Marie-Thérèse d'Autriche: Lettres de l'impératrice Marie-Thérèse à Sophie d'Enzenberg (1746-1780). "Le soleil même me paraît noir". Édition établie par Jean-Pierre Lavandier. Préface d'Élisabeth Badinter (= Bibliothèque des Correspondances, Mémoires et Journaux; 107), Paris: Editions Honoré Champion 2019, 250 S., eine s/w-Abb., ISBN 978-2-7453-5081-7, EUR 40,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Elisabeth Badinter: Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder, Wien: Zsolnay Verlag 2023
Guy P. Marchal: Schweizer Gebrauchsgeschichte. Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität, Basel: Schwabe 2006
Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hg.): Friederisiko. Friedrich der Grosse. Die Essays, München: Hirmer 2012
Im Jubiläumsjahr 2017 wurde mit beträchtlicher medialer Resonanz ein Quellenfund gefeiert, der Maria Theresia angeblich zeigt, "wie wir sie noch nicht kannten". [1] Es handelt sich um die Briefe Maria Theresias an Gräfin Sophie von Enzenberg (und einige damit in engem Zusammenhang stehende Briefe), die im Schloss Tratzburg aufbewahrt wurden und sich nach wie vor im Besitz der Familie Enzenberg befinden. Auf der Grundlage dieser Briefe erschien 2017 eine für ein breites Publikum bestimmte Publikation, in der das Verhältnis zwischen der Kaiserin und Gräfin Sophie nacherzählt wurde, wobei immer wieder einzelne Passagen aus den Briefen in deutscher Übersetzung eingeflochten wurden. Nun ist die schon damals angekündigte Edition der gesamten Korrespondenz erschienen, die beansprucht, die erste wissenschaftliche Edition des Quellencorpus zu bieten (24) und "la vraie femme" zu zeigen (27), nämlich eine Frau, die von ihren Pflichten niedergedrückt wurde und in eine Depression verfallen sei (ebd.). Beide Ansprüche sind freilich sehr hoch gegriffen und werden bestenfalls ansatzweise eingelöst.
Zunächst zur Edition: Selbstverständlich wird darauf hingewiesen, dass ein Teil dieser Briefe bereits von Alfred von Arneth publiziert worden ist, immerhin 45 von 70 Briefen. [2] Dass nun das gesamte Briefcorpus gedruckt vorliegt, werden alle diejenigen begrüßen, die sich mit Maria Theresia beschäftigen. Allerdings kann die Wiedergabe nur bedingt den Ansprüchen an eine wissenschaftliche Edition genügen und zwar schon deshalb nicht, weil, um der besseren Lesbarkeit willen, Anpassungen an die moderne Orthographie und Interpunktion vorgenommen wurden (21), freilich ohne dies jeweils zu kennzeichnen. Dezidiert setzt Lavandier seine Edition von dem Abdruck der Texte durch Arneth ab, der sich - so Lavandier - große Freiheiten im Umgang mit dem Original herausgenommen, den Text häufig nach seinem Geschmack geändert und intime und familiäre Vertraulichkeiten systematisch unterdrückt habe (25). Leider kennzeichnet Lavandier die Auslassungen Arneths nicht, man muss also stets die beiden Editionen vergleichen, um herauszufinden, was bei Arneth fehlt. Dabei aber zeigt sich, dass die Auslassungen bei Arneth minimal sind und meist die Erwähnung randständiger Personen oder von ihm als nebensächlich erachteter Gegenstände wie die Übersendung von Handschuhen betreffen. Für Brief Nr. 57 ist z.B. pauschal von Auslassungen und Zensur bei Arneth die Rede, es fehlen aber nur drei Wörter, die wohl ironisch gemeint gewesen sein dürften, deren Sinn aber etwas dunkel bleibt. In Brief Nr. 73 fehlt in der Tat mehr als die Hälfte des Briefes, was Lavandier zu der Bemerkung veranlasst "nombreuses omissions, censure du passage sur les Jesuites" (203). Bei Arneth verweist aber die Fußnote zu dem Briefe ausdrücklich darauf, dass die Passage über die Aufhebung des Jesuitenordens in seiner Geschichte Maria Theresias abgedruckt sei. Man kann diese Editionspraxis unbefriedigend finden, um Zensur aber handelt es sich dabei nicht. Größere Auslassungen finden sich tatsächlich auch in Brief Nr. 60 und zwar vor allem eine mögliche Schwangerschaft Maria Karolinas von Neapel sowie das Ausbleiben der Monatsblutungen bei Maria Theresia betreffend (185). Dass Arneth als ein Mann des ausgehenden 19. Jahrhunderts und Haus- und Hofarchivar des Hauses Habsburg solche Passagen für nicht druckfähig hielt, ist aus seiner Edition der Korrespondenz Maria Theresias mit Marie Antoinette bekannt. Es ist deshalb zu begrüßen, dass nunmehr auch für dieses Briefcorpus eine Edition ohne solche Rücksichten vorliegt. Im übrigen verweist Lavandier darauf, dass die Lese- und Verstehensfehler Arneths so zahlreich seien, dass auf sie jeweils nur pauschal verwiesen werden könne. Auch dieser Vorwurf lässt sich durch einen Vergleich der beiden Editionen nicht erhärten. Denn die Unterschiede zwischen den beiden Textfassungen sind minimal und in den allermeisten Fällen inhaltlich nicht relevant. Mangels Kenntnis des Originals kann nicht entschieden werden, welche Lesart jeweils zutreffend ist, der pauschale Vorwurf an Arneth schießt aber deutlich übers Ziel hinaus. Zudem sollte, wer andere solchen Vorwürfen aussetzt, an sich selbst entsprechende Ansprüche stellen und z.B. die Auslassungen Arneths kennzeichnen und nicht den Text in modernisierter Form wiedergeben.
Damit stellt sich zum zweiten die Frage nach der Behauptung, in diesen Briefen trete uns die wahre Maria Theresia entgegen. Korrigieren diese Briefe also unser Bild Maria Theresias substantiell? Auch hier scheint der Rezensentin Zurückhaltung geboten. Einmal ganz abgesehen davon, dass es grundsätzlich schwierig ist, eine medizinische Diagnose wie Depression rückwirkend über Jahrhunderte zu stellen und sie beispielsweise von der unzweifelhaft tiefen Trauer um den Ehemann abzugrenzen, ist es keineswegs so, dass diese Seiten Maria Theresias bisher unbekannt gewesen wären. Denn zum einen liegt ein Großteil der Briefe in der Edition von Arneth eben bereits seit langem vor, zum anderen hat die Kaiserin sich auch anderen Korrespondenzpartnern gegenüber durchaus ähnlich geäußert. So lässt sich Maria Theresias tiefe Verzweiflung in dem bekannten Brief an Kaunitz vom 28. August 1765 ähnlich greifen wie in den Briefen an die Gräfin Enzenberg, wenn auch der Duktus dem Staatskanzler gegenüber etwas anders ist und sie ihm gegenüber sozusagen politischer formuliert. Deutlich bringt sie zum Ausdruck, dass es allein die Sorge um ihre Kinder sei, die sie bewogen habe, ihre Pflicht, und das heißt: die Regierungsgeschäfte, wiederaufzunehmen. [3] Auch über die Mühen des Alters und ihre nachlassenden Kräfte, die ihr das Regieren zunehmend schwerer machten, hat Maria Theresia beispielsweise im Zusammenhang mit einer Rücktrittsdrohung Kaunitz', die sie veranlasste, selbst ihren Rückzug anzubieten, Joseph gegenüber deutlich Rechenschaft abgelegt. [4] Es kann also nicht die Rede davon sein, dass bisher nur die machtvolle Kaiserin bekannt war, während die "femme fragile et désorientée" uns erstmals in diesen Briefen entgegentritt, wie Elisabeth Badinter in ihrem Geleitwort suggeriert (12). Insofern ist der Erkenntnisgewinn, den die Edition bietet, doch eher überschaubar. Das schmälert nicht ihren Verdienst an sich, auch Nuancen besitzen für die Forschung ja ihren Wert. Ärgerlich ist aber die Attitüde, mit der das Werk daherkommt, so als ob die Geschichte Maria Theresias wenigstens in Teilen nun umgeschrieben werden müsse. Das aber muss sie mit Sicherheit nicht. Gerade die neuere Literatur zeigt ja nicht nur die kraftvolle Machtpolitikerin, sondern durchaus die ganz unterschiedlichen Facetten der Kaiserin. Allerdings hat Lavandier diese Literatur ausweislich des Literaturverzeichnisses größtenteils nicht zur Kenntnis genommen, auch die neuesten Arbeiten zur Hofburg scheinen ihm entgangen zu sein, was zu unnötigen Spekulationen über das Witwenappartement Maria Theresias führt (131). Insgesamt spiegeln die Anmerkungen kaum den Stand der Forschung. Das Register ist nicht sehr sorgfältig gearbeitet, die Nennung von Vornamen und Lebensdaten wird uneinheitlich gehandhabt, ebenso die Einordnung unter dem Vor- oder dem Geschlechternamen (Graf Ignaz von Enzenberg unter "E", sein Sohn Franz aber unter "F"), Schreibungen sind uneinheitlich bzw. falsch ("Wolfenbüttel" und Wollffenbüttel", Braunschweig-Wolfenbüttel neben "Brunswick-Wolfenbüttel"), teilweise fehlen Fundstellen. In der Aufzählung der in der Korrespondenz erwähnten Kinder Maria Theresias (251) fehlt ausgerechnet Joseph.
Anmerkungen:
[1] Klappentext zum Buch Monika Czernin / Jean-Pierre Lavandier: Liebet mich immer. Maria Theresia. Briefe an ihre engste Freundin, Wien 2017.
[2] Alfred von Arneth (Hg.): Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde, Bd. 4, Wien 1881, darin 449-511 die Briefe an die Gräfin Enzenberg, 441-447 die Briefe an den Grafen von Enzenberg.
[3] Maria Theresia an Kaunitz, Innsbruck, 28.8.1765, in deutscher Übersetzung, in: Alfred von Arneth: Maria Theresia's letzte Regierungszeit 1763-1780, Wien 1876, 167.
[4] Maria Theresia an Joseph, [Dezember 1773], in: Alfred von Arneth (Hg.): Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz sammt Briefen Joseph's an seinen Bruder Leopold, Bd. 2, Wein 1867, Nr. 191.
Bettina Braun