Sarah Lentz: "Wer helfen kann, der helfe". Deutsche SklavereigegnerInnen und die atlantische Abolitionsbewegung, 1780-1860 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; Bd. 261), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 456 S., ISBN 978-3-525-36099-6, EUR 85,00
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Die gängige Forschungsmeinung zum Thema "Deutscher Abolitionismus" lautete: da weder das Heilige Römische Reich Deutscher Nation noch der Deutsche Bund Kolonien besaßen und daher nicht in den Sklavenhandel verstrickt waren, gab es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts so gut wie keine deutschen Abolitionist*innen. Nach der Lektüre der (für die Publikation leicht überarbeiteten und gekürzten) Promotionsschrift von Sarah Lentz, auf deren Grundlage sie an der Universität Bremen 2018 promoviert worden ist, muss man diese Sichtweise korrigieren. Die vorliegende Abhandlung untersucht die Verflechtung von Akteur*innen des Alten Reiches und seiner Nachfolgestaaten mit der transatlantischen Antisklavereibewegung vom späten 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Ausgangs- und Endpunkt sind sinnvoll gewählt: vom Beginn der Abolition-Bewegung in Westeuropa (insbesondere in Großbritannien) und in Nordamerika im Zuge der Spätaufklärung bis zum Amerikanischen Bürgerkrieg. Im Grunde die "Sattelzeit" (Koselleck) bzw. "The Age of Revolution" (Hobsbawm). Das Buch ist chronologisch aufgebaut, wobei Sarah Lentz drei Phasen des deutschen Abolitionismus ausmacht. Jeder Phase ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem Lentz gut ausgewählte Fallstudien kontextualisiert.
(1) 1780-1810. Im Mittelpunkt dieses Teils stehen die Schriften des Anatoms und Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840), des Naturwissenschaftlers Franz Carl von Achard (1753-1821) und des Literaten August von Kotzebue (1761-1819). Insgesamt könne man sehen, so Lentz, dass von diesen, wie sie es ganz treffend nennt, "Lehnstuhlaktivisten" das atlantische Sklavereisystems im Rahmen des Aufkärungsdiskurses zunehmend verurteilt wurde. Aus den Schriften der drei Intellektuellen geht "ein unerschütterlicher Glaube an einen kontinuierlichen Fortschritt der Menschheit hervor, der sich durch die zunehmende Verbreitung von Wissen und >Wahrheit< unaufhaltsam seinen Weg bahnen würde: Wenn nur die Öffentlichkeit - im Alten Reich und darüber hinaus - über die moralischen und ethischen Verfehlungen Bescheid wisse, die dem Sklavenhandel inhärent waren, dann würde sich automatisch ein Wandel einstellen. Wenn die Überzeugung der Monogenese und der gleichwertigen Anlagen der Schwarzen allgemein anerkannt wäre, dann würde ihrer Versklavung jede Rechtfertigung entzogen sein und diese Praxis so zwangsläufig zu einem Ende kommen. Wenn die Menschen nur über die moralischen Implikationen des Konsums von Produkten aus Sklavenarbeit informiert wären, dann würden sie diese Waren boykottieren." (161-162)
(2) 1820-1838. Sarah Lentz hält diese beiden Jahrzehnte für eine Übergangszeit, in der es in der Öffentlichkeit - auch aufgrund der reaktionären politischen Situation - keine weithin sichtbare Debatte über die Sklaverei gegeben habe. Allerdings könne man an den Schriften und Aktivitäten des bekannten Alexander von Humboldt (1769-1859) und der Schriftstellerin Therese Huber (1764-1829) und ihres Sohnes, des Sozialreformers Victor Aimé Huber (1800-1869), erkennen, dass zwar die aufklärerische Stoßrichtung der vorgebrachten Argumente blieb, gleichzeitig aber der persönliche Anschluss an das internationale Netzwerk gesucht wurde. Ansonsten war ein wichtiges Merkmal dieser Phase das Interesse britischer Abolistionsit*nnen gegenüber der deutschen Bewegung, wobei sich diese Annäherung offensichtlich in erster Linie aus den großen Veränderungen auf der politischen Bühne ergaben.
(3) 1838-1860. Befeuert durch die endgültige Beendigung der Sklaverei und des damit verbundenen apprenticeship system in Großbritannien erlebte der deutsche Abolitionismus eine erste "Blütezeit". Ab 1850 erschienen in Deutschland sehr viele Texte, die auf die eine oder andere Weise das Thema "Sklaverei" berührten. Hinzu kam neben der Anbindung an die globale Antisklavereibewegung das Bemühen um gemeinsame koordinierte Aktionen. Es entstanden erste institutionelle Strukturen (Vereine etc.), und konkrete aktivistische Praktiken (etwa: Spendensammlungen, Boykottaufrufe, Versammlungen) wurden etabliert. Sarah Lentz stellt uns in diesem Teil ihrer Arbeit aus diesem Grund einige dieser Tätigkeiten ausführlich vor. Darüber hinaus widmet sie sich sowohl Akteuren wie dem Schriftsteller und Philosophen Friedrich Wilhelm Carové (1789-1852) und dem aus Brasilien stammenden, nach Deutschland verbrachten und später dann freigelassenen Sklaven Friedrich Wilhelm Marcellino sowie der Society for the Extinction of the Slave Trade and the Civilization of Africa (1840-43), dem Verein zur Unterstützung der armen Negerkinder (1852-1860) und dem Nationalverein für Abschaffung der Sklaverei (1848-1853).
Welches Fazit kann man ziehen, wenn man das Buch durchgelesen hat? Zum einen muss konstatiert werden, dass es seit dem Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder auch deutsche Sklavereigegner*innen gegeben hat. Allerdings kann hinsichtlich der Größe der Bewegung, wie Sarah Lentz selbst feststellt, selbst "in der dritten (...) Phase keinesfalls von einer Mobilisierung der Massen die Rede sein." (398) Natürlich ist ihr zuzustimmen, dass man dennoch nicht von einem Scheitern eines deutschen Abolitionismus sprechen sollte. Es handelte es sich vielmehr um ein wichtiges, bisher von der Forschung ignoriertes oder bewusst ausgeblendetes Gesellschaftsphänomen der deutschen Gesellschaft innerhalb des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und des Deutschen Bundes. Da es nicht zu einer Bündelung der Aktivitäten auf einer zentralen Ebene kam, zeigte sich, wie die Autorin es am Schluss ihrer ausgezeichneten und sehr erhellenden Studie formuliert, "die Ablehnung der Sklaverei im deutschen Fall (...) in einer großen Varietät von Protestpraktiken innerhalb räumlich begrenzter Netzwerke und Zusammenschlüsse (...). Während es", so fasst Lentz zusammen, "unter SklavereigegnerInnen aus dem liberalen Bürgertum also durchaus Bemühungen gab, den Protest gegen das atlantische Sklavereisystem als >nationales< Projekt zu vereinnahmen, zeichnet sich ab, dass die meisten der nachgewiesenen Projekte und Impulse eher auf eine regionale oder sogar einzig lokale, innerhalb einzelner Städte angesiedelte Mobilisierung abzielten." (399)
Stephan Conermann