Friederike Neumann / Leah Shopkow (eds.): Teaching History, Learning History, Promoting History. Papers from the Bielefeld Conference on Teaching History in Higher Education (= Wochenschau Wissenschaft), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2018, 196 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-7344-0685-0, EUR 22,90
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Hochschullehrende und Forschende aus den USA, aus Australien, Großbritannien, Schweden und Deutschland berichten in "Teaching History, Learning History, Promoting History" mit unterschiedlichem Fokus über aktuelle Veränderungen in ihrer Lehrpraxis. Die Ursachen der Veränderungen sehen sie in einer veränderten epistemischen Verankerung des Unterrichtens von Geschichte, in der Bildungspolitik und in der Herausforderung der "employability" von Absolvierenden.
Leah Shopkow (Indiana University Bloomington, USA) geht in ihrer Analyse zu den Bedingungen von Hochschullehre in Geschichte von unterschiedlichen epistemischen Communities aus: diejenige der Historikerinnen und Historiker, diejenige der mit Schule beschäftigten Historikerinnen und Historiker und diejenige der Schülerinnen und Schüler, die sie einer Vielzahl von Laiengemeinschaften zuordnet. Während sie für die USA die Historikerinnen und Historiker als eine Gemeinschaft von Rationalen, Kritischen und an der kritischen Konstruktion von Geschichte Interessierten beschreibt, sehen "Schulhistoriker" Geschichte als eine Disziplin von Fakten, die die Vermittlung von Wissen und die Illustration der Geschichte im Unterricht durch Quellen verlangt. Das Ergebnis sei die 'wahre Geschichte', die Konstruktivität von Geschichte werde nicht sichtbar. Die Schülerinnen und Schüler sieht sie geprägt von unterschiedlichen Communities, in welchen Geschichte der Identität, der Erinnerungskultur, der emotionalen Gebundenheit und dem Glauben an Wahrheiten verpflichtet ist.
Aufgrund dieser Situation ist es naheliegend, angehende Geschichtsstudierende zu befragen, wie dies Aline Breuer, Andreas Frings, Andreas Linsenmann und Jelena Suchan (Universität Mainz) getan haben. Sie haben angehende Geschichtsstudierende hinsichtlich der Auffassungen von und Erfahrungen in der Disziplin sowie Erwartungen bezüglich der Disziplin bei Beginn des Studiums befragt. Daneben wurden Sozialdaten erhoben. Ihre Ergebnisse sind so breit gestreut, dass sie keine weitere Interpretation der Daten vornehmen. Vielmehr halten sie fest, dass spezifische Kompetenzen und deren Niveau bei Beginn des Studiums formuliert werden sollten, um dann genauere Befragungen generieren zu können.
Jörg van Norden (Universität Bielefeld) widmet sich der Testung von Geschichtsstudierenden in unterschiedlich fortgeschrittenen Phasen. Er berichtet über die geschichtstheoretische Grundlegung seines Instrumentes, die Testung sowie die Ergebnisse seines Projekts. Seine Ergebnisse lassen ihn schließen, dass über Narrativierung und die damit verbundenen Kompetenzen in Geschichte weiter nachgedacht werden muss und dass für weiterführende Arbeiten die Zusammenarbeit von Forschendengruppen sinnvoll wäre.
Während Shopkow angesichts der von ihr benannten, auch emotional aufgeladenen Differenzen zwischen den Communities für eine Hochschullehre plädiert, die additiv neue Sichtweisen zufügt, ohne bisherige Gewissheiten von Lernenden zu verletzen, dokumentieren einige der folgenden Beiträge ein anderes Vorgehen. So berichtet Dennis Frey Jr. (Lasell College, Auburndale, USA) von einer Neukonzeption der Hochschullehre in Geschichte im Kontext eines breiten Ausbildungsgangs. Ein kompletter Wechsel zu einem konstruktivistischen Zugang der Kompetenzförderung in Geschichte baue systematisch studentische Kompetenzen der über Fragen gesteuerten Textanalyse und des Schreibens auf. Dabei würden relativ hohe Anforderungen gestellt: 100 Seiten Lektüre pro Woche, 22 Seiten Text (verarbeitete Lektüre) pro Semester. Ein vorläufiges formatives Assessment ergebe gute Rückmeldungen.
Diana Jeater (University of Liverpool, Grossbritannien) hält, ähnlich wie Shopkow, fest, dass Studierende Forschung vorerst nicht als Prozess der Konstruktion, sondern der Suche nach Informationen verstehen. Diese Auffassung verändere sich auch durch eine Vorlesung zur Theorie von Geschichte nicht. Deshalb entwickelte das Team ein Set von Fragen als theoretischen Zugang, mit dessen Bearbeitung das Verständnis für theoretische Grundlagen entstehe und anschliessend auch diskutierbar werde. Die vorhandenen Einschätzungen zum Vorgehen sind positiv.
David Pace (Indiana University Bloomington, USA) betont, dass es gelte, historisches Denken als Prozess zu sehen und zu erlernen. Dazu berichtet er von einem Projekt an seiner Universität. Anhand von 24 Interviews mit Historikerinnen und Historikern eruierte das Team, wie das Vorgehen einer Dekodierung von Disziplinen in sieben Schritten für Geschichte beschrieben werden kann. Knackpunkte beim historischen Schreiben wurden festgestellt und anschliessend ein Programm formuliert, mit dem jeder dieser Knackpunkte systematisch trainiert werden kann.
KG Hammerlund (Halmstad University, Schweden) ortet eine weitere Schwachstelle der Hochschullehre, die gängige Prüfungspraxis, die auf Wissensabfragung ausgerichtet sei und damit das Lernen der Studierenden in diese (falsche) Richtung lenke. Er verlangt ein sogenannt authentisches Assessment, also Prüfungsanordnungen, die zum Beispiel ethische Dilemmasituationen enthalten, welche am historischen Material zu bearbeiten sind und damit die Schulung nicht nur der historischen Interpretation, sondern auch der Urteilsbildung fördern. Derart leiste die Ausbildung einen Beitrag für die Lebenspraxis durch Geschichte.
Neben diesen Arbeiten, die sich vorrangig an der konstruktivistischen Wende der Geschichtswissenschaft und den daraus folgenden Konsequenzen für die Hochschullehre widmen, thematisieren zwei weitere Beiträge Entwicklungen, die von der Bildungspolitik an Hochschulen herangetragen worden sind. Zum einen berichten Richard A. Hawkins und Harvey Woolf (University of Wolverhampton, Grossbritannien) über Studienpraktika im Geschichtsstudiengang als Reaktion auf die Anforderung sogenannter "employability" von Hochschulabgängerinnen und -abgängern. Sie urteilen, dass tatsächlich der Jobzugang verbessert werde und auch die Berufsmöglichkeiten realistischer eingeschätzt würden. Sie verbinden damit sogar Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Arbeitsmarktgefüges, indem Studierende bildungsfernerer Familien davon profitierten.
Adele Nye (University of New England, Armidale, Australien) untersuchte Webseiten von 16 Universitäten in Australien in den Jahren 2008, 2013, 2016. Ihr Blick darauf, welche Aspekte Hochschulen hervorheben, wenn sie ihre Studiengänge präsentieren, soll zeigen, wie sich die Marktsituation der Disziplin Geschichte entwickelt. Während die Berufsmöglichkeiten und die zu erlangenden Skills im Zeitraum immer weniger dargestellt worden sind, bleibt die Forschungsorientierung der Hochschulen unverändert präsent, ebenso die Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschichtsbewusstsein, die Orientierung in einer globalen Gesellschaft und Geschichte als Disziplin mit vielen Themen und Erzählweisen. Neu sei, dass die Hochschulen sich als Eliteuniversitäten darstellen. Darin sieht Nye ein Problem, weil die Vorstellung, an einer bestimmten Universität hergestelltes Wissen sei besser als anderes, der Idee einer kommunikativ hergestellten Validität von konstruierter Geschichte entgegenstehe.
Insgesamt dokumentiert der Band, dass geschichtstheoretische und lehr-lerntheoretische Überlegungen, die in der Geschichtsdidaktik schon lange diskutiert werden, nun doch auch die auf die Disziplin bezogene Hochschuldidaktik zu erreichen scheint und sich in konkreten Programmen niederzuschlagen beginnt. Gerade da die Herausgeberinnen betonen, dass Hochschuldozierende, die sich um didaktisch begründete Hochschullehre und Prüfungsanordnungen bemühen, noch immer eine Minderheit darstellen, sollen die in der Publikation dokumentierten Beispiele zur Nachahmung anregen.
Béatrice Ziegler