Aryo Makko: Ambassadors of Realpolitik. Sweden, the CSCE and the Cold War (= Studies in Contemporary European History; Vol. 20), New York / Oxford: Berghahn Books 2017, XII + 287 S., eine Tbl., 3 s/w-Abb., ISBN 978-1-78533-284-5, GBP 92,00
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Wie bei den meisten Staaten auf der Welt gibt es auch in der schwedischen Außenpolitik eine Reihe teils leicht erklärbarer, teils rätselhafter Inkonsistenzen und Widersprüche. Das politische Alltagshandeln entspricht nicht immer dem idealisierten nationalen Selbstbild. Lücken zwischen der moralisch eingefärbten Regierungs-Programmatik und ihren politischen Entscheidungen sind nicht ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass Regierungen gern unterschiedliche Akzente in der Darstellung ihrer Außenpolitik setzen, je nachdem, ob sie sich an die eigene Öffentlichkeit oder an die Mitspieler auf der internationalen Bühne wenden. Solche Widersprüche untersucht Aryo Makko, Professor am Historischen Institut der Universität Stockholm, am Beispiel der schwedischen KSZE-Politik zwischen dem Budapester Appell der Warschauer Pakt-Staaten 1969 und der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki 1975. Seine Fallstudie ist außerordentlich detailreich und beruht auf Quellenmaterial verschiedener Archive in mehreren Ländern. Ihm ist damit ein origineller Beitrag zur außenpolitischen Kultur eines Landes gelungen, das sich seit den 1960er Jahren mit viel Aufwand um ein kosmopolitisch-internationalistisches Image bemühte. In kontinental-europäischen Angelegenheiten agierte Schweden demgegenüber ziemlich zurückhaltend. Und im Prozess der multilateralen Ost-West-Entspannung blieb es meist passiv.
Schwedens Neutralität beruhte nach 1945 auf drei Säulen: der Blockfreiheit, der engen Kooperation der nordischen Staaten untereinander und der kollektiven Sicherheit im Rahmen der Vereinten Nationen. Diese sogenannte Undén-Linie (benannt nach dem langjährigen Außenminister) enthielt jedoch eine Reihe von inneren Widersprüchen. So war die UNO im Ost-West-Konflikt weitgehend blockiert. Von den nordischen Staaten gehörten drei der NATO an (Norwegen, Dänemark, Island), Finnland war zwar neutral, aber auf andere Art als Schweden. Schweden selbst orientierte sich wirtschaftlich, kulturell und indirekt auch militärisch weitgehend unbehelligt nach dem Westen. Das alles passte nicht so recht zusammen, konnte aber unter dem Etikett der Souveränität einigermaßen glaubhaft zusammengehalten werden.
Aus dieser etwas eckigen außenpolitischen Perspektive wirkte das sowjetische Drängen auf eine europäische Sicherheitskonferenz eher störend. Zwar wurde im mühseligen Gang der Ost-West-Entspannungspolitik zwischen den beiden "Supermächten" und auf der europäischen Bühne aus dem einseitigen sowjetischen Projekt über mehrere Zwischenschritte ein multinationaler und intersystemarer Prozess. Besonders Finnland setzte sich zum Verdruss Stockholms dafür besonders ein. Lange blieb Schweden gegenüber finnischen Aufforderungen zur Unterstützung dieses Kurses jedoch kühl und skeptisch bis uninteressiert. Entziehen konnte und wollte es sich diesem Prozess indes auch nicht. In den fünf Kapiteln seines Buches beschreibt Makko minutiös, wie die schwedische Diplomatie in den Verhandlungen zur Vorbereitung der KSZE auftrat, welche Prioritäten ins Auge gefasst wurden, welche Aspekte eines von allen Verhandlungspartnern (mit weit auseinanderliegenden Interessen) angestrebten Schlussdokumentes aus schwedischer Sicht wichtig und welche vernachlässigbar erschienen.
Zunächst war es die Bonner Ost- und Deutschlandpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt, die dem fast gleichzeitig ins Amt gewählten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme als Bezugspunkt für Fortschritte in der Politik europäischer Sicherheit galt. Das freundschaftliche Verhältnis der beiden erleichterte enge Zusammenarbeit und ausführliche gegenseitige Information. Inhaltlich gab es zwischen beiden dennoch große Unterschiede. Die schwedische Diplomatie war sehr an Fragen der Abrüstung interessiert, wohingegen alle menschenrechtsbezogenen Punkte, in der Helsinki-Schlussakte im Korb 3 zusammengefasst, als nachrangig angesehen wurden. Die nachvollziehbare Begründung dafür lautete, dass die Sowjetunion einem Schlussdokument, das ihr eigenes Ordnungssystem in Frage stellte, sowieso nie zustimmen würde. Entsprechend zeigte man sich in der schwedischen Delegation und in Stockholm von dem deutschen Ansatz eines Wandels durch Annäherung nicht überzeugt. Außerdem hielt man dort wenig von den Bemühungen der EWG-Mitglieder, ihre Außenpolitik während der Konferenz-Vorbereitung enger zu koordinieren. Stattdessen suchte Schweden eher Übereinstimmung mit den skeptischeren westlichen Konferenzteilnehmern USA und Großbritannien. Immerhin gab es auch Absprachen und gemeinsame Überlegungen mit den anderen neutralen und nichtpaktgebundenen Staaten, wenngleich das Verhältnis zu Finnland während der gesamten Vorbereitungszeit der KSZE getrübt blieb.
Makkos Buch überzeugt durch seine dichten Beschreibungen der internen Diskussionen und Entscheidungen des kleinen Kreises schwedischer Diplomaten und Politiker, die mit der KSZE im Berichtszeitraum befasst waren. Darin liegt der Hauptertrag seiner Studie, die über die bisherige Forschung über Schwedens KSZE-Politik weit hinausgeht. Weniger glücklich ist sein Versuch, die Entscheidungen und mit ihnen verbundenen taktischen Akzentverschiebungen der schwedischen Politik während der multilateralen Verhandlungen auf ein Rollen-Schema für staatliches Handeln zu projizieren, das der kanadische Politikwissenschaftler K J. Holsti entwickelt hat. Auch das schon im Titel des Buches angesprochene Konzept von Realpolitik erscheint etwas blass. Makko geht davon aus, dass Realpolitik sich nur mit "harten" Themen wie Rüstung und Wirtschaft befasst. Sieht man genauer hin, dann war aber gerade das Ringen um die Menschenrechte, Informations- und Reisefreiheit zwischen den westlichen und östlichen Delegationen während der Vorbereitung der KSZE nichts anderes als Realpolitik. Auf jeden Fall galt dies für die Verknüpfung dieser "soft power"-Themen mit solchen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Maßnahmen zur militärischen Vertrauensbildung.
Dem hohen Informationswert dieser Studie schadet diese konzeptionelle Unschärfe aber kaum. Bei intensiverer Benutzung des Buches neigt es allerdings dazu, buchbinderisch auseinanderzufallen. Das ist schade, denn sein Inhalt lädt interessierte Leser durchaus zu intensivem Studium ein.
Wilfried von Bredow