Saskia Limbach: Government Use of Print. Official Publications in the Holy Roman Empire, 1500-1600 (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; Bd. 326), Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2021, XVIII + 347 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-465-04425-3, EUR 79,00
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Eine Dissertation über offizielle Publikationen - die Rezensentin hat ihre Aufgabe mit etwas Skepsis übernommen, wurde aber aufs angenehmste überrascht. Mittelpunkt der Studie sind Drucke, die im Herzogtum Württemberg und in der Reichsstadt Köln auf obrigkeitliche Veranlassung herauskamen. Sie sind bibliographisch gut erschlossen, aber vor allem für Köln hat die Autorin zahlreiche bisher unbekannte Drucke gefunden, in einem Anhang aufgeführt und ihre Aufnahme in den "Universal Short Title Catalogue" veranlasst. Einige Kölner Drucke konnten mit Hilfe der Analyse von Holzschnittklischees ihren jeweiligen Druckern zugewiesen werden. Doch die Studie beschränkt sich nicht auf die bibliographische Erschließung und Beschreibung der Drucke. Vielmehr wird die Geschichte des offiziellen Drucks für jedes Territorium zweimal erzählt, einmal aus der Perspektive der jeweiligen Regierung, zum andern als Geschichte der für die Regierung arbeitenden Drucker, ihrer Produktion und wirtschaftlichen Lage. Dabei stellt die Autorin zum Teil neuartige Fragen und kommt durch den Vergleich zu interessanten und gelegentlich überraschenden Ergebnissen. Am klarsten lassen sich diese Ergebnisse durch die Zusammenstellung von Frage und Antworten summieren. Für die Regierungsseite, die in jedem Territorialkapitel zuerst behandelt wird, sind dies vor allem die folgenden:
1. Brauchte die Regierung überhaupt offizielle Drucke? Für die württembergischen Herzöge verstand sich das von selbst. Herzog Ulrich sah sich gezwungen, sowohl vor als auch nach der Wiedererlangung seiner Herrschaft deren Legitimität darzulegen. Herzog Christoph wollte mit Mandaten und Landesordnungen seine Amtsträger auch in entfernten Landesteilen erreichen können. Der Kölner Rat hingegen konnte Informationen unkompliziert mündlich weitergeben, entweder unmittelbar an die von einer Vorschrift Betroffenen, an die versammelten Bürger bei einer "Morgensprache" oder über die Gaffeln, in denen alle Bürger organisiert sein mussten. Die Notwendigkeit für den Druck ergab sich höchstens dann, wenn Auswärtige oder Zugereiste informiert werden mussten, wie z.B. bei Handels- und Münzedikten, wenn die Information länger verfügbar sein sollte wie z.B. die über Wechselkurse, oder wenn der Rat seinerseits auswärtige Hilfe suchte. Er nutzte deshalb den Druck zunächst nur zögerlich und erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts häufiger.
2. Wie war das Angebot an Druckereien für das jeweilige Territorium? In Württemberg scheint die Etablierung einer Druckerei überhaupt schwierig gewesen zu sein, weil es in der Umgebung des Herzogtums, vor allem in den Reichsstädten, zahlreiche Druckereien gab, gegen deren Konkurrenz ein Drucker in Württemberg nicht unbedingt aufkam. Um den Drucker zu halten, mussten die Herzöge ihn für die offiziellen Aufträge gut bezahlen und waren auch dann nicht unbedingt sicher, dass er blieb. Der Kölner Rat hatte immer Auswahl unter mehreren Druckern und konnte offizielle Drucke deshalb kostengünstig herstellen lassen.
3. Welche Arten offizieller Drucke gab es? Zum Teil ergibt sich das schon aus den Antworten auf die ersten beiden Fragen. Für Württemberg standen rechtliche Regelungen in Bezug auf Einführung und Durchsetzung der Reformation im Mittelpunkt, für die Kölner waren es vor allem handelspolitisch wichtige Dokumente wie die Münzedikte. Sie eigneten sich auch deshalb für die Verbreitung im Druck, weil sie für die mündliche Weitergabe oft zu kompliziert waren. Außerdem konnten sie mit demonstrierenden Holzschnitten illustriert werden. Außergewöhnliche Drucke werden bei Gelegenheit behandelt, so z.B. Einladungen zu Schießwettbewerben oder eine Neckar-Fischerei-Verordnung, die mit einem aufgedruckten Messstab anzeigte, dass Fische unter einer bestimmten Größe geschont und nicht verkauft werden sollten.
4. Aus welchen Motiven wurden offizielle Drucke in Auftrag gegeben? Für beide Obrigkeiten war es wichtig, sich, vor allem in Krisensituationen, als kompetent entscheidend und aktiv handelnd zu präsentieren, was durch den Druck geschehen konnte. Zudem war die jeweilige Obrigkeit durch den Druck "draußen" in der Stadt bzw. im Lande präsent - die Kennzeichnung "symbolisch" für diese Art von Präsenz erscheint nicht ganz passend, aber eine bessere ist auch noch nicht gefunden.
Im zweiten Teil jedes Territorialkapitels geht die Autorin der Frage nach, welche Rolle das Arbeiten für die Obrigkeit für den oder die jeweiligen Drucker spielte. Das Grundlegende wird mehrfach gesagt und ergibt sich außerdem aus der Betrachtung der Drucker und ihres Lebenswerks selber: Keiner der behandelten Drucker arbeitete ausschließlich oder auch nur überwiegend für den Hof bzw. Rat - eine Stellung, die mit dem Ausdruck "Hofdrucker" vielleicht nicht ganz zutreffend gleichgesetzt wird. Für alle Drucker waren die offiziellen Drucke nur ein Teil ihres gesamten Druckschaffens. Die Kölner Drucker hatten zahlreiche andere Auftraggeber und Verdienstmöglichkeiten bis hin zum Druck standardisierter Ablassbriefe. Für die Tübinger Druckerei Gruppenbach machten offizielle Aufträge dagegen einen erklecklichen Teil der Produktion aus, so dass sie in Schwierigkeiten geriet, als während weniger Jahre offizielle Aufträge an einen Stuttgarter Drucker vergeben wurden. In Bezug auf die Drucker werden also besondere Fragen gestellt, nämlich:
1. Wie wurden die Drucker für ihre Arbeit für die Obrigkeit bezahlt? Das gewöhnliche Verfahren bestand offensichtlich darin, den Drucker für jeden Auftrag gesondert zu bezahlen, wobei die württembergischen Herzöge sich in der Regel großzügiger zeigten als der Kölner Rat, um sich langfristig die Dienste des Druckers zu sichern.
2. Lohnte sich die Übernahme offizieller Aufträge für den Drucker finanziell? Für die württembergischen Drucker scheint das klar zu sein, jedenfalls solange die Bezahlung gut blieb. Das war allerdings nicht immer der Fall, und obrigkeitliche Aufträge allein hätten keine Druckerei wirtschaftlich sichern können. Auch band der Druck umfangreicher Werke wie der württembergischen Großen Kirchenordnung oder um die Jahrhundertwende der Neuausgabe des Landrechts auf lange Zeit Arbeitskraft und Kapital, so dass sich der Druck lange hinzog, weil der Drucker keine freien Kapazitäten hatte. Für Köln kann man, zumal bei kleiner Auflage, nicht von einem einträglichen Geschäft ausgehen. Deshalb muss
3. gefragt werden, welchen anderen Gewinn die Kölner Drucker von der Übernahme offizieller Aufträge hatten. Die Autorin nennt dafür auch, aber nicht nur wirtschaftliche Motive. Mit Drucken für die Obrigkeit präsentierte sich der Drucker als gewissenhaft und verlässlich und konnte aufgrund eines solchen Rufes auch auf Aufträge anderer Obrigkeiten oder Privatleute hoffen. Aber auch sein Prestige innerhalb der Stadt stieg, unter Umständen bahnte ihm das den Weg in städtische Machtpositionen. Der Kölner Drucker Jaspar von Gennep wurde Burggraf, Maternus Cholinus sogar in den Rat gewählt.
Ein fulminantes Beispiel dafür, was sich vermeintlich trockenen Themen an Erkenntnissen abgewinnen lässt - und ein Lesevergnügen selbst auf Englisch.
Esther-Beate Körber