Rezension über:

Uri Ben-Eliezer: War Rather Than Peace. One Hundred Years of Nationalism and Militarism in Israel, Ben Shemen: Modan Publishing House 2019, 686 S.

Rezension von:
Tamar Amar-Dahl
Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Tamar Amar-Dahl: Rezension von: Uri Ben-Eliezer: War Rather Than Peace. One Hundred Years of Nationalism and Militarism in Israel, Ben Shemen: Modan Publishing House 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 2 [15.02.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/02/34099.html


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Uri Ben-Eliezer: War Rather Than Peace

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Welche Rolle spielt das Militär im Jüdischen Staat? Musste der Zionismus eine sicherheitsorientierte politische Ordnung nach sich ziehen? Mit diesen Fragen befasst sich der israelische Soziologe Uri Ben-Eliezer. In seiner neuen Studie arbeitet der Professor der Universität Haifa den engen Konnex von jüdischem Ethno-Nationalismus und der sich im Laufe der Jahrzehnte etablierenden Sicherheitsdoktrin heraus. Er prägt dabei den Begriff des militaristischen Ethno-Nationalismus und präsentiert in der Folge eine überzeugende Geschichte des israelischen Militarismus - eine bedrückende Chronologie der Kriege seit Beginn des zionistischen Jahrhunderts bis in das neue Millennium.

Israels politischer Ordnung liege - so die These - eine ethno-nationalistische und militärische Ideologie zugrunde, denn das jüdisch-zionistische Projekt sollte hauptsächlich mit militärischer Gewalt implementiert werden. Obwohl diese Gesinnung wiederholt durch progressive, universelle und zivile Kräfte herausgefordert wurde, gewann das ethno-nationalistisch-militaristische Ethos die Oberhand. Seit Beginn des neuen Millenniums im Zuge der blutigen Zweiten Intifada sei eine national-religiöse Komponente hinzugekommen. "War rather than Peace" erzählt eindringlich von der neuen jüdischen Nation, die sich am Schwert orientiert habe, um ihre Existenz zu sichern, aber gerade dabei sei, diese aufs Spiel zu setzen.

Im theoretischen Teil werden die drei Schlüsselbegriffe Nationalismus, Militarismus und Krieg im Licht der Forschung erläutert. Den Zionismus versteht Ben-Eliezer nicht unbedingt als klassisch kolonialistische, sondern vielmehr als im Kern ideologische Nationalbewegung. Er zeigt die kulturelle Bedeutung des Kriegerischen am israelischen Beispiel; kulturell versteht er im Sinne von Diskursen, Glauben und Narrativen, deren Logik nicht immer rational sei. So wird Israels Militarismus als eine politisch-kulturelle Angelegenheit begriffen. In Anlehnung an Hans Kohns Unterscheidung des aufgeklärten Zivil-Nationalismus vom partikularistischen Ethno-Nationalismus wird hier auf Israels militärischen Ethno-Nationalismus hingewiesen, der schließlich zum 100-jährigen Krieg führte.

Der erste Teil - "Ethno-nationalistischer Konflikt" - behandelt die Zeitspanne zwischen der Gründung der ersten jüdischen Milizen in Palästina zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum ersten israelisch-arabischen Krieg zwischen 1947 und 1949. "Der Anfang des militaristischen Nationalismus: HASHOMER [hebräisch: der Wächter] und die Hebräischen GDUDIM [hebräisch: Bataillone]" zeigt erste Anzeichen für die militaristische, auf Gewalt, Rache und Aktivismus basierende Gesinnung. Das Ziel der "Befreiung des Landes" (78) war dabei stets zentral. Die Lehre der Hebräischen Gdudim aus ihrer Erfahrung im Kampf auf Seiten der Briten im Ersten Weltkrieg war indes: Ausschließlich autonome jüdische Macht sei in der Lage, den Zionismus durchzusetzen. Hier markiert Ben-Eliezer den Beginn des jüdischen Militarismus.

Das Kapitel "Ablenkung, Suspendierung: Die Ära der Pogrome" behandelt die 1920er und 1930er Jahre, als der Yishuv (die zionistische Führung im britischen Palästina) seine Interessen trotz arabischen Widerstands und britischer Skepsis weiterhin zu vertreten versuchte. Der Mythos TEL HAI - "es sei gut, für die Heimat zu sterben" - und Wladimir Zeev Jaboutinskys Kampfansage, es müsse eine "Eiserne Mauer" aus Bajonetten zwischen Arabern und Juden errichtet werden, sowie die Verständigungspolitik von Brit Shalom waren zwei gegensätzliche Antworten auf die "Arabische Frage", die da lautete: Wie soll der Yishuv das arabische Palästina in einen jüdischen Staat, in Eretz Israel verwandeln? Dass angesichts der demographischen Gegebenheiten im Land List und Diplomatie sowie eine große Portion Gewalt notwendig waren, zeigt sich anhand dieser heftig geführt Debatte.

Das Kapitel "Militaristischer Nationalismus als Ideologie: PALMACH und die Rekrutierungen zum britischen Militär" behandelt den krisenhaften Prozess zwischen der Diplomatie der Älteren (Haim Weizmann, Moshe Sharett) und der immer drängenden "1948er Generation" (Moshe Dayan). Für Letztere war der militärische Weg zunehmend alternativlos, und sie setzte ihn schließlich durch. Die Protagonisten des ersten Unabhängigkeitskriegs beanspruchten Prestige und Anerkennung für ihren militärischen Beitrag. Sie verliehen dem Krieg damit seine positive Bedeutung. Im ersten Eroberungskrieg 1948 erwies sich auch der Militarismus als unabdingbar für den Ethno-Nationalismus.

Der zweite Teil behandelt die vier sogenannten regionalen Waffengänge: "Die Nation in Waffen und der Krieg: der Sinai-Krieg" (1956), "Die Folgen des nationalistischen Militarismus: Der Sechstagekrieg" (1967), "Der Preis der Besatzung: Yom Kippur Krieg" (1973) und "Der Untergang der Nation in Waffen: Der Libanonkrieg" (1982).

Zentraler Begriff ist hier "die Nation in Waffen". Als Leitmotiv im Selbstverständnis der neuen Immigranten-Siedler-Gesellschaft fasst dieser Begriff zwei Glaubenssätze der politischen Kultur zusammen: die Staatlichkeit im Sinne des Vorrangs der Nationsbildung und die Notwendigkeit des Krieges in diesem Prozess. Daraus erschließt sich der Konsens für den (konventionellen) Krieg, und zwar trotz heftiger Kritik wie in den Kriegen 1973 und 1982. Erst mit dem israelischen Einmarsch in den Libanon und den verheerenden Folgen des brutalen Krieges im Nachbarland zeigten sich erste Risse im Konzept der "Nation in Waffen". Die sicherheitspolitische Lage der 1980er Jahre führte, so Ben-Eliezer, zu einem neuen Verständnis von Militär und Krieg. Im abschließenden dritten Teil ist die Rede von "Neuen Kriegen". Folgende sicherheitspolitische, historische Ereignisse werden thematisiert: "Eine gespaltene Gesellschaft: die erste Intifada" (1987-1992), "Kurzer Auftritt des liberalen Zivilnationalismus: Die Oslo-Verträge" (1993-1999), "Neue Grenzziehungen des Nationalstaates: Die Al-Aqsa-Intifada" (2000-2004) und "Religiöser, militaristischer Nationalismus: IDF-Einsätze in Gaza" (2005, 2006, 2009 und 2014).

Was aber war an diesen Waffengängen neu? Ben-Eliezer versteht den neuen Krieg als Konflikt ethno-nationalistischer Art, zuweilen auch religiös begründet, gewissermaßen als Phänomen der Globalisierung, weil mehr Öffentlichkeit möglich sei, aber auch brutalere Waffen eingesetzt werden könnten. Daher sind vermehrt Unbeteiligte Opfer solcher Auseinandersetzungen. Ziel sei weniger die Lösung des Konflikts, vielmehr dessen Management, was zur Verschärfung und Perpetuierung des Krieges führe. In der ersten Intifada habe sich eine Volksgruppe gegen ihre Besatzer erhoben; Israel mit seiner "Regierung der Nationalen Einheit" sah jedoch in der Aufrechterhaltung der Besatzung das Ziel der immer brutaleren Unterdrückung der Intifada. Wie wichtig dies für Israel war, demonstriert die Bereitschaft der Israel Defense Forces (IDF) auch die Siedler in den besetzten Gebieten zu bewaffnen. Im Friedenprozess der 1990er Jahre sei die israelische Dominanz im ganzen Land weiterhin von erheblicher Bedeutung gewesen. Auch wenn "die Zivilgesellschaft" gerade in diesen Jahren "die militaristisch-religiöse Gesellschaft" (438) herauszufordern schien und einen politischen Prozess durchsetzte, scheiterte dieser schließlich nicht zuletzt am fehlenden Konsens in der Mitte der Gesellschaft.

Ende 2000 waren die meisten Linkszionisten nicht mehr vom politischen Prozess überzeugt, so dass das Militär auf den palästinensischen Widerstand mit einem neuen Krieg reagierte. Die Militärs setzten auch die Strategie durch, bei den Palästinensern "ein Bewusstsein für Israels unerschütterliche ethno-nationalistische Überlegenheit" zu schaffen und damit Israels "Anrecht auf das ganze Land" (500 f.) zu untermauern. Dabei gehe es darum, "die Besatzung und die ethno-nationalistische Vorherrschaft zu zementieren" (508).

Wie die Besatzung mit aussichtloser Kriegslogik zu einem neuen Krieg führt, zeigt sich vor allem an den Einsätzen im neuen Millennium. In der Folge des dem Militär aufgezwungenen Rückzugs aus dem Libanon 2000 und im Zuge der Räumung von Siedlungen im Gazastreifen 2005 ziehen die IDF umso heftiger gegen "den Feind". Die Brutalisierung des Krieges erklärt Ben-Eliezer auch mit dem Versuch des Militärs, sein Prestige aufzupolieren; es gilt, ein "Sieges-Bild" (559) zu zeigen, damit - so im Jargon der Sicherheitsdoktrin - die Abschreckung wiederhergestellt wird. Zum säkular-orientierten militaristischen Ethno-Nationalismus kommt in den letzten Jahren ein immer entschlosseneres, mithin selbstbewussteres national-religiöses, jüdisch-fundamentalistisches Element. Die Folge ist ein immer aggressiverer, "ausschließender militaristischer, religiöser Ethno-Nationalismus" (600).

Das Buch gewährt einen bedrückenden Einblick in die historisch tief verwurzelte Dynamik des Zionismus als jüdisch-nationaler Ideologie und Bewegung und versteht den israelischen Militarismus als ihr unabdingbares Instrument. Die Schule "der Notwendigkeit des Schwerts ohne Militarismus" ist spätestens seit dem Jahr 2000 obsolet. Ben-Eliezer selbst gehört zu den kritischen "Neuen Soziologen" der 1980er und 1990er Jahre, die den israelischen Militarismus nicht mehr leugnen, sondern als legitimes Forschungsobjekt begreifen. Ben Eliezers gut recherchierte Studie ruht auf einer beachtlichen Materialbasis, liest sich gut und macht einmal mehr den Konnex von Zionismus und Nahostkonflikt deutlich.

Tamar Amar-Dahl