Mark Tobias Wittlinger: Kaiser, Rom und Apostelfürst. Herrscher und Petrus vom 8. bis zum 12. Jahrhundert (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 42), Wien: Böhlau 2018, IX + 533 S., ISBN 978-3-412-51146-3, EUR 70,00
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Die Dissertation von Mark Tobias Wittlinger widmet sich dem Verhältnis zwischen dem Kaiser und dem heiligen Petrus, welches auf der Grundlage zeitgenössischer Schrift- und Bildzeugnisse aus Italien und dem nordalpinen Reich von der Karolingerzeit bis zum Ende des Investiturstreits untersucht wird. Dabei wird die Vorstellung des Apostelfürsten als Komplex betrachtet, der mehrere Aspekte umfasst: die historische, biblische und literarische Gestalt, den Autor der "Petrusbriefe", den Patron der römischen Kirche sowie weiterer Bistümer in Reich, den eigentlichen Herrn des Patrimonium Petri und den im Vatikan verehrten irdischen Leib.
Die Untersuchung gliedert sich in fünf Abschnitte. Zunächst werden in einem Grundlagenabschnitt (8-24) die Hauptmerkmale des Verhältnisses zwischen Petrus, den Päpsten und den römischen Kaisern in der Spätantike synthetisch erläutert. Auch wenn die von Kaiser Konstantin gestiftete Peterskirche bis ins 5. Jahrhundert als bedeutender "Ort kaiser-päpstlicher Repräsentation" (24) galt, betont Wittlinger jedoch, dass der Apostelfürst für die romfernen Ostkaiser keine bedeutende Rolle mehr spielte.
Der zweite Abschnitt widmet sich dem Verhältnis zwischen Petrus und den Herrschern in der Karolingerzeit (25-124). Die zentrale Bedeutung Petri in der früheren päpstlich-karolingischen Kommunikation führt Wittlinger einerseits auf die damalige päpstliche Kommunikationspraxis mit weltlichen Herrschern, mit besonderem Bezug auf die Langobardenkönige, andererseits auf das ausgeprägte Interesse der Franken an Petrus und Rom zurück. Durch einen ausführlichen Quellenvergleich arbeitet Wittlinger einige grundlegende Elemente im Verhältnis des Apostelfürsten zu den karolingischen Herrschern heraus. Dabei stellen die im Codex Carolinus gesammelten Papstbriefe und die Papstviten im Liber Pontificalis die Hauptzeugnisse dar.
Petrus wurde die Rolle eines wirkungsvollen Fürsprechers im Himmel sowie eines Sieghelfers und Schützers von Reich und Herrschaft auf Erden zugewiesen. Als Gegenleistung für den Beistand Petri erwarteten die Päpste militärischen Schutz sowie die Wahrung der Rechte und Güter Petri, was insbesondere in den päpstlich-karolingischen pacta zum Ausdruck kam. Diese Gedanken entstanden im päpstlichen Milieu, wurden aber bereits in den 790er Jahren zu einem Deutungsmuster im karolingischen Umfeld, wie ihre Rezeption und selbständige Anwendung in der Reichsannalistik, in den Herrscherbriefen und in der hofnahen Dichtung deutlich zeigt. Darüber hinaus wurde die Petruskirche seit der Zeit Karls des Großen als Ort der Kaiserkrönung zu einer bedeutenden Bühne für die demonstrative Kommunikation zwischen Papsttum und Kaisertum: Hier wurden wichtige Schriftstücke deponiert oder Schwüre geleistet, und die Herrscher behaupteten durch Schenkungen und liturgische Stiftungen ihre besondere Petrusnähe. Eine Wandlung in der päpstlichen Verwendung der Petrusmotive erkennt Wittlinger in den Briefen Johannes' VIII., in denen die mittlerweile institutionalisierte Kaiserwürde häufig die persönliche Verbindung des Herrschers zu Petrus als Argument ersetzte.
Im dritten Abschnitt (125-300) werden Zeugnisse aus der ottonischen und frühsalischen Zeit untersucht. Schon 962 wurde im Ottonianum das erneuerte Kaisertum mit Petrus und dem Kirchenschutz in Verbindung gebracht. Darüber hinaus verstärkte sich die Funktion der Peterskirche als Bühne der päpstlich-kaiserlichen Kooperation sowie der imperialen Inszenierung. Im literarischen Bereich berief sich Liutprand von Cremona auf die Autorität des Apostelfürsten, um das Vorgehen Ottos I. gegen Papst Johannes XII. zu legitimieren. Unter Otto III., der die kaiserliche Herrschaft in Rom intensivierte, vermehrten sich die Petrusbezüge in Urkunden und literarischen Texten aus dem kaiserlichen Umfeld. In diesem Zusammenhang deutet Wittlinger im Gegensatz zu Percy Ernst Schramm den neu geschaffenen Kaisertitel servus apostolorum nicht im Sinne einer Instrumentalisierung der apostolischen Autorität zur Rechtfertigung einer selbständigen Machtausübung im Patrimonium Petri, sondern vielmehr als Ausdruck der "kaiserlichen Verantwortung gegenüber der Kirche der Apostelfürsten" (204). Ebenfalls im Sinne einer Kooperation von Papst und Kaiser interpretiert Wittlinger die Rompolitik Heinrichs II., der auf der Rückseite seiner ersten Kaiserbulle Petrus im Mauerring Roms darstellen ließ. Im Petruspatrozinium des von ihm gegründeten Bistums Bamberg sieht Wittlinger eine "integrative Funktion" (300) sowohl im Reich als auch gegenüber der römischen Kirche. Darüber hinaus sind aus der spätottonischen Zeit drei Miniaturen mit einem Herrscher zwischen den Aposteln Petrus und Paulus erhalten, in denen Wittlinger jedoch zurecht keinen eindeutigen Bezug zu Rom bzw. zur Kaiserwürde erkennt. Aus der frühen Salierzeit betrachtet er hauptsächlich italienische Zeugnisse, die Petrus mit der Erneuerung des imperialen Roms in Verbindung bringen.
Der vierte Abschnitt (301-421) widmet sich der Rolle Petri im Investiturstreit, in dem "zwei unterschiedliche Modelle der Herstellung von Petrusnähe" (418) aufeinanderprallten. Zum Teil anhand derselben - aber gegensätzlich gedeuteten - Petruszitate, die mit dem aktuell wirksamen Heiligen verbunden wurden, wurde in den Kanzleierzeugnissen sowie in den Streitschriften beider Seiten um die Parteinahme Petri am heftigsten gerungen. Gregor VII. nahm die Vermittlung der Petrusnähe exklusiv für das Papsttum in Anspruch und untermauerte mit der Schlüsselgewalt Petri die päpstliche Überlegenheit auch in weltlichen Angelegenheiten. Im Lager Heinrichs IV. wurde hingegen der Apostelfürst als unmittelbarer regni vel imperii defensor wahrgenommen und Gregor wurde wegen seines Verhaltens dem König gegenüber die Petrusnachfolge - und damit die Papstwürde - abgesprochen. Auch in der Rompolitik Heinrichs V. spielte der Apostelfürst eine erhebliche Rolle, wie die Zentralität des Apostelgrabs in Zeremonien und Texten dieser Zeit deutlich zeigt. Bei der abschließenden Betrachtung des Wormser Konkordats (1122) deutet Wittlinger die kaiserliche Anerkennung der regalia beati Petri im Sinne einer erzielten Gleichrangigkeit von Papsttum und Kaisertum im weltlichen Bereich an.
Im fünften Abschnitt (422-431) werden die Forschungsergebnisse prägnant zusammengefasst. Betont wird insbesondere, dass Petrus zu keinem Zeitpunkt als "Reichsheiliger" angesehen wurde. Der Apostelfürst wurde zwar in jeweils situativen Kontexten mit wichtigen Aspekten des imperium in Verbindung gebracht, es kam jedoch nie zu einer institutionalisierten Verbindung mit der Kaiserwürde.
Insgesamt erweisen sich die Forschungsergebnisse, die auf einer sehr sorgfältig durchgeführten Quellenkritik beruhen, als weitgehend überzeugend. Besonders lobenswert ist die akribische Betrachtung des Entstehungskontextes sowie des möglichen Publikums der einzelnen Zeugnisse, die Wittlinger in verschiedenen Fällen dazu veranlasst hat, konsolidierte Deutungen weitgehend zu revidieren. Auf die Fragestellung geht Wittlinger jedoch nicht in allen Teilen gleich konsequent ein. Steht die Dreierkonstellation Kaiser-Papst-Rom immer im Mittelpunkt, bleibt die spezifische Rolle Petri jedoch in längeren Passagen des dritten Abschnitts im Hintergrund. Ähnlich fokussiert sich Wittlinger im vierten Abschnitt auf mehrere Textstellen, die eher den petrinischen Primat des Papstes als die kaiserliche Verbindung zum Apostelfürsten thematisieren. Das schmälert jedoch nicht den relevanten Beitrag der Studie zur Geschichte der Idee des Kaisertums sowie des Verhältnisses von regnum und sacerdotium.
Francesco Massetti