Barbara Eschenburg: Naturbilder - Weltbilder. Landschaftsmalerei und Naturphilosophie von Jan van Eyck bis Paul Klee, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2019, 255 S., 116 Farbabb., ISBN 978-3-7861-2788-8, EUR 59,00
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Mit dem hier zu besprechenden Buch von Barbara Eschenburg, einer ehemaligen Kuratorin des Lenbachhauses in München, liegt die erste umfassende Untersuchung der Zusammenhänge zwischen europäischer Landschaftsmalerei und Naturphilosophie beziehungsweise Naturwissenschaft vor.
Die gut 250 Seiten umfassende Publikation gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil ist dem Thema "Der Mensch als Ziel und Zweck der Welt" gewidmet. Im Zentrum stehen hier Künstler des 15. und 16. Jahrhunderts. Der zweite Teil macht etwas mehr als die Hälfte des gesamten Buches aus und trägt einen ungewöhnlich langen Titel: "Das Wunder verschwindet aus dem von Naturgesetzen gelenkten Kosmos. Der Mensch rückt aus dem Zentrum und Gott in die Ferne. Die Materie wird real". Hier geht es eigentlich fast ausschließlich um Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts. Das Motto des dritten Teils, das sich vor allem mit der Kunst des 19. Jahrhunderts beschäftigt, lautet: "Unsere Sinnesorgane und die Struktur unsere Denkens bestimmen unser Bild von der Welt". Jeder der drei Teile enthält vier bis zwölf Kapitel, in denen zumeist ein Künstler, manchmal auch eine größere Werkgruppe oder ein einziges Werk herausgegriffen und analysiert werden.
Eine der Kernthesen der Autorin ist, dass die Durchsetzung des heliozentrischen Weltbildes eine wichtige Voraussetzung dafür war, dass die Landschaftsmalerei überhaupt aufkommen und sich bis zum 19. Jahrhundert zu einer der bedeutendsten Bildgattungen entwickeln konnte (215). Das bis weit in die Frühe Neuzeit dominierende geozentrische Weltbild war Eschenburg zufolge nämlich mit einer Sichtweise verbunden, bei der der Mensch im Zentrum steht (9). Darum hatte die Natur zunächst keine eigene Daseinsberechtigung in der Kunst. Sie bestand aus vereinzelten Gegenständen, deren Aufgabe es war, den Ort menschlichen Geschehens oder der Heilsgeschichte zu bezeichnen. Die Vorstellung, dass die Natur eine Einheit sei, die dem Menschen nicht untergeordnet ist, sondern in die dieser sich - als ein kleiner Bestandteil - einfügt, kam erst im Laufe der Frühen Neuzeit durch die erneute Auseinandersetzung mit der antiken Naturphilosophie auf.
Im Rahmen der Einleitung gibt Eschenburg auch einen Überblick über die naturphilosophischen Schriften der Antike und den biblischen Schöpfungsbericht (10-15). Der wichtigste Name, der mit dem geozentrischen Weltbild in Verbindung steht, ist Aristoteles, dessen Philosophie bis weit ins 18. Jahrhundert bestimmend war. Neben Aristoteles gab es jedoch schon in der Antike Philosophen wie Demokrit, die sich die Welt als unendlich und die Materie aus Atomen zusammengesetzt vorstellten. Epikur, Seneca oder Lukrez bezweifelten außerdem, dass die Welt von einem Gott geschaffen wurde. Schließlich verweist die Autorin daher auch auf das Buch Genesis und die Tatsache, dass die ersten Landschaftsbilder Darstellungen des Paradieses waren (15).
Im Folgenden wird aus jedem der drei Teile des Buches ein repräsentatives Kapitel näher vorgestellt und diskutiert.
Das zweite Kapitel des ersten Teils beschäftigt sich mit dem Universalgenie Leonardo da Vinci, der seine Gedanken zu Naturwissenschaft und Technik in zahlreichen Manuskripten festhielt. Eines von Leonardos Lieblingsthemen war die Erd- und Naturgeschichte. Die Kunstwissenschaft hat daher versucht, seine Überlegungen zur Entstehung der Erdoberfläche mit seinen Gemälden, in denen er Landschaften darstellte, in Verbindung zu bringen. Der Italiener war zweifellos noch ein Vertreter der alten geozentrischen Schule, jedoch kann man nachweisen, dass er von der Kugelgestalt der Erde überzeugt war. Belegbar ist ferner, dass er nicht an die Erschaffung der Welt glaubte, wie sie in der Bibel beschrieben wird. So wird er aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Interessen von Alberti in der ersten Ausgabe seiner "Viten" sogar als ein "Ketzer" (eretico) bezeichnet. [1] Dieser vermutete nämlich, dass Leonardo nicht besonders religiös war. Eschenburg zufolge sind die Landschaften in Leonardos Gemälden und Zeichnung nur durch sein an antiken Vorstellungen orientiertes Naturverständnis zu erklären (26). Die Idee, dass das Wasser in der Erdmitte versammelt und für die Entstehung der Berge verantwortlich sei, lasse sich mit Senecas "Naturales questiones" in Verbindung bringen. Darum sei beispielsweise im Hintergrund von Anna selbdritt im Louvre eine Landschaft aus Felsen und Wasser dargestellt. Die spitzen, felsigen Berge zeigen für den Künstler ein altes Gesicht der Erde, der die Erneuerung der Welt durch Christus gegenübergestellt sei.
Um eine Ikone der Naturdarstellung handelt es sich zweifellos bei der vermutlich 1609 entstandenen Ruhe auf der Flucht nach Ägypten von Adam Elsheimer (München, Alte Pinakothek). Eschenburg glaubt, dass das Gemälde als ein Plädoyer für das heliozentrische Weltbild zu interpretieren sei, da darin mehrere neue Erkenntnisse der Astronomie thematisiert werden (65). Ungewöhnlich ist, dass einen großen Teil des Bildes der Nachthimmel mit zahlreichen Sternen und dem Mond einnimmt. In der linken oberen Bildecke ist die Milchstraße als eine streifenförmige Ansammlung von Sternen zu erkennen und beim Mond sind die Mondflecken zu sehen. Der Autorin zufolge stellte Elsheimer diese Motive so präzise dar, wie man sie nur mit einem Teleskop sehen kann (68). Es ist sehr wahrscheinlich, dass sein Gemälde mit Galileo Galileis Sidereus Nuncius zusammenhängt, einer astronomischen Schrift, die 1610 erschien. [2] Darin werden Phänomene wie die Mondflecken oder zahlreiche neue Sterne beschrieben, die Galilei mit Hilfe eines Fernrohres beobachtete. Galilei war - ebenso wie Giordano Bruno, der 1600 hingerichtet wurde - ein Verteidiger des kopernikanischen Weltbildes. Vermutlich waren Elsheimer auch die Schriften Brunos bekannt. Das wichtigste Indiz dafür ist, dass der Künstler in seiner Ruhe auf der Flucht funkelnde und nicht funkelnde Sterne darstellt, zwischen denen auch schon Bruno unterschieden hatte. Unbekannt sind die Entstehungsumstände von Elsheimers Gemälde, insbesondere die Frage, warum und für wen er es malte. In meinen Augen ist nicht auszuschließen, dass der Auftraggeber den Maler dazu anregte, sich mit den Schriften Brunos auseinanderzusetzen.
Vielschichtige Bezüge zur Naturwissenschaft sieht die Autorin auch bei Claude Monet und seinen Zeitgenossen (185-198). Allgemein akzeptiert ist, dass farbige, insbesondere blaue Schatten in der Malerei nicht ohne die Schriften Eugène Chevreuls und Charles Blancs über das optische Phänomen des Komplementärkontrasts vorstellbar seien. [3] Eschenburg weist aber auch darauf hin, dass die Auflösung des Bildes in einzelne Pinselstriche beziehungsweise Punkte mit der Wahrnehmungstheorie George Berkeleys (1685-1753) zusammenhängen könnte (185). Dieser nahm an, dass der Mensch eigentlich nur Flecken sehe und ein räumliches Sehen erst durch die Erinnerung an die Erfahrung des Tastsinns entstehe. Weiterentwickelt wurde diese Überlegung von David Hume (1711-1776) zu einer Erkenntnistheorie, die ausschließlich auf Sinneserfahrungen beruht. Nicht belegbar ist jedoch die Annahme, dass sich Monet mit den Überlegungen Henri Bergsons (1859-1941), insbesondere seines Konzepts der "durée" auseinandersetzte. Dieser wendete sich gegen die Vorstellung, dass Zeit eine Reihe von Augenblicken sei, die selbst als Stillstand aufgefasst werden. Eschenburg beruft sich hier auf Michael Kausch, der die Ideen Bergsons mit Monets Serienbildern im Verbindung brachte (192). [4] In der Folge versucht die Autorin, in der Kunst Monets den Einfluss verschiedener anderer Naturwissenschaftler nachzuweisen. Interessant ist dabei ihr Verweis auf den schottischen Geologen Charles Lyell (1797-1975), der meinte, die Erdoberfläche sei durch die ununterbrochene Einwirkung von Wasser und Wind über eine unvorstellbar lange Zeit hinweg geformt worden. Monets wind- und wassergepeitschten Felsdarstellungen im Meer bei Étretat seien fast wie Verbildlichungen von Lyells Theorie.
Insgesamt sind Barbara Eschenburgs interdisziplinäre Studien zur Geschichte der Landschaftsmalerei also eine anspruchsvolle, aber sehr lesenswerte Lektüre. Zeitweise bekommt man allerdings den Eindruck, dass die Autorin das Christentum und die lange, von ihr dominierte Periode ein wenig abwertet. So behauptet sie etwa zu Beginn des letzten Kapitels, dass "die Religion die Geister gefangen hielt" (199). Auch ignoriert sie bisherige Forschungen zu allgemeinen Aspekten der Landschaftsmalerei, beispielsweise "Landscape and religion" von Boudewijn Bakker [5] oder "Pittoresque et mélancholie" von Andrei Plesu. [6] Zudem fehlen in der Bibliografie grundlegende Überblickswerke wie Nils Büttners "Geschichte der Landschaftsmalerei". [7] Dennoch vermittelt die Publikation zahlreiche tiefe Einsichten in ein faszinierendes und immer beliebteres Thema. Die genauere Untersuchung vieler von Eschenburg angedachter Fragen wäre daher wünschenswert.
Anmerkungen:
[1] Giorgio Vasari: Das Leben des Leonardo da Vinci, neu übers. von Victoria Lorini, hrsg., komm. und eingeleitet von Sabine Feser, Berlin 2006, 22, Anm. 29 / 64, 65.
[2] Galileo Galilei: Sidereus Nuncius, hrsg. und eingeleitet von Hans Blumenberg, Frankfurt a. M. 2002.
[3] Georges Roque: Art et science de la couleur. Chevreul et les peintres, de Delacroix à l'abstraction, Nîmes 1997.
[4] Michael Kausch: Time, space and the image of the cosmos. Structures of artistic thinking in the series of Claude Monet, in: Kunstgeschichte Open Peer Reviewed Journal (2011) (urn:nbn:de:0009-23-27634).
[5] Boudewijn Bakker: Landscape and religion from Van Eyck to Rembrandt, Farnham 2012.
[6] Andrei Plesu: Pittoresque et mélancholie. Une analyse du sentiment de la nature dans la culture européenne, Paris 2007.
[7] Nils Büttner: Geschichte der Landschaftsmalerei, München 2006.
Anna Simon