Rezension über:

Jörn Steigerwald / Burkhard Meyer-Sickendiek (Hgg.): Das Theater der Zärtlichkeit. Affektkultur und Inszenierungsstrategien in Tragödie und Komödie des vorbürgerlichen Zeitalters (1630-1760) (= culturae; 18), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, VIII + 306 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-11472-1, EUR 69,00
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Rezension von:
Ralf Bogner
Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Bogner: Rezension von: Jörn Steigerwald / Burkhard Meyer-Sickendiek (Hgg.): Das Theater der Zärtlichkeit. Affektkultur und Inszenierungsstrategien in Tragödie und Komödie des vorbürgerlichen Zeitalters (1630-1760), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 10 [15.10.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/10/35192.html


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Jörn Steigerwald / Burkhard Meyer-Sickendiek (Hgg.): Das Theater der Zärtlichkeit

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Der aus einer Tagung von 2015 hervorgegangene Sammelband widmet sich Dramen der europäischen Literaturen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, für welche das zeitgenössische Konzept der Zärtlichkeit eine besondere Rolle spielt. Im Zentrum stehen französische und deutschsprachige Texte, hinzu kommen in geringerem Umfang spanische und italienische Texte. Weitere europäische Literaturen werden nicht in den Blick genommen.

Die Ausgangsthese der Herausgeber ist, dass die Dramatisierung von Zärtlichkeit eine wichtige Stufe zwischen der frühneuzeitlichen Literarisierung der Vernunftehe und der späteren fiktionalen Idealisierung der Liebesehe, insbesondere in der Romantik um 1800, darstelle. Zudem ergäben sich aus dem Zugeständnis, dass eine Ehe nicht allein vernunftgeleitet geschlossen werden solle, größere Handlungsspielräume für das weibliche Geschlecht als bisher, die sich beispielsweise in der Entstehung der Salonkultur und wiederum ihrer Literarisierung im Drama niederschlagen würden.

Bereits bei Corneille wird die Zärtlichkeit als Garant partnerschaftlicher und familiärer Bindungen definiert. Sie ist eingebunden in die größere Struktur eines Haushaltes mit allen seinen Angehörigen. Begründet wird sie mit der Notwendigkeit einer emotionalen Basis des gemeinsamen Lebens über rein rationale Beweggründe hinweg. Der Begriff der Zärtlichkeit erscheint hierbei noch relativ unspezifisch verwendet, nach und nach jedoch, etwa bei Molière, immer deutlicher, genauer und klarer in den untersuchten Texten konturiert. Freilich dauert das seine Zeit und gibt es vielerlei Einsprüche, etwa bei Racine oder in vielen spanischen Texten, welche die Zärtlichkeit als neues Intimitätsideal lange Zeit hindurch nur punktuell aufnehmen. Im Falle von Spanien hat das auch viel mit dem kulturellen Selbstverständnis dieser Nation und ihrer Positionierung gegenüber europäischen Modeerscheinungen zu tun. Dennoch erweist sich auch hier sukzessiv, insbesondere im Rahmen der Rezeption empfindsamer Diskurse, ein Theater der Zärtlichkeit als erfolgreich.

Die unaufhaltsame Durchsetzung des Modells von zärtlichen zwischenmenschlichen Beziehungen lässt sich nicht zuletzt anhand von Libretti zeigen, welche einzelne Handlungssequenzen von spätbarocken Romanen auf die Bühne bringen. Aufschlussreich ist des Weiteren die Untersuchung von deutschsprachigen Schäferspielen der Aufklärung, die mit der barocken Tradition brechen und sehr stark auf den Eigenwert von partnerschaftlicher Liebe abheben. Das bei Voltaire als Dramatiker bereits durchgesetzte Konzept der Zärtlichkeit wird insbesondere bei Lessing - vor allem in "Emilia Galotti" - euphorisch rezipiert und aufgenommen.

Insgesamt ist das vorliegende Buch - wie die meisten der heute erscheinenden Sammelbände - ein wenig punktuell und inhomogen in der Aufarbeitung seines Themas. Dennoch bietet er vielfältige wichtige Anregungen. Die Beigabe eines Personenregisters wäre sehr hilfreich und benutzerfreundlich gewesen.

Ralf Bogner