Kim Woods: Cut in Alabaster. A Material of Sculpture and its European Traditions 1330-1530 (= Distinguished Contributions to the Study of Arts in the Burgundian Netherlands; Vol. 3), Turnhout: Harvey Miller Publishers 2018, 418 S., 194 Farb-, 5 s/w-Abb., ISBN 978-1-909400-26-9, EUR 150,00
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Kunstwerkgruppen nach dem Kriterium des Materials zu ordnen, schließt an eine lange kunsthistorische Tradition an. Eine solche klassifizierende Operation fußte dennoch früher selten auf die tatsächliche Auseinandersetzung mit den spezifischen Eigenschaften des jeweiligen Materials, die aus ihm in dem Bearbeitungsprozess ein besonderes Medium machten. Einen inspirierenden Wegweiser in Richtung der Anerkennung der fundamentalen Rolle des Materials und des Bearbeitungsprozesses stellte sicherlich Michael Baxandalls The Limewood sculptors of Renaissance Germany (1980) dar. Auf einen echten Durchbruch in der Kunstmaterialforschung, die einen Teil des material turns ausmacht, mussten wir dennoch weitere zwei Jahrzehnte warten.
In Cut in Alabaster bekennt sich Kim W. Woods zu Baxandalls Methode, und zwar zu ihren zwei grundlegenden Konzepten: a) der Anerkennung der primären Rolle des Materials im skulpturalen Schaffensprozess, und b) dem "period eye". In ihrer umfassenden (422 Seiten) und bedeutenden Studie, die der nordalpinen Alabasterskulptur zwischen 1330 und 1530 gewidmet ist, nennt Woods zwar explizit keine weiteren methodischen Inspirationsquellen, es ist dennoch offensichtlich, dass die Autorin von der aktuellen Welle der Materialstudien profitiert, und mehr noch: eine ihrer bedeutenden Vertreterin ist. Folglich schaut Woods sich Alabaster gründlicher an, und nimmt das Material in seiner Handlungsmacht ernster als ihr großes Vorbild es mit dem Lindenholz vorgemacht hat.
Die Spezifik des Alabasters hat dazu beigetragen, dass der Skulptur aus diesem Material relativ früh Aufmerksamkeit geschenkt wurde. [1] Mit wenigen Ausnahmen [2], handelte es sich dennoch um Studien von Regional- bzw. Landesreichweite, die den grenzübergreifenden Kontext der Alabastermode selten berücksichtigten. Woods konnte also auf einer Forschungstradition aufbauen, wagte aber eine breitere Perspektive. In ihrer Besprechung stehen die führenden Zentren England und Spanien insbesondere im Fokus, ferner werden auch Frankreich und die Burgundischen Niederlande berücksichtigt. Die Abwesenheit, bzw. der marginale Platz von Deutschland - im 15. Jahrhundert ebenso ein wichtiges Zentrums der Alabasterskulptur - muss bei dem transnationalen Anspruch dieser Studie überraschen, und das, besonders weil dank der früheren Studien Grundlagen für eine neue Auswertung vorhanden wären. [3]
Wood widmet ihr Buch der Periode zwischen 1330 und 1530. Die untere Zeitgrenze ist dabei unbestritten: Tatsächlich um 1330 zeigen sich in England die ersten Zeichen des Interesses für das Material, das sich im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts auch anderswo zu einem der populärsten und prestigeträchtigsten Steinmaterialien etablierte. Die obere Grenze der von Woods gewählten Untersuchungsperiode ist dagegen diskutabel. Man kann annehmen, dass die Autorin sich an der (ohnehin problematischen) Grenze zwischen Spätgotik und Renaissance orientiert. Da aber Stilkategorien in ihrer Arbeit keine zentrale Rolle spielen, und Alabaster nach 1530 keinesfalls an seiner Popularität verlor, mag es verwundern, warum gerade diese Zäsur gewählt wurde. Ein Argument dafür liefert die Autorin eigentlich indirekt selbst, und zwar in ihrer Analyse des Status des Materials.
Der reich illustrierte Band (194 Farb-, 5 Schwarzweißabbildungen,) setzt sich aus neun Kapiteln zusammen. Das erste ist dem Material Alabaster gewidmet, das hier sowohl als Rohstoff mit seinen spezifischen Natureigenschaften, Vorkommensformen und -lokalisierung als auch als Werkstoff, der bestimmte Bearbeitungstechniken erfordert, ausführlich diskutiert wird. Woods kombiniert dabei gelungen das zeitgenössische geologische Wissen und die restauratorischen Befunde mit dem reichen Quellenmaterial, der dem Leser Einblick in die Problematik der Materialbeschaffung und -kosten gewährt. Ferner widmet sie viel Aufmerksamkeit auch der Alabasterfassung, deren Interpretation wesentlich für das Verständnis des Materialstatus ist.
Im zweiten Kapitel stehen die auf Alabaster spezialisierten Bildhauer (Alabasterer) und Werkstätte im Fokus. Sich auf konkreten Beispielen stützend sucht Woods nach den Spezifika der Alabasterspezialisierung, und dies sowohl im Fall der prestigeträchtigen Auftragsarbeiten als auch der seriellen Produktion. Denn diese zwei Produktionszweige stellen zweifelsohne region- und epochenübergreifend ein Charakteristikum der Alabasterskulptur dar.
In dem vierten Buchkapitel wird die Meister- und Werkstattproblematik am Beispiel zweier führender Künstlerpersönlichkeiten, des Meisters des Rimini-Altars und Gil de Siloé, vertieft. Bezüglich des ersten erweitert Woods ihre früher veröffentlichte Hypothese [4], dass es sich bei diesem bedeutenden, um 1420-1430 tätigen Alabastermeister, dessen Werke weite Verbreitung fanden, um den in Brügge tätigen Gilles de Backere handele. Obwohl diese gewagte Hypothese m.E. im Licht der aktuellen Forschungsergebnisse des französischen Forschungsteams von Geochemikern, Geologen und Kunsthistorikern, die eindeutig deutsche Herkunft des vom Rimini-Meister verwendeten Alabasters identifizieren konnten [5], nicht standhalten kann, ist der Beitrag Woods zur Untersuchung dieses künstlerischen Phänomens unbezweifelbar bereichernd. Gleich wertvoll, u.a. als Beitrag zur Erforschung der künstlerischen Beziehungen zwischen Spanien und den Niederlanden ist ihre Skizze zur Gil de Siloé.
Im fünften Kapitel setzt sich Woods mit Status und Bedeutung des Alabasters auseinander. Anhand vielfältiger Quellen rekonstruiert sie, wie das Material mit seinen Charakteristika (Glanz, Farbe) und im Bezug zu anderen Materialien (Marmor, Elfenbein) durch das 'Epochenauge' betrachtet wurde. Dabei stellt die Autorin eine wichtige These auf, nämlich dass Alabaster im nördlichen Europa nicht als erschwinglicher Ersatz für den weißen italienischen Marmor angesehen, sondern für seine distinktiven Eigenschaften geschätzt und gewählt wurde. Sie erwähnt flüchtig (12), dass seit dem 16. Jahrhundert eine steigende Differenzierung zwischen den beiden Materialien zu beobachten sei. Genau diese Wende im Alabasterstatus, der mit dem steigenden Druck des Marmors als Idealmaterial der Antike seine führende Rolle im Nordeuropa verteidigen musste (um sie dann im 17. Jahrhunderts zu verlieren), wäre ein starkes Argument für die obere Zeitgrenze, die Woods in ihrer Studie setzte.
Der zweite Buchteil (Kapitel 6-9) ist den charakteristischen Genres der Alabasterskulptur gewidmet (Grabdenkmäler, Altarretabel, Einzelfiguren und Statuetten). Dabei schenkt Woods den Grabdenkmälern besonders viel Aufmerksamkeit, indem sie die Unterschiede zwischen den Auftragsarbeiten und der seriellen Produktion gründlich im Kontext der Vermarktungsstrategien der Alabasterwerkstätte ausarbeitet. Sie stellt viele interessante Beispiele der spezifischen Genres (Johannesschüssel, Pietà, Schmerzensmann u.a.) im Kontext der zeitgenössischen Frömmigkeitspraktiken, im Spannungsfeld zwischen der Privatsphäre und der Öffentlichkeit dar.
Insgesamt, trotz der oben genannten Diskussionspunkte, ist Cut in Alabaster ein sehr wichtiges und wertvolles Buch, das Grundlagen für die weitere transnationale Erforschung der Alabasterkunst schafft und auch als ein Vorbild für vertiefte Studien zu anderen Materialien dienen kann.
Anmerkungen:
[1] Zur frühen Forschung über Englische Alabaster s. William Anderson: Re-discovery. Collecting and Display of English Medieval Alabasters, in: Journal of the History of Collections 16 (2004), 47-58; bez. Deutschland s. Georg Swarzenski: Deutsche Alabasterplastik des 15. Jahrhunderts, in: Städel-Jahrbuch 1 (1921), 167-213.
[2] Walter Paatz: Stammbaum der gotischen Alabasterskulptur, in: Wolfgang Braunfels (Hg.): Kunstgeschichtliche Studien für Hans Kauffmann, Berlin 1956, 127-135.
[3] E.g. Swarzenski s. Anm. 1; Norbert Jopek: Studien zur deutschen Alabasterplastik des 15. Jahrhunderts, Worms 1988.
[4] Kim W. Woods: The Master of Rimini and the Tradition of Alabaster Carving in the Early 15th Century Netherlands, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 62 (2012), 56-83.
[5] Wolfram Kloppmann [u.a.]: Artistic Mobility and Art Trade in the Late Middle Ages: Isotopic Evidence on the Master of Rimini Enigma, [erscheint voraussichtlich 2020].
Aleksandra Lipińska