Rezension über:

Sophie Schönberger: Was heilt Kunst? Die späte Rückgabe von NS-Raubkunst als Mittel der Vergangenheitspolitik, Göttingen: Wallstein 2019, 274 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3528-8, EUR 19,90
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Rezension von:
Sebastian Peters
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Peters: Rezension von: Sophie Schönberger: Was heilt Kunst? Die späte Rückgabe von NS-Raubkunst als Mittel der Vergangenheitspolitik, Göttingen: Wallstein 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 3 [15.03.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/03/33395.html


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Sophie Schönberger: Was heilt Kunst?

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Blickt man in die Forschungsliteratur zum Thema NS-Raubkunst, so zeigt sich darin neben zahlreichen verdienstvollen Arbeiten nicht zuletzt der projektgetriebene Publikationsrhythmus eines ganzen Forschungsfeldes: Fallstudie reiht sich an Institutionsgeschichte, Überblicksdarstellungen bilden hingegen die Ausnahme. Zeit, um über die getane Arbeit zu reflektieren, bleibt angesichts der immer wieder geforderten raschen Ergebnisse kaum. Nun hat die Düsseldorfer Juristin Sophie Schönberger ein Werk vorgelegt, das genau dazu einlädt. "Was heilt Kunst?" ist entgegen der Frage im Titel jedoch keine schlichte Analyse, sondern zugleich Plädoyer dafür, die Restitution von Raubkunst mit einer neuen Erzählung zu versehen.

Sophie Schönberger schreibt über die Rückgabe von Raubkunst in einer Form, die bisher nur unzureichend genutzt wird: Ihr zufolge verdichte sich in den Objekten die Geschichte der Verfolgten und der - oft sehr späten - Wiedergutmachung. Objekte mit großer musealer Bedeutung können daher ein besonderes narratives Potenzial für die deutsche Erinnerungskultur haben. Um dieses zu nutzen, sei jedoch eine Reihe an Voraussetzungen zu erfüllen, insbesondere was die Grundlage der Restitution betrifft. Die Verfasserin zielt dabei wenig überraschend auf den fehlenden rechtlichen Rahmen ab, da es in Deutschland lediglich eine moralische Selbstverpflichtung gemäß der Washingtoner Erklärung gibt. Das Recht hingegen, so Schönberger, würde durch seine "normative Eindeutigkeit" (88) auch eine klare Narration ermöglichen.

"Was heilt Kunst?" geht dennoch weit über das einfache Für und Wider eines Restitutionsgesetzes hinaus. Das Buch beginnt mit einer Darstellung der Rückerstattungspolitik in Deutschland seit Kriegsende aus dezidiert juristischer Perspektive. Trotz einer gewissen Komplexität für den juristischen Laien liefert das Kapitel zugleich einen erfreulich konzisen Überblick zur sich wandelnden Rechtslage und ihren Implikationen bis heute. Daran anschließend folgt ein Abschnitt zu den theoretischen Grundlagen der Sinnstiftung durch ein materielles Objekt. In Anlehnung an den material turn der Geisteswissenschaften arbeitet Schönberger heraus, wo die Möglichkeiten und Grenzen eines Kunstwerks als Objekt liegen, um eine kulturelle Narration zu gestalten. Im Fokus stehen dabei das Spannungsfeld von dessen materiellen und symbolischen Wert sowie die damit einhergehenden Probleme. Zudem weist die Verfasserin auf den banal erscheinenden, aber durchaus bedeutenden Grundsatz hin, dass es für eine erfolgreiche Narration nicht nur der Rückgabe, sondern auch der bewussten Annahme dieser bedarf.

Das mittlere Kapitel mit der paradigmatischen Bezeichnung "Unfinished Business" (99) stellt schließlich eine Bestandsaufnahme der Situation seit der Washingtoner Erklärung dar. Schönberger benennt darin klar die Defizite, die aufgrund der fehlenden Verrechtlichung in Deutschland bestehen. So deutlich das an den wenigen von ihr geschilderten Beispielen wird, so wirkt hier die rein juristische Perspektive letztlich doch ein Stück weit verengend. Die überwiegende Mehrheit der Restitutionen, bei denen ein fehlendes Restitutionsgesetz keine Rolle spielt, wäre hier etwas mehr zu berücksichtigen gewesen.

Das Kapitel schlägt zugleich den Bogen zum zweiten Teil des Buches, der von dieser Bestandsaufnahme ausgehend die Möglichkeit einer gesamtgesellschaftlichen Erzählung der Restitutionen erkundet. Zuerst steht dabei das Kunstwerk als Objekt im Fokus, dessen Potenzial die Autorin anschaulich beschreibt. Sie diskutiert die Eigenschaften der Kunstwerke, die sie zu "Stellvertretern" für größere Diskurse über die Vergangenheit werden lassen, und welche Narrative daran geknüpft werden können. Schönberger warnt auch vor den Problemen, die mit dem Kunstwerk als Objekt verbunden sind: Beispielsweise eine Subjektivierung des Kunstwerkes, die es als das eigentliche Opfer darstelle und somit von den verfolgten Besitzern ablenke. Oder, dass die notwendigerweise bedeutenden Kunstwerke letztlich den Blick auf die Opfer verzerren, da sie nur die kleine Gruppe der ehemals vermögenden Verfolgten repräsentieren können. Überhaupt macht das gesamte Buch deutlich, wie zentral die Schicksale der Verfolgten für eine sinnstiftende Erzählung sind - und wie sehr diese bisher vernachlässigt wurden.

Darauf folgt ein letztes Hauptkapitel, das die Kraft des Rechts selbst für einen Rückgabeprozess mit sinnstiftender Narration diskutiert. Auch wenn die Autorin klar für eine rechtliche Lösung plädiert, wiegt sie nüchtern und unaufgeregt zwischen Recht und Moral als Basis einer Restitution ab. Ebenso werden etwaige Defizite des Rechts sowie mögliche Missverständnisse thematisiert. Teils rechtsphilosophisch-abstrakt, teils sehr konkret benennt Schönberger die dem Recht in der Demokratie inhärenten Eigenschaften, die die Rückgabe von Raubkunst mehr zu einem gesamtgesellschaftlichen Prozess machen könnten. Sie plädiert auch dafür, Recht mehr als gestaltendes Werkzeug zu nutzen, anstatt es als starres Regularium zu betrachten. Letztlich sei das Recht als zentrales Medium zur Umsetzung gesellschaftlicher Entscheidungen in der Demokratie auch dazu geeignet, einen Beitrag in der Debatte um Wiedergutmachung zu leisten. Ein Restitutionsgesetz würde entsprechend nicht nur Rechtssicherheit schaffen, sondern könnte auch einen Diskussionsprozess jenseits einzelner Skandalisierungen anregen.

Sophie Schönbergers Buch plädiert zwar für eine juristische Lösung, lädt aber auch zur Diskussion ein. Und einzelne Aspekte wären durchaus noch zu diskutieren: So werden die Defizite der Rückgabepolitik gemäß der Washingtoner Erklärung vor allem anhand einiger weniger, durchaus kontroverser Fällen wie dem Welfenschatz dargestellt. Repräsentativ sind diese jedoch kaum, ebenso wenig wie die deshalb in den Vereinigten Staaten angestrengten Prozesse. Auch die sogenannte Limbach-Kommission taugt - trotz der berechtigten Kritik an dem Gremium - als mehrfach angeführtes Problembeispiel nur begrenzt. Die 17 von ihr seit 2005 beratenen Fälle dürften wohl weniger als ein Prozent aller seither durchgeführten Restitutionen ausmachen. Stellenweise wäre daher ein engerer Bezug zur aktuellen Restitutionspraxis wünschenswert.

Man muss dennoch kein strenger Verfechter eines Restitutionsgesetzes sein, um dem Werk viel abgewinnen zu können. Es ist zugleich ein anregender Essay, der die ungenutzten Möglichkeiten bei der Rückgabe von NS-Raubkunst darlegt. Das Buch zeigt, wie schwierig, aber zugleich wie erstrebenswert eine gesellschaftlich bedeutende Erzählung zu den Rückgaben wäre. Und es fordert nachdrücklich und mit überzeugenden Argumenten dazu auf, die Geschichten der Verfolgten und Ermordeten in den Vordergrund zu stellen. Das mag selbstverständlich klingen, in der Praxis scheitert diese Vorgabe jedoch immer noch zu oft. Auch deshalb liefert "Was heilt Kunst?" wichtige Anregungen für eine Debatte, die nicht nur auf die Akteure der Raubkunstforschung beschränkt bleiben sollte.

Sebastian Peters