Marko Kreutzmann: Föderative Ordnung und nationale Integration im Deutschen Bund 1816-1848. Die Ausschüsse und Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung als politische Gremien (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 108), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022, 482 S., 16 Abb., 4 Tbl., ISBN 978-3-525-33610-6, EUR 75,00
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"Die Beratungen in den Ausschüssen der Bundesversammlung zeigten aber häufig, dass man sich intensiv mit den jeweiligen Themen auseinandersetzte und darum bemüht war, die verschiedenen Facetten eines Gegenstandes mit Berücksichtigung der gesellschaftlichen Interessen zur Geltung kommen zu lassen und langfristig einer Lösung den Weg zu ebnen. Auf diese Weise hat auch der Deutsche Bund zur politischen Integration und Modernisierung in Deutschland beigetragen." (418) So lauten die Schluss-Sätze des Buches. Der Beitrag des Deutschen Bundes erschöpft sich darin, sich mit drängenden Themen intensiv auseinandergesetzt und sich um eine Lösung bemüht zu haben. D.h. konkret herausgekommen ist nur wenig. Die vernichtende Selbstkritik des "politischen Ausschusses" des Bundestages vom 8. März 1848 - Höhepunkt der Revolution - "muss nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung zu einem großen Teil bestätigt werden." (405), so Kreutzmann in der Zusammenfassung seiner Habilitationsschrift (Universität Jena).
Man könnte es auch so formulieren: Was man immer schon über den reaktionären Charakter des Deutschen Bund wusste, ist von Kreutzmann durch umfangreiche Recherchen wissenschaftlich noch einmal bestätigt worden. Und genau hier liegt das Verdienst der Arbeit. Denn fundierte Arbeiten, wie die Ausschüsse und Kommissionen der Bundesversammlung arbeiteten, mit welchen Themen sie sich beschäftigten und woran viele Initiativen im Einzelnen scheiterten, fehlten bislang fast vollständig. Der Deutsche Bund hat sich vieler Themenbereiche angenommen. Sie betreffen unter anderem Gesetzgebung, Streitigkeiten zwischen Bundesmitgliedern, Abwicklung von Verbindlichkeiten aus dem Alten Reich, Reklamationen, Militärpolitik, Heimatrecht, Urheberschutz, Zensur und Pressefreiheit. Hier hat Kreutzmann vieles erarbeitet, was der Forschung in dieser Detailliertheit nicht bekannt war. Dazu hat er erstmals die Protokolle von ungefähr 200 Bundestagsausschüssen und Kommissionen ausgewertet, so dass sich ein höchst differenziertes Bild der Tätigkeit des Deutschen Bundes ergibt. Auch wenn der Tätigkeit nur wenig Erfolg beschieden war: Untätig war der Bund nicht. Es hätten sich aufgrund seiner Arbeitsweise und seines Bemühens um Interessenausgleich durchaus Entwicklungschancen geboten, den Deutschen Bund in Hinblick auf innere Vereinheitlichung weiterzuentwickeln. Er scheiterte an dem Prinzip der Einstimmigkeit und vor allem an den mannigfachen Vorbehalten Österreichs gegenüber einem Ausbau des Bundes.
Aber nicht nur daran. Die Materie der behandelten Gegenstände war sehr komplex und die Situation in den einzelnen Bundesstaaten sehr unterschiedlich, so dass vereinheitlichende Maßnahmen von vornherein schwer durchzusetzen waren. Die Schwierigkeiten in der Sache für viele Themenbereiche dargestellt zu haben, ist ein weiteres wichtiges Ergebnis der Arbeit.
Dabei hätten sich durchaus Perspektiven ergeben, auf die Kreutzmann auch aufmerksam macht. Der Deutsche Bund war nicht von vornherein auf eine Wendung ins Reaktionäre angelegt und der Nationalstaat, wie er sich dann im Kaiserreich etabliert hat, war nicht die einzige denkbare Lösung der deutschen Frage. Auch Alternativmodelle zu der deutschen nationalstaatlichen Entwicklung, die einer föderativen Ordnung mehr Raum gegeben hätten, gehören zum Fragehorizont von Kreutzmann, ebenso wie heute diskutierte, überstaatliche Ordnungsmodelle (z.B. Europäische Union).
Zu all dem wies der Deutsche Bund ebenfalls Ansätze auf, auch Ansätze zu einer weiter gehenden Institutionalisierung über die Form eines bloßen Gesandtenkongresses hinaus. Entwicklungsmöglichkeiten hat es viele gegeben. Der Deutsche Bund war von seiner Verfassung offener angelegt als gemeinhin angenommen. Auch dies ist ein Ergebnis der Untersuchungen von Kreutzmann.
Souveränitätsbewusstsein der Einzelstaaten und die Schwierigkeit in der Sache kamen nicht zuletzt auch auf der Ebene staatlicher Symbole zum Ausdruck, die immer politisch höchst sensibel sind. Als es darum ging, welches Wappen die neu gebauten Bundesfestungen Rastatt und Ulm tragen sollten, konnten man sich nach langem Hin und Her, welches Kreutzmann aufs Sorgfältigste untersucht hat, trotzdem nicht einigen. Der heftigste Widerstand ging dabei von den Regierungen Bayerns und den Niederlanden aus, die über die Personalunion mit Luxemburg - ebenfalls Sitz einer Bundesfestung - im Deutschen Bund vertreten waren. Welches Wappen auf einer Festung in Luxemburg, dessen Herzog der König der Niederlande ist, und welches Wappen auf der Bundesfestung in Ulm, die Bundesstaatsgrenzen überschreitend mit Neu-Ulm in Bayern und der Altstadt Ulm in Württemberg liegt: Verwickelter kann es fast nicht mehr gehen. Das Kapitel über "Bundeswappen und Bundesfarben" mag stellvertretend für viele andere stehen. Es ist fast vollständig aus erstmals ausgewerteten Quellen geschöpft und behandelt die so gut wie die noch nie behandelte symbolische Repräsentation des Deutschen Bundes.
Nur wenigen Vorhaben des Deutschen Bundes war Erfolg beschieden. Sieht man von Repressionsmaßnahmen ab, so stellt der Urheberrechtsschutz eine Ausnahme dar. Allerdings war dies "der einzige Erfolg des Deutschen Bundes im Bereich der zivilen Rechtsvereinheitlichung bis 1848". (304)
Das schmälert jedoch nicht den Wert der Arbeit. Marko Kreutzmann untersucht mit großer Akribie die Fülle der Vorgänge, die in den Ausschüssen und Kommissionen des Deutschen Bundes behandelt werden und zeichnet ein genaues Bild ihrer Arbeitsweise. Er bestätigt zwar das allgemeine negative Urteil über den Deutschen Bund vor 1848, aber erstmals auf der Basis detaillierter Auswertung hauptsächlich der gedruckten Bundestagsprotokolle, die bislang allenfalls randweise einer Auswertung unterzogen wurden. Das Urteil über den Deutschen Bund hat an Komplexität gewonnen.
Manfred Hanisch