Simone Martini: Alltagsleben im Römischen Reich. Stadt - Land - Militär (= Geschichtsunterricht praktisch), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2018, 24 S., ISBN 978-3-7344-0717-8, EUR 10,90
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Martin Buchsteiner / Patrick Jahnke: Digitale Spiele im Geschichtsunterricht (= Geschichtsunterricht praktisch), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2021, 24 S., ISBN 978-3-7344-1217-2, EUR 10,90
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Zu den immer wiederkehrenden Herausforderungen an Geschichtslehrkräfte gehört es, das ausgewählte Thema mit Blick auf die zu unterrichtende Lerngruppe ansprechend, motivierend und differenzierend aufzubereiten. In der Praxis impliziert dieser Anspruch mehrstufige Diagnosen und geschichtsdidaktische Reflexionen im Vorfeld einer Reihe sowie das Durchforsten von Lehrmaterialien für die Zusammenstellung. Fachdidaktische Angebote, welche dem Anspruch nach den Standards der Forschung entsprechen und diese mühevolle Arbeit erleichtern sollen, gibt es zuhauf. In diese Kategorie gehört die Reihe "Geschichtsunterricht praktisch", deren Anliegen darin besteht, "neue didaktisch-methodische Zugriffe zu bekannten Themen" zu bieten und "gleichzeitig wenig bekannte Quellen zu aktuellen Fragestellungen" zu erschließen. Die kompakten Hefte sollen "kompetenzorientierte Aufgabenstellungen für einen differenzierenden Geschichtsunterricht" (Vorwort des Herausgebers), vornehmlich in der Sekundarstufe I, offerieren. Zwei dieser Hefte, nämlich "Alltagsleben im Römischen Reich" (2018) und "Digitale Spiele im Geschichtsunterricht" (2021) sollen im Folgenden - gemessen an dieser Selbstbeschreibung der Reihe - besprochen werden.
Das erste Heft "Alltagsleben im Römischen Reich", verfasst von der Archäologin Simone Martini, enthält eine Einleitung und vier Kapitel: Das Leben auf dem Land, Stadtleben im Alten Rom, Soldat beim römischen Militär, Wie arbeiten eigentlich Archäologen? Angesichts der Kürze der letzten zwei Kapitel liegt der Fokus offensichtlich auf das Land- und Stadtleben. Das wird auch an der knappen, offenbar für die Lehrenden gedachten Einleitung zum Alltagsleben des Imperium Romanum ersichtlich, welche einige prägende Aspekte des Alltagslebens benennt, um dann vornehmlich die (Land-)Wirtschaft zu fokussieren.
Zu Beginn des ersten Kapitels skizziert die Autorin das Landleben mit Blick auf die Agrarwirtschaft und Wohnsituation. Daran schließen sich 20 Materialien an, welche kurze antike Textquellen, Inschriften und moderne Zeichnungen beinhalten. Hierzu werden 22 Aufgaben formuliert, die überwiegend mithilfe der Operatoren formuliert und auf alle Anforderungsbereiche verteilt sind. Dadurch werden unterschiedliche Kompetenzen geschult. Die Formulierungen sind meistens kurz und verständlich. Nur selten beziehen sie sich auf mehrere Materialien. Zu den Sozialformen werden keine Angaben gemacht, ebenso wenig gibt es explizite Differenzierungsangebote.
Das längste Kapitel Stadtleben im Alten Rom wird hingegen nicht eingeleitet, weist aber ebenfalls eine Fülle von Materialien und Aufgaben auf. Angesichts der dann folgenden sechs Verfassertexte wäre eine zusammenhängende Einleitung zum Alltagsleben angezeigt. Die Aufgabenstellungen ähneln grosso modo den zu Kapitel eins Beschriebenen, sind aber zum einen häufiger auf Erklärungen und Erläuterungen (15 von 29) ausgerichtet und enthalten zum anderen eine Aufforderung zu einer Spielszene in einem römischen Bad. Einmal - bei den Fluchtafeln aus Hadrumetum - sind die Aufgaben aus zwei Perspektiven zu bearbeiten. Fraglich sind diejenigen Rechercheaufgaben, die online über Wikipedia durchgeführt werden sollen, weil den Lernenden ohne eine Anleitung das Auffinden der Informationen angesichts der dichten und nicht leicht verständlichen Artikel (etwa der Eintrag "Rom") schwerlich gelingt. Zwar sind Informationen zu den Autoren sehr knapp gehalten, doch bieten sie auch so eine Grundlage für eine erste, die Verfasser fokussierende Quellenkritik.
Das dritte Kapitel zum Soldatenleben ist wenig ergiebig, enthält es doch lediglich zwei Bild- und ebenso viele Textquellen (Cassius Dio). Sie thematisieren die Ausrüstung der Legionäre und die Zusammenstellung des Trosses sowie die Bedeutung des Militärs für die Expansion, welche anhand einer online zugänglichen Animation ermittelt werden soll. Eine der Aufgaben stellt die Konstruktion einer Geschichte dar, welche die Lernenden in die Lage eines Legionärs im Kampf gegen die Daker versetzen soll. Es werden keine Informationen zu den Dakern geliefert, sodass diese als gesichtslose Kontrahenten der Römer unbestimmt bleiben. Aus den obigen Ausführungen erwächst die Frage, ob den Schüler:innen eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem römischen Militär ermöglicht werden kann, um einen Mehrwert für das historische Lernen zu erzielen. Alternativ hätte man anstatt dieser Konfrontation die Begegnungs- und Austauschmomente zwischen Militär und der nicht romanisierten Bevölkerung als Teil des soldatischen Lebens ins Visier nehmen können.
Es ist nicht ersichtlich, warum die Leistungsüberprüfung für die Jahrgangsstufe 10/11 konzipiert wurde. Zwar ist die Römische Geschichte Bestandteil des Curriculums der Einführungsphase (so im Bundesland Hessen, in welchem der Verlag beheimatet ist), doch gilt dies keineswegs für das römische Alltagsleben.[1] Vor allem sind aber die Aufgaben wenig geeignet für eine Klausur in der Sekundarstufe II. Konsequent wäre es gewesen, die Leistungsüberprüfung analog zu den Materialien ausschließlich für die Sek I zu gestalten. Unpraktisch für den schnellen Einsatz im Unterricht, weil den Kopieraufwand erhöhend, ist der Umstand, dass häufig die Aufgaben nicht auf derselben Seite zu finden sind. Doch die maßgebliche Kritik ist anderer Art, denn das Heft erfüllt die selbst gesteckten Anforderungen der Reihe nur bedingt. Weder die Quellen noch die weiteren Materialien (Karten, Rekonstruktionszeichnungen) sind rar. Im Gegenteil, diese sind leicht anderswo auffindbar. Bedeutsamer: Mit diesem Heft ist ein differenzierender Geschichtsunterricht bestenfalls durch die Vielzahl der Materialien herzustellen, nicht durch unterschiedliche Niveaustufen, kooperatives Lernen, Pflicht-/Wahlaufgaben oder optionale Bearbeitungswege. Sprachliche Hilfestellungen sind ebenso wenig vorhanden wie abwechslungsreiche Sozialformen.
Das zweite Heft, erstellt von Martin Buchsteiner und Patrick Jahnke, möchte dazu motivieren, "digitale Spiele sowohl als Dokumentation vergangener Zeiten als auch als Quelle früherer bzw. gegenwärtiger Deutungen von Vergangenheit im Geschichtsunterricht" (1) einzusetzen. Eine dichte Einleitung skizziert das Phänomen der digitalen Spiele zunächst aus fachwissenschaftlicher Perspektive, um dann vielfältige Verwendungsweisen im Geschichtsunterricht vorzustellen. Die Autoren konzentrieren sich bei ihren methodisch-didaktischen Überlegungen auf folgende Schwerpunkte: Personifizierung, Technik- und Mentalitätsgeschichte, Geschichtskultur, Fakten und Fiktionen, Geschichtsvorstellungen, Alteritätserfahrungen und Selbstreflexion sowie Perspektivennachvollzug. Diese Priorisierung ist abwechslungsreich und nachvollziehbar. Zu allen acht Punkten wurden Arbeitsblätter erstellt, die mit Aufgaben und Links zu online zugänglichen Let's Play-Videos versehen sind. Die Aufnahme dieser Videos und die Ermutigung, sie im Geschichtsunterricht einzubringen, ist angesichts der teils lästig-komplizierten Beschaffung und Durchführung der Spiele begrüßenswert. Exemplarisch soll auf das Arbeitsblatt zu Personifizierungen eingegangen werden. Ausgehend von dem Spiel "Total War: Attila" wird die Darstellung der Hunnen thematisiert. Dabei werden verschiedenartige Quellen (Beschreibung im Handbuch, Texte der spätantiken Historiker Ammianus und Priskos, Bildquellen, Darstellung einer Historikerin, "Hunnenrede" des Kaisers Wilhelm II.) herangezogen. Die Aufgaben hierzu sind anspruchsvoll: Nach einer Erschließung der Charakterisierung der Hunnen mithilfe der Beschreibung der Spieleentwickler und des Gameplays soll diese Darstellung im Abgleich mit den Text- und Bildquellen beurteilt werden. Anschließend soll unter Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten und Darstellungsabsichten der Quellen die Nennung der "Hunnen" als Vorbild für die deutschen Soldaten durch Wilhelm II. begründet werden. Nun soll unter Beachtung der Materialien nachgewiesen werden, dass das Hunnenbild in Total War "als historische Stereotype aufgreifende, vereinfachte Darstellung (Personifizierung)" (5) aufzufassen sei. Das Arbeitsblatt, welches zu einer intensiven Auseinandersetzung mit stereotypen Bildern und Personifizierungen auffordert, endet nicht damit. Vielmehr wird dieses Phänomen anhand eines weiteren Spiels zum Thema gemacht (Company of Heros II); auch hierzu ist ein Gameplay-Video online einsehbar. Abgeschlossen wird das Arbeitsblatt mit einer Erörterung der These, ob Personifizierungen ein Muss für Computerspiele seien. In dieser Aufgabenfolge ist eine Progression innerhalb der Anforderungsbereiche erkennbar. Dies gilt auch für die anderen Arbeitsblätter. Dieses genaue Eingehen auf das erste Arbeitsblatt soll verdeutlichen, dass die gewählten Materialien und formulierten Aufgabenformate eine ergiebige, gewiss mehrere Unterrichtsstunden in Anspruch nehmende Beschäftigung mit digitalen Spielen ermöglichen. Angesichts der Tatsache, dass in der Ausbildung und Realität der Lehrkräfte die Auseinandersetzung mit digitalen Spielen keineswegs flächendeckend angekommen ist [2], stellt das - in der Reihe übliche - Fehlen von Lösungen zu den Aufgaben sicher eine Hürde für eine "rasche und unkomplizierte Vorbereitung" und für den "direkten Einsatz im Unterricht" (Vorwort des Herausgebers) dar.
Im Anschluss an die Arbeitsblätter wird ein Analyseraster für Spiele im Geschichtsunterricht vorgestellt, wodurch man diverse Aspekte der Medienanalyse (etwa Intention, historischer Sachverhalt oder Gestaltung) fokussieren kann. Es folgt ein Klausurvorschlag, der sicherlich besonders für die Oberstufe infrage kommt. Diese Einschätzung trifft auch auf manches Arbeitsblatt zu: zum einen hat lediglich ein Spiel eine USK ab 6 Jahren, alle anderen sind ab 12 oder 16 Jahren freigegeben bzw. besitzen keine Jugendfreigabe (USK 18) [3], zum anderen sind auch manche Quellen (Texte von Marx und Engels; Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt zum Spiel Wolfenstein 3D) in der Sek I lediglich für leistungsstärkere Lerngruppen geeignet. Gleichwohl ist das Heft Lehrkräften zu empfehlen, welche die Auseinandersetzung mit digitalen Spielen nicht scheuen und selbst bereit sind, ihre Unterrichtsgestaltung unter Inkaufnahme eines sich Hineinarbeitens um diese lohnenswerte Facette zu erweitern. Auch wer die Arbeitsblätter nicht in den regulären Unterricht einbauen möchte, findet gegebenenfalls für Referate und Lernaufgaben nützliche Anregungen.
Anmerkungen:
[1] Im hessischen Kerncurriculum ist für die Einführungsphase das Themenfeld "Römische Republik: aristokratische Dominanz und politische Partizipation" aufgeführt. Siehe KCGO, S. 28.
[2] Siehe hierzu auch die Bemerkungen von Florian Hellberg in seiner Rezension des Heftes: H-Soz-Kult, 11.11.2021, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-97096.
[3] Das Spiel Wolfenstein 3D ist bis 2019 indiziert gewesen. Für in der Spielewelt Unkundige sind die am Ende aufgeführten Alterskennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), https://usk.de/, sicherlich eine erste Orientierung. Gleichwohl sollte sich jede Lehrkraft darüber im Klaren sein, dass die freiwilligen Altersempfehlungen der Industrie im Einzelfall pädagogisch zu hinterfragen sind. Die oben erwähnten Spiele Total War: Attila und Company of Heros II weisen eine USK 12 bzw. 16 auf.
Fuad Alidoust