Katarzyna Person: Warsaw Ghetto police: the Jewish Order Service during the Nazi occupation. Translated by Zygmunt Nowak-Soliński, Ithaca / London: Cornell University Press 2021, xii + 232 S., ISBN 978-1-5017-5407-4, USD 32,95
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Der Ordnungsdienst, eine jüdische Polizeieinheit in den Gettos im deutsch besetzten Osteuropa, war neben den sogenannten Judenräten die umstrittenste und am schärfsten kritisierte jüdische Institution, die in der Zeit des Holocaust tätig war. Mussten die jüdischen Polizisten doch die Gettogrenzen bewachen, in den Zwangswohnvierteln für Ruhe und Ordnung sorgen und später dann - und dies war der schwerwiegendste Vorwurf an sie seitens der Zeitgenossen und der Überlebenden - den deutschen Einsatzkräften dabei helfen, jüdische Männer, Frauen und Kinder zu den Sammelpunkten zu bringen, von denen aus sie in die Vernichtungslager deportiert wurden.
Dem jüdischen Ordnungsdienst im größten von den Nationalsozialisten eingerichteten Getto, demjenigen in Warschau, widmet sich die nun in englischer Übersetzung vorliegende Studie von Katarzyna Person, einer der besten Kennerinnen der Geschichte des Warschauer Gettos. Auf breiter Quellenbasis schildert sie die Entstehung, das Wirken des Ordnungsdienstes, aber auch die Wahrnehmungen der Polizisten selbst und die der übrigen Gettobevölkerung. Sie lässt die Menschen dabei ausführlich selbst zu Wort kommen, zitiert auf zahlreichen Tagebüchern und Berichten, aus den Dokumenten des Judenrats sowie aus den Quellen aus dem Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos. Auch die Berichte, die der Ordnungsdienst den deutschen Behörden über sein Wirken im Getto abliefern musste, wertet sie aus.
Person beschreibt die Entstehung und Entwicklung der auf deutsche Anordnung hin gegründeten jüdischen Polizeieinheit, untersucht, wer diejenigen waren, die hier eine Arbeit suchten und fanden, fragt nach ihren Motivationen und Selbsteinschätzungen. Unter dem Kommandanten Józef Szeryński, einem zum Katholizismus konvertierten Juden, der bereits vor dem Krieg in der polnischen Polizei gearbeitet hatte, kamen vor allem assimilierte, Polnisch sprechende Männer aus höheren Schichten in die Polizeieinheit, was unter der breiten Bevölkerung Kritik hervorrief, sie die Polizisten aber auch als "Fremde" sehen ließ: Diese Polizisten waren die Anderen, sie hatten mit der großen Mehrheit der Warschauer jüdischen Bevölkerung nichts zu tun, so eine verbreitete Wahrnehmung. Umgekehrt zeigen Berichte von Polizisten, dass innerhalb des Ordnungsdienstes durch militärähnliche Zeremonien ein Gefühl aufgebaut werden sollte, gemeinsam einer angesehenen Gruppe anzugehören.
Beziehungen oder Geld waren häufig nötig, um einen der begehrten Posten zu bekommen. Die Arbeit im Ordnungsdienst brachte für die Mitglieder und ihre Familien einen gewissen Schutz mit sich, in der Anfangsphase beispielsweise vor der Deportation in eines der berüchtigten Arbeitslager. Ein Überlebender erinnert sich nach dem Krieg, wie selbstverständlich es ihm erschien, sich um eine Stelle zu bewerben: "At the time, we treated it very naturally, they gave us a wage after all (and you could not even dream of getting a job), there wasn't much work to do and we got food rations. It was even considered a success - to get into the police." (1) Im Dezember 1940 hatte der OD 1635 Mitglieder, im Januar 1941 waren es bereits 2000.
Manche der Polizisten waren Gestapo-Spitzel, andere wurden von ihren Leidensgenossen der Korruption beschuldigt. Viele taten aber auch einfach nur ihren Dienst an den Gettogrenzen und auf den Straßen des Gettos, bemühten sich, dort für eine gewisse Ordnung zu sorgen. Doch es war eine Gratwanderung, diesen Dienst zu leisten und den Menschen im Getto dabei nicht zu schaden. Durch Aufgaben wie die Bekämpfung des Schmuggels oder die Bereitstellung von angeforderten Arbeitskräften, aber auch durch die mitunter brutale Art und Weise, in der manche der OD-Männer agierten, zogen sie schon bald die Kritik der Menschen im Getto auf sich. Das Eintreiben von Bestechungsgeldern, etwa um die Deportation in ein Arbeitslager zu vermeiden oder Schmuggel an den Gettogrenzen zu ermöglichen, war zwar offiziell verboten, wurde im Laufe der Zeit jedoch zur wichtigsten Einnahmequelle der jüdischen Polizisten. Person schreibt: "The corruption of the Jewish policemen affected everyone." (50) Die zahlreichen Selbstzeugnisse, die sie auswertet, machen deutlich, dass die Menschen im Getto sich der als gegeben angenommenen Gewalt der OD-Männer oftmals hilflos gegenübersahen. So sah die große Mehrheit der Gettobewohner die Polizisten äußerst negativ. Versuche des OD-Kommandanten und des Judenrats-Vorsitzenden Adam Czerniaków, dieses negative Bild in der Bevölkerung zu verbessern, scheiterten.
Im Frühjahr 1942, als Nachrichten über die Massenmorde aus anderen jüdischen Gemeinden Warschau erreichten, wurden auch die Atmosphäre der Angst und des Terrors im Warschauer Getto immer schlimmer. Immer wieder fielen nun auch Ordnungsdienstmänner den Erschießungen deutscher Wachleute im Zusammenhang mit deren Kampf gegen den Schmuggel an der Gettogrenze zum Opfer. Gerüchte über Erschießungen und geplante Massenmorde machten in jener Zeit die Runde. Katarzyna Person schildert diese angespannte Atmosphäre, die Gerüchte und Vermutungen anhand zahlreicher Selbstzeugnisse sehr eindringlich. Am 20. Juli 1942 versuchte Jakub Lejkin, der für den in der Zwischenzeit inhaftierten Szeryński den Ordnungsdienst befehligte, diesem Informationschaos ein Ende zu bereiten, indem er der Bevölkerung auf Anweisung Czerniakóws per Megafon bekannt gab, die Gerüchte über bevorstehende Deportationen der Warschauer Juden seien unbegründet.
Zwei Tage später wurde Lejkin in das Büro des Judenratsvorsitzenden gerufen, wo ihm, gemeinsam mit Czerniaków und anderen Judenratsmitgliedern von SS-Sturmbannführer Hermann Höfle der Deportationsbefehl für die Warschauer Juden bekannt gegeben wurde. Laut deutscher Anordnung war der Ordnungsdienst als ausführendes Organ des Judenrats für die Durchführung dieser Deportationen verantwortlich. Einige Stunden später informierten Plakate die Insassen des Gettos über die bevorstehende "Aussiedlung". Am nächsten Tag nahm sich Adam Czerniaków das Leben.
Spätestens jetzt, als die Deportationen der Warschauer Juden in das Vernichtungslager Treblinka begannen und die OD-Männer die Menschen zum berüchtigten Umschlagplatz bringen mussten, von dem aus die Transporte in den Tod fuhren, erschien die Arbeit der jüdischen Polizisten den Gettobewohnern unerträglich. Zwar übernahm am 29. Juli der deutsche Stab der "Aktion Reinhardt" die Durchführung der Razzien, doch blieben die jüdischen Polizisten involviert. Sie mussten täglich eine bestimmte Anzahl Deportationsopfer zum Umschlagplatz bringen, andernfalls drohte ihnen selbst die Deportation. So agierten einige, wohl auch unter diesem Druck, mit Brutalität und deplatziert wirkendem Eifer. Auch nutzten manchen der Männer ihre Position aus und nahmen Bestechungsgelder an. In diesen dramatischen Tagen im Sommer 1942 steigerte sich die Empörung über die jüdischen Polizisten bei vielen zum Hass.
Die eindringlichen Zeugnisse aus den Tagen der und unmittelbar nach den Deportationen, aus denen sie zuvor zitiert hat, fasst Katarzyna Person auch im Hinblick auf die Bewertung der Rolle der jüdischen Polizisten zusammen: "Testimonies written during the deportation operation and immediately after it are without a doubt the most shocking accounts from the Warsaw Ghetto - evidence of suffering created immediately after the death of loved ones and at the same time an indictment of the Jewish policemen. The destruction described in in the finale fragments of Emanuel Ringelblum's notes and in the works and poems of Yehoshua Perle and Icchak Kacenelson had the face of a Jewish policeman." (138).
Katarzyna Person hat ein eindringliches Buch über ein schwieriges Thema geschrieben. Die Mitarbeiterin des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau kennt die Quellen, die Menschen im Getto und nach der Befreiung geschrieben haben, so gut wie nur wenige andere Kolleginnen und kann ihre Untersuchung daher auf eine breite Basis stützen. Sie stellt das Handeln der jüdischen Polizisten, wo möglich auch ihre Selbstwahrnehmungen und die Interpretationen und Wertungen der übrigen Gettobevölkerung dar, ist dabei immer vorsichtig und abwägend, fällt keine vorschnellen Urteile. Hoffentlich wird diese wichtige Arbeit zum Anstoß für weitere Untersuchungen - der jüdische Ordnungsdienst stand noch nicht oft im Zentrum historischer Untersuchungen [1] -, auch in dem Sinne, wie Katarzyna Person selbst am Ende ihrer Studie schreibt: "Exploring the ways in which the model of the functioning of the Warsaw Jewish Ordner Service was duplicated in other ghettos would increase the possibility of answering the question of the role of the Jewish Order Service in German anti-Jewish policy in occupied Poland and in the implementation of the Holocaust." (158)
Anmerkung:
[1] Alicja Jarkowska-Natkaniec: Jüdischer Ordnungsdienst in Occupied Kraków During the Years 1940-1945, in: Scripta Judaica Cracoviensia 11 (2013), 147-160; Dov Levin: How the Jewish Police in the Kovno Ghetto Saw Itself, in: Yad Vashem Studies 29 (2001), 183-241, und Andrea Löw: Ordnungsdienst im Ghetto Litzmannstadt, in: Paweł Samuś/Wieczysław Puś (eds..), Fenomen getta łódzkiego 1940-1944, Łódź 2006, 155-167.
Andrea Löw