Christian Saehrendt: Kunst im Kreuzfeuer. documenta, Weimarer Republik, Pariser Salons: Moderne Kunst im Visier von Extremisten und Populisten, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 241 S., ISBN 978-3-515-12753-0 , EUR 50,00
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Die Studie Kunst im Kreuzfeuer des Kunsthistorikers Christian Saehrendt versteht sich dezidiert nicht nur als geschichtliche Abhandlung, sondern als Beitrag zur gegenwärtigen Debatte um die Freiheit der Kunst. Das wird schon aus dem Umschlag des Buches ersichtlich, der eine Fotografie der Statue "Hockende Negerin"[1] des Berliner Bildhauers Arminius Hasemann aus den 1920er Jahren zeigt, die im Zuge der "Black Lives Matter"-Proteste nicht nur mit Farbe besprüht, sondern sogar enthauptet wurde. Saehrendt möchte die gegenwärtigen Debatten um die Grenzen künstlerischer Freiheit einerseits historisch kontextualisieren und eine Art Genealogie des Diskurses um Kunstfreiheit schreiben; andererseits stellt seine Studie ein Plädoyer für die Autonomie der Kunst dar: Populistische Bewegungen aller Couleur ebenso wie politischen oder religiösen Extremismus hält der Autor für bedrohliche Interventionen in die Freiheit der Kunst und damit in die soziale Freiheit insgesamt.
Trotz dieses aktualisierenden Anspruchs verfährt die Studie vor allem historiografisch. Nach einer kurzen Einleitung legt Saehrendt dar, wie sich im Frankreich des 19. Jahrhunderts bereits ganz ähnliche Debatten entspannen: Die Entstehung eines hochspekulativen Kunstmarkts brachte es mit sich, dass ein regelrechter Kunstbetrieb entstand, in dem gezielte Provokationen ein probates Mittel für junge Künstler waren, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und die Preise ihrer Werke in die Höhe zu treiben. Eine Entwicklung, die bereits damals von verschiedener Seite aus kritisiert und als illegitime Kommerzialisierung der Kunst beschrieben wurde, als Dekadenzphänomen und problematische Entfremdung der Kunst vom 'gesunden Volksempfinden'. Wie schon der Titel des Buches nahelegt, ist der Kernpunkt Saehrendts hierbei, eine Parallele von linker und rechter, konservativer und progressiver Kunstkritik aufzuzeigen.
Diese Parallelität arbeitet Saehrendt dann vor allem im zweiten Kapitel des Buches heraus, in dem die politische Kunstkritik zwischen 1919 und 1955 beschrieben wird. Saehrendt versucht dort zu zeigen, dass es eine Art 'Querfront' zwischen konservativen, faschistischen und linksradikalen Kunstkritikern gegen die als 'dekadent' und 'volksfremd' wahrgenommene Kunst der Avantgarden gegeben habe. Es ist zwar durchaus so, dass Saehrendt auch die Unterschiede zwischen diesen Richtungen der Kunstkritik betont, aber letztendlich würden sie mit nahezu identischen Bildern und Narrativen arbeiten: Eine kleine Elite manipuliere mit fragwürdigen Methoden den Kunstbetrieb in ihrem Sinne und werte so die abstrakte Kunst der Moderne gegenüber anderen Spielarten der Kunst künstlich auf.
Die folgenden drei Kapitel des Buches beschäftigen sich schließlich vorrangig mit der Geschichte der documenta im Lichte der Fragestellung des Buches. Sehr minutiös geht Saehrendt, der bereits wiederholt zur Geschichte der Kasseler Schau publiziert hat, die einzelnen Ausstellungen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zur Gegenwart durch und legt dar, wie die documenta von linksradikaler und rechter Seite immer wieder als 'abgehobenes Kommerzspektakel' attackiert wurde bis hin zu konkretem Vandalismus gegen einzelne Werke.
Ausgehend von dieser Analyse vertieft Saehrendt im Schlusskapitel die bereits in der Einleitung angedeutete Gegenwartsdiagnose und spitzt sie zu einer eigenen Stellungnahme zu: Die Freiheit der Kunst sei auch heute wieder im Visier verschiedenster Populismen, wobei der Autor neben der rechtskonservativen Kunstkritik eine problematische Allianz zwischen islamistischer und "identitätslinker" Kunstkritik als größte Gefahr für die Freiheit der Kunst ansieht.
Saehrendts Studie besticht durch ihre Materialfülle und Genauigkeit. Trotz seines von Anfang an verfolgten Bemühens darum, eine bestimmte Stellungnahme zum Problem der Kunstfreiheit zu entfalten, gelingt es dem Autor dennoch, die verschiedenen Kunstkritiken neutral darzustellen und ihr jeweiliges Anliegen verständlich zu machen. Er erkennt dabei auch immer wieder an, dass die vor allem von linken Akteuren kritisierte Kommerzialisierung der Kunst und ihre Abgehobenheit von der breiten Bevölkerung ein reales Problem darstelle und liefert einige interessante Belege für diese These. Trotzdem weist er unterm Strich "populistische" Kunstkritiken deutlich zurück und problematisiert insbesondere, dass sich auch linke Kunstkritiken oft Bilder und Metaphern bedienen, die auf eine Personalisierung und Vereinfachung komplexer Machtverhältnisse hinausliefen und eine offene Schlagseite in Richtung Antisemitismus und "Verschwörungstheorie" hätten.
Aufgrund der erwähnten Sachlichkeit und Ausführlichkeit von Saehrendts Darstellung - die sich eben genau darin zeigt, dass er immer wieder Fakten anführt, die seiner eigenen Grundtendenz zuwiderlaufen oder sie zumindest relativieren - ist seine Studie für alle, die sich mit der Thematik der Kritik an moderner Kunst auseinandersetzen wollen, eine äußerst instruktive Lektüre. Saehrendt gelingt es dabei vor allem, sehr leserlich und an einigen Stellen durchaus unterhaltsam zu schreiben. Er hat ein gutes Gespür für die Auswahl besonders treffender und bisweilen auch kurioser und lustiger Anekdoten. Das macht sein Buch auch für ein fachfremdes Publikum lesenswert.
Saehrendts beschriebenes Narrativ ist jedoch die Achillesferse der Studie. Seine Bestimmung des Begriffs der "Kunstfreiheit" fällt sehr knapp aus und lässt außer Acht, dass es äußerst unterschiedliche Weisen gibt, Kunstfreiheit zu verstehen. Saehrendt geht von einem radikalliberalen, geradezu libertären Begriff von Kunstfreiheit aus, demzufolge seitens des Staats und der sozialen Akteure alles zu tolerieren sei, was sich selbst als 'Kunst' versteht beziehungsweise vom Feld 'Kunst' als ihm zugehörig begriffen wird. Er reflektiert dabei nicht, dass ein derart weit gefasstes Verständnis von Kunstfreiheit geradezu in sein Gegenteil umschlägt: Denn jeder Versuch, klare Kriterien zu benennen, was Kunst sei und was nicht (wie von den konservativen und linken Kunstkritikern gefordert), wird sofort als Angriff auf die Kunstfreiheit abgewehrt.
Durch diesen vagen und weiten Begriff von Kunstfreiheit verliert Saehrendt dessen entscheidende Paradoxie aus dem Blickfeld: Das Ideal von Kunstfreiheit selbst ermöglicht zum einen die Kommerzialisierung des Kunstmarkts, zum anderen die politische Steuerung der Kunst durch subtilere Methoden als explizite Zensur. Dass eine solche Manipulation des Kunstmarktes und eine damit verbundene Homogenisierung des Kunstbetriebs tatsächlich stattfindet, benennt Saehrendt durchaus in sehr deutlichen Worten. Doch scheint er diese Art der Beschränkung der Kunstfreiheit im Vergleich zur "populistischen" Kunstkritik für völlig unproblematisch zu halten. Im Abschnitt über die Kunst der Nachkriegszeit legt Saehrendt etwa dar, dass es nicht nur im Ostblock, sondern auch in den westlichen Staaten eine klare politische Agenda gab. Sowohl private Kunsthändler als auch politische Akteure bis hin zum CIA förderten bewusst und massiv abstrakte Kunst und schlossen die im Osten bevorzugte realistisch-figurative Kunst systematisch aus dem Kunstbetrieb aus. Diese Homogenisierung erfolgte kaum über explizite Zensur - doch es ist fraglich, warum man sie nicht genauso problematisieren sollte wie eine faschistische oder sozialistische politische Einflussnahme auf die Kunst.
Nicht zuletzt verzichtet Saehrendt weitestgehend darauf, das Ideal der Kunstfreiheit zu rechtfertigen und setzt es stattdessen als Wert an sich voraus. Kritisch möchte man hier rückfragen: Kann der wirkliche Wert des Ideals nicht nur darin liegen, eine gewisse Vielfältigkeit der Kunst zu schützen, damit die Kunst ihrer sozialen Funktion, Reflexionsmedium einer Gesellschaft zu sein, vollends gerecht werden kann? Vor diesem Hintergrund wären dann allerdings nicht Versuche einzelner Gruppen, auf ihre Unterrepräsentation in der Kunst hinzuweisen, das Problem, sondern vielmehr eine überproportionale Machtstellung einzelner Akteure. Die Interventionen einzelner Interessengruppen (soziale Bewegungen, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien...) oder sie repräsentierender Intellektueller könnte man als sehr wichtiges Korrektiv verstehen, um eine solche Homogenisierung des künstlerischen Feldes zu verhindern, solange damit keine neue Homogenisierung einhergeht.
Es wäre also zu fragen, ob nicht die erwähnten politischen Einflussnahmen auf die Kunst, sondern nach wie vor die Kommerzialisierung des Kunstbetriebs das größte Problem ist. Wie Saehrendt auch selbst darlegt, handelt es sich um ein Milliardengeschäft, in dem bestimmten randständigen Perspektiven kaum Platz eingeräumt wird und einige wenige Sammler und Galeristen bestimmen, was als 'große Kunst' gilt. Es verkauft sich, ganz wie im 19. Jahrhundert, gefällige 'Wohnzimmer'- oder Provokationskunst, aber tendenziell nicht Kunst, die auf nuancierte Art soziale Probleme thematisiert und dadurch womöglich auch für breitere Bevölkerungsschichten interessant wäre. Und den Anspruch auf breite gesellschaftliche Relevanz sollte Kunst in einer demokratischen Gesellschaft, die noch dazu von öffentlichen Geldern gefördert wird, ja durchaus haben.
Ist diese Sichtweise nun bereits populistisch oder gar extremistisch? Saehrendt liefert jedenfalls einige Argumente zu ihrer Plausibilisierung, auch wenn er die entsprechenden Schlüsse selbst abwehrt. Trotz dieser Einwände handelt es sich bei Saehrendts Studie aus den genannten Gründen um einen wichtigen Beitrag zur Debatte um die Freiheit der Kunst.
Anmerkung:
[1] So der historische Werktitel. Das 'N-Wort' ist auch auf einer an der Plastik angebrachten Plakette zu lesen.
Paul Stephan