Eveline Sint Nicolaas / Valika Smeulders (eds.): Slavery. The story of João, Wally, Oopjen, Paulus, van Bengalen, Surapati, Sapali, Tula, Dirk, Lohkay, Amsterdam: Atlas Contact 2021, 350 S., ISBN 978-90-450-4427-9, EUR 27,48
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Gotthard Strohmaier: Antike Naturwissenschaft in orientalischem Gewand, Trier: WVT 2007
Jan Stark: Malaysia and the Developing World. The Asian Tiger on the Cinnamon Road, London / New York: Routledge 2013
Nayeem Sultana: The Bangladeshi Diaspora in Malaysia. Organizational Structure, Survival Strategies and Networks, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2009
In den Kolonialstaaten, die für den europäischen Sklavenhandel (im Atlantik, aber auch im Indischen Ozean) verantwortlich waren, verläuft die öffentliche Aufarbeitung des schweren historischen Erbes sehr unterschiedlich. Neben Großbritannien widmen sich vor allem die Niederlande seit einiger Zeit diesem Thema. Eines der wichtigsten Vorhaben stellt in diesem Zusammenhang die seit 2017 geplante und am 18. Mai 2021 durch König Willem-Alexander eröffnete Sklavereiausstellung des niederländischen Nationalmuseums (Rijksmuseum) in Amsterdam dar. Besprochen wird an dieser Stelle nicht die Exposition selber, sondern die von Eveline Sint Nicolaas und Valika Smeulders herausgegebene zughörige Publikation. Valika Smeulders, die 2012 an der Universität Rotterdam mit einer Arbeit zum Thema "Slavernij in Perspectief. Mondialisering en erfgoed in Suriname, Ghana, Zuid-Afrika en Curaçao" promoviert wurde, gehörte von Beginn an zum Kuratortinnenteam des Projektes. Am 1. Juli 2021 übernahm sie im Rijksmuseum als nachfolgerin von Martine Gosselink, die als neue Direktorin zum Mauritshuis wechselte, die Leitung der historischen Abteilung. Eveline Sint Nicolaas, die Geschichte und Kulturwissenschaften an der Universität Amsterdam studierte, ist bereits seit 1998 als Kuratorin am Museum tätig. 2018 veröffentlichte sie "Shackles and Bonds: Suriname and the Netherlands since 1600" (Amsterdam, Nijmegen: Rijksmuseum, Uitgeverij Vantilt). Beide haben hervorragende Arbeit geleistet - der Begleitband ist wirklich sehr informativ und lesenswert. Die Ausstellung (und damit auch das Buch) konzentriert sich auf die niederländische Kolonialzeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, wobei regional neben der Goldküste und Kapstadt nicht nur die niederländische Karibik und die bisweilen auch "Neu-Holland" genannte niederländische Kolonie im Nordosten Brasiliens (von 1630-1654) eine Rolle spielen, sondern auch die von der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) kontrollierten Gebiete an der Malabarküste, in Bengalen und innerhalb des Malaiischen Archipels. Darüber hinaus werden auch stets die Rückkopplungen und Verflechtung mit den Niederlanden thematisiert. Es war, wie ich finde, eine sehr weise Entscheidung, weder eine Wirtschaftsgeschichte noch eine Gesamtdarstellung der niederländischen Verwicklung in den Sklavenhandel zeigen zu wollen (obgleich es eine sehr gelungene Einführung von Eveline Sint Nicolaas gibt), sondern zehn historische Personen, die verschiedene Facetten und Perspektiven der Sklaverei zeigen, in den Mittelpunkt zu stellen. Ganz sicher macht man ein solch schwieriges Erbe dem breiten Publikum zugänglicher und erlebbarer, wenn man es mit konkreten Namen, Gesichtern und Schicksalen versieht. Um wen handelt es sich also? Zunächst lernen wir fünf Personen aus dem Inneren des Sklavereisystems kennen:
1. João Mina, ein portugiesischer Sklave, der sich nach seiner Flucht zu den Niederländern in Recife im September 1646 einer strengen Befragung unterziehen musste.
2. Wally, ein Sklave, der auf der Zuckerplantage von Palmeneribo in Surinam arbeiten musste, die einem Mann namens Jonas Witsen in Amsterdam gehörte und von drei Aufsehern vor Ort verwaltet wurde. Nachdem Wally mit einem der Aufseher aneinandergeraten war, wurde er verhaftet und in Fort Zeelandia in Paramariobo im Juli und August 1707 verhört und anschließend zum Tode verurteilt.
3. Oopjen Coppit. Auf einem 1634 von Rembrandt angefertigten Gemälde ist die 22-Jährige zusammen mit ihrem Ehemann Marten Soolmans zu sehen. Martens war ein vermögender Mann, der den Reichtum allerdings nicht selbst erworben hatte. Vielmehr war es sein Vater, Jan Soolmans, der in Amsterdam eine große Zuckerraffinerie namens 't Vagevuur ("Fegefeuer") aufgebaut hatte, in der man den in Südamerika von Sklaven angebauten Rohstoff weiterverarbeitete.
4. Paulus Maurus. Paulus war ein schwarzer Sklave aus Nordafrika, der offenbar zum Haushalt von Moritz Ludwig I. Reichsgraf von Nassau-LaLecq (1631-1683) und Anna Isabella von Bayern von Schagen (1636-1716) gehörte.
5. Zahlreiche Sklave*innen innerhalb der von der VOC kontrollierten Gebiete stammten ursprünglich aus Bengalen. Sie erhielten europäisch-niederländische Vornamen (etwa: Maart, Amon, Francina, Januarij, Susanna oder Baron). Als Nachname fungierte der Zusatz "Van Bengalen". Manchmal ist es möglich, einzelne Lebenswege dieser Personen nachzuzeichnen. Am Ende landeten sie etwa in einem Privathaushalt in Batavia, auf einer Muskatnussplantage auf den Banda-Inseln oder einer der Farmen in Südafrika.
Die anderen fünf Lebensläufe stammen von versklavten Personen, die für den Kampf gegen die Sklaverei stehen.
6. Im Hintergrund eines Gruppenporträts von Jacob Coeman (1632-1676) kann man einen Sklaven sehen. Es handelt sich offenbar um Untung Surapati (1660-1706), der auf Java mehrere Aufstände gegen die Niederländer anführte und 1975 den Ehrentitel "Nationalheld Indonesiens" erhielt.
7. Als "Maroons" werden vor allem in Mittel- und Südamerika die von Plantagen geflohene afrikanisch Sklav*innen (und deren Nachkommen) bezeichnet. In Surinam lebt eine von ihnen - Sapali oder Ma Sapa - im kollektiven Gedächtnis bis heute weiter.
8. Die Nachricht von der erfolgreichen Sklav*innenerhebung in der französischen Kolonie Saint-Domingue von 1791 verbreitete sich sehr schnell in der Karibik. Tula, der als Sklave auf einer Plantage auf Curaçao tätig war, führte 1795, als die Niederlande unter französische Besatzung kamen, eine Rebellion an. Nach einem Montag wurde der Aufstand niedergeschlagen und Tula zu Tode gefoltert. 2010 verkündete die Regierung auf Curaçao, dass Tula und seine Leute künftig nicht mehr als "Aufrührer", sondern als "Helden" zu bezeichnen seien.
9. Ein interessanter Mann war Dirk van Hogendorp (1761-1822), der der niederländischen Herrschaftelite angehörte und lange Zeit in Diensten der VOC in Südostasien stand. Beeinflusst von den Idealen der Französischen Revolution verurteilt er einerseits in seinem 1799/1800 veröffentlichten Theaterstück "Kraspoekol, of de slaavernij. Een tafereel der zeden van Neerlands Indiën - Kraspoekol, oder Sklaverei. Ein Moralstück aus Niederländisch-Indien" die Institution der Sklaverei. Andererseits waren auf seiner Plantage in der Nähe von Rio de Janeiro unter anderem auch Sklav*innen tätig...
10. Die letzte Person, die im Rahmen der Ausstellung vorgestellt wird, ist One-Tété Lohkay. Der Legende nach war Lokhay eine junge Frau, vielleicht auch ein Mädchen, das auf einer Plantage in St. Maarten versklavt wurde. Sie rebellierte jedoch und lief weg. Die Plantagenbesitzer machten allerdings Jagd auf sie und konnte sie wieder einfangen und zurück auf die Plantage bringen. Zur Strafe für ihren Widerstand und als Warnung für andere Sklaven befahlen die Sklavenhalter, eine ihrer Brüste abzuschneiden. In Erinnerung an ihren Widerstand wurde offiziell im Jahre 2006 eine Statue von One-Tété Lohkay der Öffentlichkeit übergeben.
Die großartige Ausstellung gibt nicht auf alle Fragen, die die Besucher*innen haben, eine vorgefertigte Antwort. Vielmehr regt sie dazu an, über ein System nachzudenken, in dem Europäer*innen Menschen aus Afrika als ihr Eigentum betrachteten, sie hemmungslos erniedrigten, verschleppten und ausbeuteten, um aus den Erträgen ihrer Arbeit am Ende immens profitierten zu können. Interessanterweise ist man im Zuge der Vorbereitung der Exposition einmal den Bestand der ständigen Sammlung des Rijksmuseums durchgegangen, um zu sehen, welche Werke mit der niederländischen Sklavereivergangenheit zu tun haben. Bei 77 Objekten konnte diese Beziehung, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, hergestellt werden. Für zunächst ein Jahr weisen zusätzliche Schilder auf diese Verflechtung hin. Es wäre meiner Meinung nach zu wünschen, dass man die neuen Informationen in das Museum integriert, um der komplexen niederländischen Geschichte gerechter zu werden.
Stephan Conermann