Hans Berkessel / Michael Matheus / Kai-Michael Sprenger (Hgg.): Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland (= Mainzer Beiträge zur Demokratiegeschichte; Bd. 1), Mainz: Nünnerich-Asmus Verlag & Media 2019, 226 S., 119 s/w-Abb., ISBN 978-3-961760-72-5, EUR 29,00
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Am 21. Oktober 1792 besetzten französische Truppen unter Adam-Philippe Custine kampflos Mainz. Ihre Eroberungen auf dem rechten Rheinufer verloren sie allerdings wieder im Dezember 1792. In Mainz kam es unter dem Protektorat Custines am 23. Oktober 1792 durch 20 Intellektuelle und Beamte zur Gründung eines Jakobinerclubs, der sich "Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit" nannte. Ihm traten mehr als 400 Deutsche bei, darunter zahlreiche Handwerker. Das Programm der Mainzer Jakobiner war bürgerlich-demokratisch und sie setzten sich für eine vom Volk legitimierte Herrschaft ein. Letztlich war die Mainzer Republik eine Verbindung von französischem Revolutionsexport und deutschem Demokratieexperiment.
Die vorliegende Veröffentlichung gliedert sich in drei Teile: Beiträge, Dokumentation der Festveranstaltung und Anhang (Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweis und Biografien der Autorinnen und Autoren). Mit diesem Band startet das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz eine neue Reihe "Mainzer Beiträge zur Demokratiegeschichte".
Der erste Teil umfasst insgesamt sieben Aufsätze, die sich mit der Mainzer Republik, mit der Wormser Freiheitsdebatte 1792/93, mit Kampfschriften und Liedern, mit der Festung Königstein und den gefangenen Mainzer Revolutionären sowie mit den Nachwirkungen der Französischen Revolution und der französischen Herrschaft in der staatlichen Entwicklung Deutschlands befassen.
Michael Matheus weist in seinem Beitrag, einer erweiterten Fassung des einleitenden Vortrags zur Fachtagung vom 23. Oktober 2017, auf die wichtige Frage der wissenschaftlichen Beurteilung der Mainzer Republik hin, wobei er grundsätzlich zwischen Jubiläen, Gedenktagen und historischer Forschung unterscheidet. Wichtig, so betont er, sei vor allem die Unabhängigkeit wissenschaftlicher Forschung gegenüber politischer Instrumentalisierung. Am Beispiel der Mainzer Jakobiner zeige sich, dass Demokratien "Orte der Erinnerung als symbolische Kristallisationspunkte gemeinsamer Geschichte" (24) benötigen, was er in seinem Aufsatz genauer ausführt.
Forschungsergebnisse und -perspektiven präsentieren dann in den anschließenden Studien Wolfgang Dobras am Beispiel ausgewählter Ereignisse mit ihrer archivischen Überlieferung, Matthias Schnettger mit der Verortung der Mainzer Republik in Wissenschaft und Geschichtskultur sowie Volker Gallé mit der Vorgeschichte der Wormser Freiheitsdebatte 1792/93, ihren Folgewirkungen und mit der Republik in Worms. Mit der revolutionären und gegenrevolutionären Publizistik auf dem linken Rheinufer beschäftigt sich der Beitrag von Immo Meenken. Die Mainzer Jakobiner fassten in ihren Kampfschriften drei Ziele ins Auge: "sie schrieben und sangen, um das Ancien Régime und seine Vertreter zu diffamieren, um sich selbst und ihr eigenes politisches Programm zu bewerben und dabei mögliche Vorbehalte und Einreden sogleich zu entkräften und um die Bevölkerung im Mainzischen von Grund auf politisch zu belehren" (96).
Die beiden letzten Aufsätze befassen sich mit zwei wichtigen Einzelaspekten, nämlich mit der Festung Königstein, auf der Mainzer Jakobiner, die verdächtigen Revolutionsanhänger, inhaftiert wurden. Die Festung war gleichsam Symbol für alle Freiheitskämpfer (Sara Anil). Eine systematische Untersuchung der zweieinhalb Jahre dauernden Gefangenschaft in Königstein ist bis heute ein Desiderat der Forschung. Der zweite Aspekt betrifft die Freiheitsbewegungen und die Bürokratie (Walter Rummel), also die Nachwirkungen und Folgen, die durch die Französische Revolution und die französische Herrschaft in der deutschen Staatsentwicklung verursacht wurden. Ausgehend von der Mainzer und Bergzabener Republik erläutert der Autor als Beispiele das Hambacher Fest, die Revolution 1848/49 sowie die revolutionäre und napoleonische Herrschaft im Rheinland 1798 bis 1814. Die Wirkungsgeschichte der Französischen Revolution weise, so schreibt der Autor, zwei Seiten auf: "eine grundrechtliche und eine obrigkeitsstaatlich-bürokratische" (158).
Der zweite Teil des Buches enthält die Dokumentation der erwähnten Festveranstaltung: die Begrüßungsrede von Landtagsvizepräsidentin Barbara Schleicher-Rothmund und die Festrede von Jürgen Goldstein "Georg Forster - Ein sonderbarer Jakobiner zwischen Freiheit und Naturgewalt". Als Ergänzung zum Dokumentationsteil finden sich Auszüge aus Forsters "Ansichten vom Niederrhein" und aus der Podiumsdiskussion zum Thema "Georg Forster und das Erbe der Mainzer Republik in ihrer Bedeutung für die deutsche Demokratiegeschichte". Der Anhang am Schluss des Bandes führt die wichtigsten gedruckten Quellen und die Literatur an. Der vorliegende Sammelband ist sehr stark auf die Demokratiefrage fokussiert, die kontroversen Forschungspositionen und die damit verbundenen politischen Interessen treten allerdings stärker in den Hintergrund.
Helmut Reinalter