterfragen und auf die nichtkoloniale Form des Orientalismus in Ostmitteleuropa aufmerksam zu machen.
Die beiden hier näher betrachteten Beiträge stehen beispielhaft für den Eindruck, den das gesamte Handbuch macht. Es finden sich viele interessante Anregungen und Verweise auf transnational agierende Personen bzw. die transnationale Zirkulation von Wissen, Ideen und künstlerischen Ausdrucksformen. Die Ausführungen überzeugen jedoch nicht in allen Punkten, auch weil sie letzten Endes mehr interessante Details als einen kohärenten Überblick vermitteln. Das Handbuch ist so vor allem ein wichtiges Referenzwerk der historischen Ostmitteleuropaforschung der nächsten Jahre. Für transnational orientierte Globalhistoriker, die Ostmitteleuropa verstärkt in ihre Narration einbauen wollen, eignet es sich dagegen weniger, da bei der Lektüre kein Gesamtbild entsteht. Hier, gilt was Dieter Langewiesche schon 2007 in einer Rezension zu Sebastian Conrads Werk über Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich schrieb: "die Beobachtungen des Autors lassen beim Leser überhaupt kein Gesamtbild entstehen, es sei denn, er besaß es schon vor der Lektüre." [2]
Es bleibt zu hoffen, dass die zwei sich in Vorbereitung befindenden Anschlussbände, die den Zeitraum nach dem Ersten Weltkrieg behandeln, diese Lücke schließen. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, dass die Autoren ihre fünfjährige Zusammenarbeit in einer Projektgruppe am GWZO Leipzig stärker nutzen, um vermehrt Querverbindungen zwischen den einzelnen Themenfeldern herzustellen. Es sollte auch darüber nachgedacht werden, ob so weite Themenfelder wie Kultur nicht besser gemeinsam von solchen Autoren bearbeitet werden sollten, die sich in ihren Sprachkenntnissen und Spezialisierungen ergänzen. Vor allem die stärkere Berücksichtigung jüdischer Akteure und Netzwerke, die sowohl die Wirtschaft als auch die Kultur Ostmitteleuropas bis 1945 maßgeblich prägten, wäre dabei als wünschenswert anzusehen.
Anmerkungen:
[1] Pierre-Yves Saunier: Transnational, in: The Palgrave Dictionary of Transnational History, Basingstoke 2009, S. 1047-1055.
[2] Dieter Langewiesche: Weiter Blick, kurzer Klick. Globalhistorische Informationsversuche zur deutschen Gesellschaft in der Wilhelminischen Epoche, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.01.2007.
Stefan Dyroff