Rezension über:

Geoffrey Parker: Emperor. A New Life of Charles V, New Haven / London: Yale University Press 2019, XIX + 737 S., 32 Seiten Bildtafeln, 5 Karten, 3 gen. Tafeln, ISBN 978-0-300-19652-8, USD 35,00
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Rezension von:
Bettina Braun
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Bettina Braun: Rezension von: Geoffrey Parker: Emperor. A New Life of Charles V, New Haven / London: Yale University Press 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 1 [15.01.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/01/34278.html


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Geoffrey Parker: Emperor

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Parker beginnt seine Biographie mit der nicht nur rhetorisch gemeinten Frage, ob die Welt wirklich noch ein weiteres Buch über Karl V. brauche. Auch wenn Parker die Antwort auf diese Frage dem Leser überlässt, ist er selbst offenbar der Meinung, substantiell Neues zur Geschichte des Kaisers beitragen zu können. Um es vorweg zu nehmen: Die Rezensentin schließt sich diesem Urteil an.

Der Aufbau der Biographie folgt traditionellen Mustern. In vier Teilen durchschreitet Parker den Lebenslauf des Kaisers, wobei er dem Narrativ von Aufstieg und Niedergang folgt, wenn er auf "Young Charles" und "Game of Thrones" einen Teil mit der Überschrift "'Ruler from the Rising to the Setting of the Sun'" folgen lässt, um mit "Downfall" zu enden. An die ersten drei Teile schließt sich jeweils ein den behandelten Lebensabschnitt charakterisierendes Porträt an, auf den vierten Teil folgt ein Epilog, der die gesamte Regierungszeit bilanziert.

Im ersten Teil beschreibt Parker die Voraussetzungen in den einzelnen Teil-Herrschaften, die Karl erben sollte. Er entgeht dabei der Versuchung, aus der ex-post-Perspektive die Nachfolge Karls als zwangsläufig zu schildern, und betont statt dessen die vielfältigen Hindernisse, die jeweils zu überwinden waren. Ein besonderes Augenmerk richtet er auf die Verhältnisse in Spanien und damit auf die Frage, wie sich der Nachfolgeanspruch Karls zu dem seiner Mutter Juana verhielt.

Der zweite Teil beginnt bezeichnenderweise 1517 - auch dies eine spanische Perspektive, während deutsche Darstellungen den Einschnitt eher 1519 mit der Wahl zum Römischen König setzen würden. Am Beginn dieser ersten spanischen Phase stehen die Bemühungen des jungen Königs, seine Mutter Juana von der Regierung auszuschließen, indem er die Maßnahmen seines Großvaters Ferdinand von Aragon fortführte, Juana in ihrer Scheinwelt festzuhalten. Zwar legt sich Parker hinsichtlich der Frage nach der Regierungsfähigkeit Juanas nicht fest, aber es ist doch deutlich erkennbar, dass er zu der Ansicht tendiert, Juana sei mut- und vielleicht auch böswillig von der Regierung verdrängt worden. Der Wahlkampf um die Kaiserkrone wird als ein unwürdiges Geschacher unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel geschildert, wobei die politischen Implikationen vielleicht doch etwas zu kurz kommen. Ausführlich wird der Wormser Reichstag thematisiert, insbesondere das Aufeinandertreffen zwischen Karl V. und Luther wird farbig erzählt, während ansonsten narrative Passagen eher selten sind. Parker betont, dass die Stellungnahme Karls V. der viel bekannteren Luthers an Prinzipientreue in nichts nachstand. Für die folgenden Jahre steht dann vor allem der Kampf mit Frankreich, aber auch mit dem Papst im Mittelpunkt. Besonders interessiert Parker, weshalb Karl V. gleich mehrmals glanzvolle militärische Siege (Pavia 1525, Neapel 1529) nicht in dauerhafte politische Erfolge ummünzen konnte.

Auch der dritte Teil bietet trotz der Überschrift, die die weltumspannende Herrschaft thematisiert, keine reine Triumphgeschichte. Immerhin aber agierte Karl nun als vom Papst gekrönter Kaiser als Anführer der Christenheit gegen die Osmanen, allerdings folgte dem Triumph von Tunis 1535 das Desaster von Algier 1541, und im Reich war er nicht zuletzt wegen der Türkengefahr ohnehin immer wieder zu Zugeständnissen mit den Protestanten gezwungen. In diesem Teil hat Parker auch ein Kapitel zu der Herrschaft in Amerika untergebracht - quer zur ansonsten chronologischen Anordnung des Stoffs, aber passend in dem Teil über die Weltherrschaft. Während Parker seinem Protagonisten sonst auf seinen Reisen folgt und dementsprechend die Schwerpunkte für die einzelnen Zeiträume setzt, behandelt dieses Kapitel den Teil von Karls Reich, den er nie selbst betreten und für den er sich - abgesehen von den finanziellen Zuflüssen - auch lange eher wenig interessiert hat. Parker hebt hervor, dass die üblichen Herrschaftspraktiken Karls (wiederholte persönliche Anwesenheit, Regentschaften durch Familienmitglieder, dynastische Absicherung) hier nicht funktionierten, weshalb der Schaffung einer geeigneten institutionellen Infrastruktur erhöhte Bedeutung zukam. Das Ende dieses Teils zeigt Karl auf dem Höhepunkt seiner Macht, in Augsburg 1548, deutet aber auch schon an, dass die Bemühungen, diesem Erfolg Dauer zu verleihen, vergeblich waren.

Damit ist bereits der Tenor für den abschließenden Teil vorgegeben, der den Niedergang thematisiert. Parker fragt, weshalb es dem Kaiser erneut nicht gelang, aus dem Triumph dauerhaft Kapital zu schlagen. Als Ursachen identifiziert er die verfehlte Erziehung Philipps, die völlige Fehleinschätzung der spanischen Sukzession einschließlich der daraus folgenden innerfamiliären Zerwürfnisse sowie Karls übergroße Härte gegenüber den Anführern des Schmalkaldischen Bundes (wie nach 1525 gegenüber dem französischen König und seinen Söhnen), die jeglichem fürstlichen Standesbewusstsein widersprach. All das wurzelte laut Parker letztlich in dem zunehmenden Unwillen Karls, abweichende Meinungen zuzulassen, d.h. in einem wachsenden Lagerdenken, das in einem Freund-Feind-Schema gefangen war und die Realität nur noch unzureichend erfasste. Hinzu kamen erhebliche gesundheitliche Probleme, die den Kaiser zwar schon seit Jahrzehnten begleitet hatten, die aber nun doch so massiv wurden, dass er sich wiederholt für Wochen von den politischen Geschäften zurückzog. In Parkers Darstellung erscheint der Rücktritt Karls deshalb geradezu logisch, er datiert erste Rücktrittsüberlegungen bereits auf die 1540er Jahre und argumentiert, dass Karl nur abgewartet habe, bis Philipp ein Alter erreicht hatte, in dem er nicht nur de jure, sondern auch de facto regierungsfähig war.

Insgesamt zeigt Parker einen Selbstherrscher in einem wörtlichen Sinn, also einen Mann, der möglichst alle Entscheidungen selbst fällen und möglichst wenig delegieren wollte, weil er in zunehmendem Maße nur sich selbst vertraute und insbesondere bei seinen Beratern vor allem egoistische Interessen vermutete. Zwar betont Parker mehrfach, dass der Kaiser sich die letzte Entscheidung stets selbst vorbehielt, aber man erfährt wenig darüber, wie die Kommunikation und Entscheidungsfindung mit seinen Regenten und Regentinnen praktisch funktionierte.

Das Bild, das Parker von Karl V. zeichnet, ist durchaus ambivalent: Einerseits zeigt er einen äußerst machtbewussten Herrscher, der trotz unbestrittener Frömmigkeit notfalls über Leichen ging und wenig Skrupel hatte, auch die Personen seiner engsten Umgebung den von ihm als richtig erkannten Zielen unterzuordnen. Mehrfach bezichtigt Parker ihn der Lüge; Rücksichtslosigkeit oder zumindest mangelnde Sensibilität wirft er dem Kaiser wiederholt vor. Andererseits stellte Karl an sich selbst hohe Anforderungen, war bei aller Liebe zu Jagd, Spiel, Essen und Trinken, aber auch zu Frauen, ein hart arbeitender Herrscher, der die Akten persönlich durchsah, bevor er Entscheidungen fällte.

Ein Problem, das sich allen stellt, die sich mit Karl V. beschäftigen, ist die Vielfalt der Sprachen in diesem übergroßen Herrschaftsbereich. Für die Erforschung der Herrschaft des Kaisers bringt Parker die notwendigen Voraussetzungen mit und hat dementsprechend Quellen und Literatur aus den einschlägigen Sprachen zur Kenntnis genommen. Für die Darstellung wählt er die Lösung, dass sämtliche nicht-englischen Quellenzitate ins Englische übersetzt werden, ohne das Original anzuführen, eine aus Sicht der Forschung nicht ganz befriedigende Lösung.

Besonders eindrücklich sind die Passagen, in denen Parker sich mit einzelnen Quellen im Detail auseinandersetzt und sie auf ihren Aussagewert hin prüft und dabei auch aufzeigt, wo die Grenzen historischen Wissens liegen. Hier sind ihm wahre Kabinettsstücke gelungen, die beispielsweise Studierenden ohne weiteres als Musterbeispiele für den kritischen Umgang mit Quellen vorgelegt werden können.

Last, but not least bietet der Anhang insbesondere für die Forschung einen wahren Schatz. Nach quellenkritischen Anmerkungen zu den Memoiren Karls, der Instruktion für Philipp von 1550, dem Nachleben von Karls Körper und der Frage einer unehelichen Tochter mit Germaine de Foix folgt eine ausführliche Übersicht über die Quellen zur Geschichte des Kaisers, angefangen von den einschlägigen Materialsammlungen über die archivalische Überlieferung (neben den erwartbaren Archiven wie Wien, Brüssel oder Simancas auch Archive in Peru oder Polen) bis zu Anmerkungen über Quellenverluste. Die jeweiligen Abschnitte enthalten Informationen über die Geschichte der einzelnen Bestände, ihre heutige Zugänglichkeit sowie eine eventuelle Digitalisierung. Allein dieser Anhang wird für alle Karl-Forscher ein unentbehrliches Hilfsmittel werden und stellt für die heutige Forschung das dar, was der zweite Band von Brandis Karl-Biographie über Jahrzehnte war, nämlich ein unentbehrlicher Führer durch die wahrlich unübersichtliche und kaum zu überblickende Quellen- und Forschungslage.

Jeder seriöse Biograph muss sich immer wieder fragen, in welchem Verhältnis er zu seinem Protagonisten oder seiner Protagonistin steht, ob die Distanz groß genug ist, um hinreichend kritisch schildern und urteilen zu können oder ob man dem Helden oder der Heldin erlegen ist. Andererseits aber kann es in den meisten Fällen auch nicht darum gehen, die behandelte Person zu verurteilen. Karl macht es seinen Biographen in dieser Hinsicht bis zu einem gewissen Grad leicht: Denn er kann unbestreitbare Verdienste oder wenigstens Erfolge vorweisen, präsentiert sich aber auch nicht als unmittelbar gewinnende Persönlichkeit mit Charme und Charisma und hält seine Biographen durch das fast völlige Fehlen persönlicher Äußerungen trotz der überbordenden Überlieferung von vornherein auf Distanz. Und so hält auch Parker durchweg Abstand von seinem Helden und zeichnet ein durchaus kritisches Bild Karls, vor allem aber erweitert er unser Bild des Kaisers noch einmal erheblich, gerade in den außerdeutschen Belangen. Dass demgegenüber manche für die deutschen Verhältnisse zentralen Themen (wie der Augsburger Religionsfrieden) eher knapp abgehandelt werden oder schwer verständlich bleiben (wie die Gewinnung Philipps von Hessen, ohne das Problem der Doppelehe zu erwähnen), kann die deutsche Leserschaft gut verschmerzen, gibt es für diese Themenkreise doch zahlreiche Alternativen. Insgesamt aber hat Parker ein Werk vorgelegt, an dem sich künftige Biographien Karls V. werden messen lassen müssen.

Bettina Braun