Wojciech Kozłowski: The Thirteenth-Century Inter-Lordly System. Lordly Identity and the Origins of the Angevin-Piast Dynastic Alliance, Kiel: Solivagus Verlag 2020, 439 S., ISBN 978-3-943025-61-3, EUR 70,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Hans-Jürgen Bömelburg / Andreas Gestrich / Helga Schnabel-Schüle (Hgg.): Die Teilungen Polen-Litauens. Inklusions- und Exklusionsmechanismen - Traditionsbildung - Vergleichsebenen, Osnabrück: fibre Verlag 2013
Eduard Mühle (Hg.): Studien zum Adel im mittelalterlichen Polen, Wiesbaden: Harrassowitz 2012
Katharina Schmidt: Trauma und Erinnerung. Die Historisierung der Mongoleninvasion im mittelalterlichen Polen und Ungarn, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2013
Paul Milliman: 'The Slippery Memory of Men'. The Place of Pomerania in the Medieval Kingdom of Poland, Leiden / Boston: Brill 2013
Eduard Mühle (Hg.): Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen, Berlin: Akademie Verlag 2013
Tomá Klír / Vít Boček / Nicolas Jansens (eds.): New Perspectives on the Early Slavs and the Rise of Slavic. Contact and Migration, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2020
Ivan Hlaváček / Alexander Patschovsky: Böhmen und seine Nachbarn in der Přemyslidenzeit, Ostfildern: Thorbecke 2011
Michael Brauer: Die Entdeckung des 'Heidentums' in Preußen. Die Prußen in den Reformdiskursen des Spätmittelalters und der Reformation, Berlin: Akademie Verlag 2011
Die auf eine an der Central European University in Budapest verteidigte Dissertation zurückgehende Studie möchte eine sehr spezielle Frage klären: Was hat den ungarischen König Karl Robert und den polnischen König Władysław Łokietek dazu veranlasst, im Jahr 1320 eine dynastische Eheverbindung zwischen ihren Häusern zu arrangieren, das heißt durch die Ehe Karls mit Elisabeth, der zweitältesten Tochter Władysławs, eine politische Allianz zwischen den Anjou und den Piasten einzugehen? Um diesem Erkenntnisziel zusätzliches Gewicht zu verleihen, erweitert es der Autor um die Frage, ob die Politik der beiden Protagonisten als Manifestation eines bestimmten "inter-lordly"-Systems bzw. als der bewusste Ausdruck mittelalterlicher 'internationaler Beziehungen' gedeutet werden kann. Indem der Autor dazu seine methodische Inspiration beim angelsächsischen politikwissenschaftlichen Paradigma "International Relations" (IR) sucht, erhebt er aber noch einen weitergehenden Anspruch. Er bezeichnet seine Bemühungen selbst als den wegweisenden Versuch ("pioneering attempt"), "to utilize and adapt the great potential of IR theoretical reflection" (16), um "a more structured picture of the mediveal inter-lordly system" (12) zu entwerfen, als es die Mediävistik bislang anzubieten vermocht habe.
Die Latte ist damit ziemlich hoch gelegt, soll am Ende doch nicht weniger herauskommen als eine umfassende Theorie der mittelalterlichen internationalen Beziehungen ["an explanatory theory of medieval international relations", 12]. Dieses selbstgesteckte Ziel wird nur bedingt erreicht. Denn ungeachtet des in Kapitel 1 [Theorizing International Relations in the Thirtheenth Century, 27-81] und Kapitel 2 [The Structure of the Inter-Lordly System in Thirteenth-Century Latin Christendom, 82-139] ausgebreiteten umfänglichen theoretischen Überbaus und der selbstbewussten Behauptung, eine Arbeit von "experimental character" vorzulegen, die es so bislang nicht gegeben habe (19), bleiben die empirisch erarbeiteten Ergebnisse insgesamt tatsächlich weitgehend konventionell beziehungsweise im Rahmen dessen, was die moderne Mediävistik mit Blick auf die symbolischen, rituellen, kommunikativen Aspekte mittelalterlicher Herrschaft und zwischenherrschaftlicher Beziehungen in den letzten Jahrzehnten vielfach dargelegt hat.
Insofern, als die hoch- und spätmittelalterlichen Reiche des östlichen (Mittel-)Europa in der westsprachlichen Forschung zumeist weniger Beachtung gefunden haben, ist es ausgesprochen begrüßenswert, dass die vorliegende Studie einen guten Überblick über die inner- und zwischenherrschaftlichen Beziehungen des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts im östlichen Mitteleuropa im Allgemeinen und bei den Anjou und Piasten im Besonderen bietet und dazu die modernen mediävistischen Erkenntnisse der ungarischen und polnischen Forschung zugänglich macht. Das geschieht in drei Kapiteln, von denen das erste [Kapitel 3: Determining Lordly Identity - Władysław Łokietek's Case (1260-1320), 140-295] die politischen Verhaltensweisen, Interessen und Motive - kurz die politische Identität - des 1320 zum König eines wiedervereinten regnum Poloniae gekrönten kujawischen Herzogs untersucht, deren Wurzeln, Kontexte und Wirkungen aufzeigt und damit das Agieren des polnischen Herrschers in den Zusammenhang eines "international systems" (293) stellt. Kapitel 4 [Determinig Lordly Identity - Charles I of Anjou in Comparative Perspective (1300-1310), 296-330] stellt in gleicher Weise, wenn auch deutlich knapper, die "lordly identity" des ungarischen Königs Karl Robert im Kontext des Ringens um den ungarischen Thron nach dem Aussterben der Árpáden (1301) vor. Dass in beiden Fällen ein Ergebnis der Untersuchung in der Feststellung besteht, dass die herrscherliche Identität bzw. "culturally prescribed role" (330) der untersuchten Protagonisten darin bestanden habe, "to be and remain a lord" (293) und "to dominate over lands and people" (330), zeigt, dass die theoretisch hoch aufgeladene Studie - die in Kapitel 5 [The Origins of the Angevin-Piast Dynastic Marriage of 1320, 331-412) schließlich auf die Ausgangsfrage zurückkommt und die Hintergründe und Zusammenhänge des dynastischen Eheprojekts von 1320 erörtert - am Ende nicht wirklich so bahnbrechend ausfällt, wie der Autor ankündigt.
Dessen ungeachtet bietet das in einem knappen Resümee (413-416) zusammengefasste Werk einen guten, sehr nützlichen Überblick 1.) über die piastischen Bemühungen um eine Wiedervereinigung des seit dem späten 12. Jahrhundert in eine wachsende Zahl von Teilfürstentümern zerfallenen regnums und deren 'internationale' Absicherung durch Władysław Łokietek, 2.) über die ungarischen Thronfolgekonflikte des ersten Jahrzehnts des 14. Jahrhunderts und den Durchsetzungserfolg Karl Roberts sowie 3.) über das piastisch-angevinische Eheprojekt, das im Grunde eher zufällig und ohne die Basis wirklich intensiver gemeinsamer politischer Interessen auf Drängen Karl Roberts zustande kam. Am Ende bleibt der Eindruck, dass die Studie von einer umfassenderen Rezeption der neueren (nicht zuletzt auch deutschsprachigen) einschlägigen Forschung stärker profitiert hätte als von dem angestrengten Versuch, eine moderne politologische Theorie der Lösung eines mediävistischen Problems zugrundzulegen.
Eduard Mühle