Bettina Braun / Jan Kusber / Matthias Schnettger (Hgg.): Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert. Maria Theresia und Katharina die Große (= Mainzer Historische Kulturwissenschaften; Bd. 40), Bielefeld: transcript 2020, 441 S., 19 Farb-, 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-8376-4355-8, EUR 49,99
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Hier Kaiserin Maria Theresia, die von 1740 bis 1780 das Habsburgerreich regierte, dort Kaiserin Katharina II., die Große, die ab 1762 bis zu ihrem Tod im Jahr 1796 Zarin des Russischen Reichs war. Diese beiden Herrscherinnen des 18. Jahrhunderts sind Thema des vorliegenden Sammelbandes und binden damit den russischen Hof um Katharina II. endlich einmal gleichwertig in eine Untersuchung zu frühneuzeitlichen Höfen des Alten Reichs ein. Allein dafür gebührt den drei Mainzer Herausgebern - Bettina Braun, Jan Kusber und Matthias Schnettger - Anerkennung, denn in der geschichtswissenschaftlichen Forschung wird das Zarenreich ähnlich wie das Osmanische Reich viel zu oft an den Rand gedrängt und kommt nur innerhalb der osteuropäischen Forschung zur Geltung.
Die Herausgeber skizzieren das Ziel in ihrer Einleitung wie folgt: Herausgearbeitet werden sollen Spezifika weiblicher Herrschaft im 18. Jahrhundert. Ein Vergleich der beiden Kaiserinnen wird dabei allerdings bewusst nicht zum Konzept erklärt. Vielmehr werden von Anfang an die unterschiedliche Ausgangslage für die Herrschaftsübernahme in Wien und in St. Petersburg thematisiert sowie die verschiedenen politischen Konstellationen innerhalb der höfischen Gesellschaft und der (europäischen) Öffentlichkeit herausgestellt, um deutlich zu machen, weshalb sich eine doppelbiografische Annäherung an die beiden großen Frauen des 18. Jahrhunderts als schwierig erweist.
Stattdessen werden Themenfelder in den Vordergrund gerückt, die neue Erkenntnisse für weibliche Herrschaft im Allgemeinen erwarten lassen, aber auch für die beiden Protagonistinnen im Besonderen. Nach zwei einleitenden Beiträgen von Barbara Stollberg-Rilinger (19-50) und Lorenz Erren (50-69) werden drei Themen in insgesamt 14 Beiträgen behandelt: (1) Zunächst widmen sich jeweils zwei Beiträge den Herrscherinnen und ihrem Hof bzw. der höfischen und außerhöfischen Öffentlichkeit. In dieser Sektion thematisiert Francine-Dominique Liechtenhan mit Besonderheiten des russischen Hofs unter Elisabeth Petrovna (131-145) zudem eine weitere weibliche Herrscherpersönlichkeit des 18. Jahrhunderts.
(2) Das öffentliche, vor allem politisch-militärische (Regierungs-)Handeln, dem in der Ausbildung der europäischen Prinzessinnen kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde, greifen vier weitere Beiträge auf. Außerdem betont Barbara Stollberg-Rilinger in ihrem einleitenden Beitrag zu Maria Theresia innerhalb der Geschlechterordnung des 18. Jahrhunderts, dass gerade im Bereich der Kriegsführung und des Militärs Geschlechterhierarchie und ständische Ranghierarchie (30) miteinander kollidierten. Das erklärt zugleich das Interesse an der Herrscherin als oberster Kriegsherrin bzw. Kriegerin, das auch in den Beiträgen von Bettina Braun ('Maria Theresia - Friedensfürstin oder Oberbefehlshaberin?', 169-187) und Victoria Ivleva ('Kleidung in der Körperpolitik des katharinäischen Russland: Von Regimentskleidern zu regionalen Uniformen', 375-406) zum Ausdruck kommt. Braun betont insbesondere, dass Maria Theresia sich zwar nicht als Kriegerin und auch nicht in Uniform inszenierte, aber an ihrer Funktion als Oberbefehlshaberin, der die letztinstanzliche militärische Einscheidung zustand, keinen Zweifel ließ. Ivleva wiederum weitet den Blick von der Herrscherin auf die Uniformpolitik (401) als Mittel zur Etablierung ihrer eigenen Regierungsautorität sowie als Mittel zur Modernisierung der Verwaltung und zur Prestigesteigerung des öffentlichen Dienstes.
(3) Mit sechs Beiträgen erhält der Komplex "herrscherliche Repräsentation" etwas mehr Gewicht als die anderen Themen, womit auch der besonderen Relevanz Ausdruck verliehen wird. Sowohl Maria Theresia als auch Katharina II. mussten die Legitimität ihres Herrschaftsanspruchs und die Qualität ihrer Regierungsfähigkeit am Beginn ihrer Regierung unterstreichen. In diesem letzten Abschnitt mit dem Titel "Repräsentationen und Wahrnehmungen" (271-423) gelingen nicht nur richtungsweisende Synthesen, die Beiträge bieten auch inhaltliche Verbindungslinien zu vorangegangenen Beiträgen. Dies gilt z.B. für die Frage, welche Konsequenzen es für ihre Herrschaft hatte, dass Maria Theresia eine Frau war.
Stollberg-Rilinger umreißt die überhöhte und geradezu mythisch entrückte Darstellung der Habsburgerin, die vor allem die Historiografie des 19. Jahrhunderts kennzeichnet (19-25), bevor sie Maria Theresia aus der Perspektive ihrer eigenen Zeit und Zeitgenossen in den Blick nimmt. Sie arbeitet Grenzen weiblicher Herrschaft heraus, die sich in der Kriegsführung und einer Inszenierung als weibliche Kriegerin erkennen lassen. Gleichzeitig lassen sich Kompensationen typologisieren, etwa durch symbolische Porträts auf Kriegsschauplätzen, aber auch innerhalb von Ritterorden als Prestigeressource des Hofs und seiner höfischen Eliten oder der bewusst eingesetzte symbolische Mehrwert, den Maria Theresia aus ihrer Weiblichkeit, ihrer Jugend, Schönheit und Fruchtbarkeit ziehen konnte. Hervorzuheben gilt vor allem, dass "Geschlecht" reichsrechtlich keine zeitgenössische Kategorie war und die Kaiserin-Königin in erbrechtlicher Hinsicht den gleichen Status hatte wie ein Mann.
Lorenz Erren setzt den Hebel folgerichtig ebenfalls an der Stelle des Erbrechts an, wenn er nach der patrimonialen Staats- bzw. Herrschaftsauffassung frühneuzeitlicher Monarchien fragt (51-69). Er arbeitet damit grundlegende Voraussetzungen für weibliche Herrschaft im Europa des 18. Jahrhunderts heraus und vergleicht immer wieder die Voraussetzungen im Habsburgerreich mit denen des Zarenreichs, wobei er eingangs die Funktion von Erbtöchtern als Mittel zur Sicherung der Erbfolge von Schwiegersöhnen betont, bevor er dann stärker auf die individuelle Etablierung weiblicher Herrschaften eingeht. Er stellt noch einmal die These zur Diskussion, dass letztlich eine dynastische Erbengemeinschaft mit patrimonialem Herrschaftsverständnis noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts einem modernen Staatsverständnis politischer Nationen entgegenstand (64f.).
In den folgenden Beiträgen betrachtet zunächst Matthias Schnettger den Wiener Hof im Jahr des Regierungsantritts der jungen Habsburgerin punktuell und aus einer Außenperspektive (73-109). Nuntiaturberichte und die Korrespondenz der genuesischen Gesandtschaft zeichnen dabei das Bild eines Hofs, der Ende 1740 noch nicht wieder zur Ruhe gekommen ist, umgeben von Unsicherheitsfaktoren und außenpolitischen Unwägbarkeiten. Ganz anders die Situation in St. Petersburg: Jan Kusber setzt ebenfalls kurz nach Katharinas Thronbesteigung an, wobei er gleich zu Beginn betont, dass sie bereits 18 Jahre lang die Möglichkeit gehabt hatte, die Hofgesellschaft und ihre Vernetzung zu beobachten. Kusber geht der Rolle von Katharinas Favoriten nach (147-165). Grigorij Orlov und Grigorij Potemkin stehen dabei im Vordergrund, es geht jedoch um die Favoriten als Mitglieder von "ruling families" und um ihre Fähigkeit zur Politikgestaltung. Damit konnten sie als konstitutive Elemente der politischen Ordnung im Zarenreich gelten, vor allem als Unterstützer für Katharinas eigenes politisches Handeln. Auch hier kommt dem Kriegskollegium eine besondere Rolle zu, den männlichen Favoriten eine Art Mittlerfunktion. Katharina II. begrenzte allerdings den (politischen) Aktionsradius der russischen Eliten allgemein und ihrer jeweiligen Favoriten so geschickt, dass sie ihr nie die Herrschaft streitig machen konnten.
Der Sammelband besticht durch eine breite Quellengrundlage. So greift Bettina Braun z.B. Leichenpredigten auf, während Claus Scharf versucht, neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II. vor ihrem Regierungsantritt herauszuarbeiten. Hierfür greift er auf die "Instruction pour la Commission chargée de dresser le Projet d'un nouveau Code des Loix" von 1765/66 und auf die kurzen "Maximes d'administration" von 1762 zurück. Dieser Wechsel zwischen Quellengattungen, die in einer diachronen Abfolge ausgewertet werden oder aber in Form einer Tiefenanalyse, die ein oder zwei zentrale Schriftstücke in den Blick nimmt, wird ergänzt durch die Auswertung von Bildquellen (Porträts, Stiche, Karikaturen). Dadurch entsteht auf gut 400 Seiten ein facettenreiches Bild von weiblicher Herrschaft, ihren Herausforderungen im 18. Jahrhundert, aber auch ihrer letztlich unangefochtenen Stärke. Vor allem der abschließende Beitrag von Werner Telesko weitet den zeitgenössisch geprägten Blick noch einmal auf die "doppelte" Memoria Maria Theresias, die eine öffentliche Seite, eine dynastisch repräsentative, aber auch eine gleichsam private Seite enthält (407-423). Der Band wird den eingangs formulierten Zielsetzungen absolut gerecht. Der Fokus auf Regierungshandeln, Repräsentation und Wahrnehmung lässt aber hoffen, dass vielleicht ein Folgeband auch die - zuletzt neu gestellte - Frage nach höfischer Privatheit und ihren Ausdrucksformen aufgreift.
Britta Kägler