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Hannah Baader: Das Selbst im Anderen. Sprachen der Freundschaft und die Kunst des Portraits 1370-1520, München: Wilhelm Fink 2015
Dietrich Boschung / François Queyrel (Hgg.): Bilder der Macht. Das griechische Porträt und seine Verwendung in der antiken Welt, München: Wilhelm Fink 2017
Hans Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München: C.H.Beck 2013
Roland Meyer: Operative Porträts. Eine Bildgeschichte der Identifizierbarkeit von Lavater bis Facebook, Konstanz: Konstanz University Press 2019
Monica Rüthers: Unter dem Roten Stern geboren. Sowjetische Kinder im Bild, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020
Werner Busch: Adolf Menzel. Auf der Suche nach der Wirklichkeit, München: C.H.Beck 2015
Werner Telesko / Sandra Hertel / Stefanie Linsboth (Hgg.): Die Repräsentation Maria Theresias. Herrschaft und Bildpolitik im Zeitalter der Aufklärung, Wien: Böhlau 2020
Werner Telesko: Einführung in die Ikonographie der barocken Kunst, Wien: Böhlau 2005
Jedes Gedenkjahr trägt eine eigene Prägung, denn im Erinnern an Geburts- und Sterbedaten von Personen des kulturellen Gedächtnisses spiegelt sich immer auch die Gegenwart. Das war 1870 nicht anders als 1920, zwei Beethoven-Gedenkjahre, die das Crescendo des Militarismus und Nationalismus und seine katastrophischen Folgen flankierten, oder auch 1970, als die 68er-Bewegung nachhallte. Dass auch das Beethoven-Jahr 2020 sein eigenes Signum erhalten würde, war damit abzusehen, dass es ein ganz und gar außermusikalisches werden würde, freilich nicht. Vor dem Hintergrund aber, dass Bücher, die zu Gedenkjahren auf den Ladentischen liegen sollen, schon einige Zeit vor dem Ereignis konzipiert, geschrieben und verlegt werden, ist es bezeichnend, dass just zum Beethoven-Jahr 2020 mehrere Publikationen auf den Büchermarkt kamen, die sich mit dem Jubilar und Fragen des Visuellen auseinandersetzen. Ist damit Beethoven im visuellen Zeitalter angekommen? Oder die Beethoven-Forschung im visual turn? "[N]eue Formate [...] in der veränderten Medienlandschaft des 20. und 21 Jahrhunderts" (Telesko/Schmidl, 7) oder auch die Buntheit popkultureller Memorabilien mögen schon im Vorfeld die Idee genährt haben, dass 2020 ein visuell geprägtes Erinnerungsjahr werden könnte.
Wenn im Folgenden vier Publikationen dieses Schwerpunkts herausgegriffen werden, kann von einer vergleichenden Lektüre kaum die Rede sein, zu unterschiedlich sind die Bücher in ihren Perspektiven. Was sie vereint, ist die simple Beobachtung, dass der Erinnerungskultur um Beethoven schon seit dem frühen 19. Jahrhundert ein ausgeprägter visueller Zug eigen ist: von zeitgenössischen Gemälden - hier im Zentrum insbesondere Joseph Stielers Porträt von 1820 - über Bilder, Zeichnungen, Lithografien, Denkmäler, Skulpturen etc., die Beethoven als Mensch darstellen und/oder seine Musik thematisieren, über Filme und andere multimediale Genres bis hin zu Briefmarken, Bildpostkarten, dekorativen Gebrauchsgegenständen... Die Fülle an möglichen Bildträgern, die sich visuell mit Beethoven(s Musik) auseinandersetzen, ist, durchaus in doppeltem Wortsinn, unübersehbar. Umso dringlicher ist für jede*n, der oder die sich mit "Beethoven-Bildern" auseinanderzusetzen gedenkt, die Frage des (methodischen) Zugriffs. Und hierin könnten die Publikationen kaum unterschiedlicher sein: Während der von Silke Bettermann, Kunsthistorikerin am Bonner Beethoven-Haus, herausgegebene Band In bester Gesellschaft das Stielersche Porträt ins Zentrum stellt und hierzu eine vertiefende, bis in die populäre Rezeptionsgeschichte hineinreichende, vorwiegend kunsthistorische Lektüre anbietet, wählen der Kunsthistoriker Werner Busch und der Musikwissenschaftler Martin Geck einzelne Artefakte aus, um daran - so der Untertitel des Buches - zu erproben, "was Kunst- und Musikgeschichte (sich) zu erzählen haben". Auch die (ebenfalls interdisziplinäre) Doppelpublikation Beethoven visuell, verantwortet von Werner Telesko, Stefan Schmidl und Susana Zapke, sowie Beethoven und die Bilder der Musik (Telesko und Schmidl) wählen aus dem Gros der möglichen Gegenstände, konfrontieren diese aber mit breiten, übergreifenden Fragen, die zum Teil aus der Beethoven-Rezeption destilliert sind, zum Teil aus Ästhetik und medienwissenschaftlichen Ansätzen.
Mit diesen unterschiedlichen Herangehensweisen lassen sich die Bücher auch als Seismograf dafür lesen, wie derzeit die interdisziplinäre Begegnung von Kunst- und Musikwissenschaft ausgelotet wird, vielleicht mehr noch, inwiefern sich Musik in einem an trans- und intermedialen Phänomenen interessierten Diskussionsraum bewegen kann. Und zwei Beobachtungen seien an dieser Stelle vorweggenommen: Das vielfältige Phänomen der "Beethoven-Bilder" eignet sich hierfür hervorragend, die vier angesprochenen Publikationen bewegen sich allerdings unterschiedlich souverän in diesem Raum.
Als klassisch interdisziplinärer Dialog ist der Band Beethoven-Bilder des Berliner Kunsthistorikers Werner Busch und des Ende 2019 verstorbenen Musikwissenschaftlers Martin Geck angelegt. Beide Autoren treten hier als Vertreter ihres Fachs mit einem offenen Interesse an der Sichtweise durch die jeweils andere Disziplin an. Als Schreibdialog konzipiert und mit jeweils zwei knappen Texten zu ausgewählten Artefakten erweckt das Buch den Eindruck, als höre man lesend einem Gespräch unter zwei Experten zu. Die Texte selbst reagieren aufeinander antwortend, sich kommentierend oder auch ergänzend und schöpfen dabei aus dem reichen Fundus der jahrzehntelangen Forschung des Kunsthistorikers zur Arabeske, zur Landschaftsmalerei, zum Bildprogramm der Romantik, zu Fragen der Kunsttheorie etc. oder des Musikwissenschaftlers, der nicht nur seine Beethoven-Expertise einflicht, sondern auch seine Erfahrung mit den Fallstricken biografischer Bildprogramme.
Als besonders ergiebig erweist sich der interdisziplinäre Doppelblick gerade dort, wo die jeweilige Spezifik von (visuellen, musikalischen und biografischen) Genretraditionen angesprochen wird. Denn wer sich auf die Vielfalt der Medien einlässt - Gemälde, Zeichnungen, Stiche, Karikaturen, Denkmäler, Statuen, Installation und Film - tut gut daran, die Spezifik der Medien, Genretraditionen, die je zeitbezogenen Vorstellungen des Biografischen im Visuellen und nicht zuletzt die von Images geprägte Beethoven-Rezeption selbst mit zu berücksichtigen.
Unbefangen gehen die Autoren auch dort mit den Artefakten um, wo sie kleinere oder größere Diskrepanzen zwischen Idee und Ausführung erkennen, wo das Zu-Sehen-Geben vom großen Wollen ausgeht, dem nicht notwendigerweise ein Gelingen folgt. Dazu gehört etwa Willibrord Joseph Mählers Porträt von 1803 oder auch Ernst Barlachs (gescheiterter) Entwurf zum (gescheiterten) Wettbewerb um ein Beethoven-Denkmal in Berlin 1926, im Vorfeld des Gedenkjahres zum 100. Todestag. Busch nennt Barlachs Entwurf "extrem" und "in seiner Gesamtheit [...] schlicht misslungen" (Busch/Geck 130), Geck aber gibt zu bedenken: "Der Entwurf [...] mag missglückt sein; seine Intention ist jedoch bewegend: Wie vor ihm vielleicht nur Albert Graefle [...] ist Barlach darauf aus, Haltungen der Hörer darzustellen" (Busch/Geck 132) und wendet dem Blick von der Spitze des Denkmals hin zu den umstehenden "Lauschenden", die Barlach später zum Fries der Lauschenden in Holz arbeitete. An solchen Stellen wird nicht zuletzt auch deutlich, dass es den beiden Wissenschaftlern nicht um eine harmonisch-harmonisierende Bildbetrachtung zu tun ist, sondern auch um buchstäblich unterschiedliche Sichtweisen. Mit der Idee, dass es "nicht um eine erschöpfende akademische Analyse eines jeden Gegenstandes [geht], sondern um einen kurzen, möglichst 'knackigen' erhellenden Zugriff" (Busch/Geck 3) ist die Art der Texte gut zusammengefasst: Indem sie sich jeweils pointiert und prägnant auf Wesentliches, Charakteristisches konzentrieren, lesen sie sich wie die Partitur zu den Bildern einer (freilich fiktiven) Beethoven-Ausstellung.
Eine konkrete Ausstellung, und zwar die Sonderausstellung In bester Gesellschaft. Joseph Stielers Beethoven-Porträt und seine Geschichte, die zum Einstand in das Jubiläumsjahr im Bonner Beethoven-Haus gezeigt wurde, ist Anlass zum gleichnamigen Begleitbuch. Mag die Ausstellung selbst auch im Schatten der zeitgleichen großen Bonner Beethoven-Ausstellung in der Bundeskunsthalle (Beethoven. Welt.Bürger.Musik, mit eigenem opulenten Ausstellungskatalog) gestanden haben: mit eigener Berechtigung und gut durchdacht wurde hier in einem kleinen Ausschnitt viel Erhellendes zu jenem Beethoven-Porträt gezeigt, das in den letzten Dezennien unter den Beethoven-Bildern den höchsten Status der Wiedererkennbarkeit erlangt hat. Der Umgang mit derlei ikonischen Bildern neigt dazu, sich zu verselbständigen. Um so überzeugender, dass sich das schmale Bändchen konsequent einer historischen Einordnung des Porträts widmet, die Stieler als Portraitist europäischer (Geistes)Eliten thematisiert und die nicht mit dem letzten Pinselstrich am Gemälde oder dessen erster Präsentation aufhört, sondern auch die Rezeption des Portraits - über zahllose Repliken, der selbst wiederum ikonisch gewordenen Anverwandlung durch Andy Warhol bis in die souvenireske Gegenwart - berücksichtigt. Ein eigener Abschnitt gilt vor allem auch der Geschichte des Portraits vor dem Ankauf 1981 durch das Beethoven-Haus Bonn. Diese rollt sich nicht zuletzt vor den Abgründen deutscher Geschichte ab: Dass die Expertise der langjährigen Besitzerin des Bildes, Rosalie Spohr, verheiratete Gräfin Sauerma, in bester Droysenscher historiografischer Manier als nicht verlässlich galt (und erst kürzlich mithilfe restauratorischer Untersuchungen verifiziert werden konnte), mag man als geschlechtergeschichtliche Petitesse abtun. Dass es Gräfin Sauerma 1907 aber nicht gelang, das Bildnis an das Beethoven-Haus Bonn zu verkaufen, verhinderte nicht nur weiterhin die allgemeine Zugänglichkeit (es blieb weiterhin in Familienbesitz), sondern ließ das Gemälde auch Gegenstand nationalsozialistischer Enteignungspolitik werden: 1909 von der jüdischen Leipziger Verleger-Familie Hinrichsen erworben, wurde das Bild durch die Nationalsozialisten enteignet und erst nach dem Zweiten Weltkrieg der in die USA emigrierten Familie des durch die Nationalsozialisten ermordeten Besitzers Henri Hinrichsen zurückerstattet. Dass auf diese Weise das Gemälde nicht nur mit seinen restauratorischen Blessuren dokumentiert wird, macht das schmale Begleitbuch zu einer notwendigen Lektüre.
Den Autorinnen des Bandes, die Kunsthistorikerinnen Ulrike von Hase-Schmundt, Silke Bettermann (Herausgeberin und selbst mit vier Beiträgen vertreten), Barbara Loose und Maria Geuchen, gelingen insgesamt zahlreiche vertiefende Einsichten. Liest man die Aufsätze nacheinander, mithin das Buch als Buch, hätte man sich wegen der dann doch recht zahlreichen Redundanzen einen konsequenteren redaktionellen Eingriff gewünscht. Und dass das Feld des Komponisten-Porträts einen beherzteren interdisziplinären Zugriff braucht, wird gerade dort offenbar, wo es um die Frage geht, zu welchem Zweck Stieler das Beethoven-Portrait malte, gar, warum ihm der notorisch ungeduldige Komponist so ausgiebig Modell saß. Denn es sind nicht bloß "Freunde" (Bettermann 36), denen Beethoven 1826 lithografische Reproduktionen des Portraits schenkte, sondern auch von ihm autorisierte Biografen - und im intermedialen Selbstverständnis der Zeit brauchte die Eintrittskarte in die Welt der Musikgeschichtsschreibung drei Medienformate: Noten, eine Biografie und eben ein Porträt.
Die beiden Publikationen Beethoven visuell. Der Komponist im Spiegel bildlicher Vorstellungswelten und Beethoven und die Bilder der Musik hängen, obgleich in unterschiedlichen Verlagen publiziert, über ihre Autoren zusammen: Der Wiener Kunsthistoriker Werner Telesko und der ebenfalls in Wien tätige Musikwissenschaftler Stefan Schmidl, die für letzteres Buch verantwortlich zeichnen, haben sich für den ausgiebig bebilderten Band Beethoven visuell zudem mit der Musikwissenschaftlerin Susana Zapke zusammengetan. Die so entstandene Publikation fußt auf dem gleichnamigen Symposium (Oktober 2018, Wien), auf dem außer Telesko, Schmidl und Zapke auch William Kinderman, Thomas Macho und Jürg Stenzl als Respondenten geladen waren. Sie nimmt in ihrem Einleitungsteil zunächst großformatige Themen in Angriff (mediengeschichtliche Anmerkungen/Telesko; "Pluralität und Globalität"/Schmidl; Gedanken zum Interieur, das Zapke im Sinne von Foucaults Konzept der Heterotopie deutet). Im Essayteil zeichnen die Beteiligten dann jeweils für einen Teilbereich verantwortlich: Natur/Außenraum (Telesko), Innenraum (Zapke) und transzendenter Raum (Schmidl). In welchem Verhältnis der reich bebilderte Band zu dem schmaleren Buch aus dem Praesens-Verlag steht, erschließt sich nicht unmittelbar. Die beiden Autoren jedenfalls betonen, dass sie "in der Analyse der medialen Wirkungsmacht Ludwig van Beethovens neue Wege [zu] gehen" beabsichtigen (Telesko/Schmidl 7). Diese bestehen darin zu fragen, warum "Beethovens Musik in besonderer Weise zum Bild [drängt]" und sich "dessen Musik gleichsam durchgehend für Umsetzungen in Form von Visualisierungen an[bot]" (ebda.). Dabei sollen insbesondere "neue Formate [...] in der veränderten Medienlandschaft des 20. und 21. Jahrhunderts im Kontext von Film, Fotografie und Kommerzialisierung" berücksichtigt werden. Dass das Thema angesichts der immensen Bilderflut zentrifugale Kräfte aufweist, ist den Autoren bewusst, weitumspannend fassen sie daher zusammen: von Dirigenten und ihrem medialen Image (hier insbesondere und sowohl ex- wie implizit: Herbert von Karajan) über ideologische Bild-Politiken bis hin zur YouTube-Ästhetik.
Nach vier Beispielen zu "Beethoven-Bilder"-Büchern bleibt neben Anregendem auch eine eher nüchterne Beobachtung: Man muss nicht notwendigerweise einer Mediologie der Beethoven-Forschung das Wort reden, um zu erkennen, dass sich der Kreis von historiografischer (und biografischer) Wissensproduktion, Image-Konstruktion, Bild-Politiken, Kanonisierung und Popularisierung weiterdreht. Dabei scheint es ein schwieriges Unterfangen zu bleiben, der Übermacht des 'Mythos Beethoven' und der damit verbundenen Bilder-Welten auch methodisch so zu begegnen, dass sie an aktuelle Forschungsdiskurse über intermediale Phänomene anschlussfähig wären. Die Begegnung lohnen würde es aber allemal.
Melanie Unseld