Klaus Pabst: Die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde (1881-1981). Trägerschaft, Organisation und Ziele in den ersten 100 Jahren ihres Bestehens. Aktualisierung und Redaktion: Stephan Laux (= Studien und Darstellungen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; Bd. 1), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022, 288 S., 46 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-52154-7, EUR 29,00
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Das Buch des inzwischen seinem 90. Lebensjahr entgegen gehenden Verfassers hat seine ganz eigene Geschichte. Begonnen im weiteren Vorfeld des 100. Geburtstags der "Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde" (GRGK) (1981), wurde ein Teilmanuskript "nach einigen Jahren" vorgelegt, ehe andere Verpflichtungen des Autors seine Fertigstellung verzögerten; dann kam der Einsturz des Kölner Stadtarchivs mit seinen einschlägigen Aktenbeständen dazwischen, der den Abschluss auf nicht absehbare Zeit verschob. Am Ende drängten maßgebende Mitglieder des Vorstands der GRGK, zumindest das vorhandene Manuskript zum Druck zu bringen, natürlich erst, wenn es von dritter Seite aktualisiert und redigiert worden wäre. Dieser Aufgabe hat sich der Trierer Landeshistoriker Stephan Laux unterzogen.
Insofern kann es nicht erstaunen, dass das aus dem Teilmanuskript der 1980er-Jahre hervorgegangene Buch nicht allen Erwartungen gerecht werden kann. Aber das, was es liefert, ist aller Ehren wert. Im Kern ist es eine Organisationsgeschichte der Gesellschaft, die gleichwohl aber auch wissenschaftsgeschichtlich von Interesse ist und manches Licht auf die regionale Sozialgeschichte kultur- und wissenschaftsnaher Schichten von Industriellen, Kaufleuten, Gutsbesitzern und Adligen wirft.
Das Buch setzt ein mit einer - vielleicht etwas zu breit geratenen - Übersicht über die verschiedenen Ansätze landesgeschichtlicher Forschung nach den sogenannten Befreiungskriegen, wobei der Verfasser den Monumenta Germaniae Historica ein besonderes Augenmerk widmet, weil sie im Verlauf der Vor- und Frühgeschichte der GRGK immer wieder als Referenzpunkt genannt wurden. Bevor sich die GRGK 1881 endgültig konstituierte, hat es neben vielen lokale Aktivitäten, "Geschichte" zu organisieren, die ersten Versuche gegeben, auch für einen größeren Raum, den der damaligen Rheinprovinz, eine mit wissenschaftlichen Ansprüchen auftretende Einrichtung ins Leben zu rufen, die zugleich anspruchsvolle Quelleneditionen betrieb als auch eine breite gesellschaftliche Resonanz fand.
Ein von protestantisch-liberaler Seite ausgehender Gründungsversuch des bedeutenden Industriellen und Bankiers Gustav von Mevissen und des Bonner Historikers Heinrich von Sybel 1868 scheiterte zwar, aber Mevissen ließ nicht locker, zumal er in dem jungen, aus Sachsen stammenden Karl Lamprecht einen neuen Partner fand, der sich voll Enthusiasmus dem Vorhaben der Gründung einer ambitionierten Publikationsgesellschaft verschrieb und eine Unzahl von Satzungsentwürfen und Programmplänen vorlegte, die in modifizierter Form in die endgültigen Gründungsdokumente von 1881 einflossen. Neben Lamprecht spielten aber auch der Kölner Stadtarchivar Konstantin Höhlbaum und der Bonner Neuzeitprofessor Wilhelm Maurenbrecher bei der Konstituierung der Gesellschaft eine maßgebliche Rolle, übrigens durchaus kontrovers, wenn es etwa um ihren Sitz - Bonn oder Köln - ging oder um das Mandat der Nicht-Historiker. Die Konstruktion, auf die man sich 1881 verständigte (und die man dann auch nicht mit dem Namen "Historische Kommission" bedachte), war originell, weil neben den Wissenschaftlern noch andere (finanzkräftige) bürgerliche und adlige Gruppen unter ihrem Dach vorgesehen waren: "Stifter", die sich mit einem einmaligen (höheren) Betrag "einkauften", und "Patrone", meist dem Kaufmannstand angehörende Einzelpersonen, Adlige, aber auch Kommunen, Landkreise und andere Körperschaften, die einen Jahresbeitrag entrichteten. Mevissens Grundidee war, die "Gesellschaft" auf eine so solide wirtschaftliche Basis zu stellen, dass sie von staatlichen Zuschüssen unabhängig wäre. Mit der Wahl eines Vorstands und der Bestätigung eines Gelehrtenausschusses im Sommer 1881 wurde die Gründungsphase abgeschlossen.
Die Satzung ist in den nachfolgenden Jahrzehnten mehrfach verändert worden, am gravierendsten natürlich 1935, als die GRGK nach dem "Führerprinzip" umorganisiert wurde, wie sie ohnehin in Repräsentanten und Themen ihrer Publikationen eine deutliche Nähe zum NS-Staat entwickelte und manche staatlichen Auflagen in vorauseilendem Gehorsam antizipierte. Reibungsverluste ergaben sich anfangs zwischen dem "Gelehrtenausschuss" und dem Vorstand der "Patrone", bis 1886 die beiden Vorstände in ein einziges Gremium überführt wurden, in dem nach Gründung der Universität zu Köln dann auch - nicht ohne Widerstand der Bonner - Professoren der Kölner Universität aufgenommen wurden: die üblichen Kleinkriege, wenn es um Einfluss, um Positionen, letztlich also um "Macht" ging, wobei die konfessionellen Gegensätze lange ausgesprochen virulent blieben. Während der Vorstandsvorsitzende zunächst eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens blieb - meist der Kölner Oberbürgermeister -, wurde die eigentliche wissenschaftliche und organisatorische Arbeit von den stellvertretenden Vorsitzenden geleistet, die der Verfasser sehr gekonnt mit einigen wenigen Strichen zu charakterisieren versteht: Joseph Hansen etwa, der dann selbst Vorsitzender wurde, und Gerhard Kallen, der ebenfalls (1928) Vorsitzender wurde, insgesamt wohl der problematischste in der Geschichte der GRGK, und dann die Direktoren des Bonner Instituts für geschichtliche Landeskunde, die seit Franz Steinbach gewissermaßen institutionell die Funktion des Stellvertreters innehatten.
Pabst verfolgt darüber hinaus die nachgeordneten Ämter im Vorstand und die institutionellen Vertreter im Vorstand, die sich wie eine Art Vademecum der rheinischen Wissenschafts-, Beamten- und Wirtschaftsgeschichte lesen, mit größter Akribie, wobei er auch die Vertreter kleinerer Fächer wie der Kunstgeschichte (Paul Clemen) und der Wirtschaftsgeschichte (Bruno Kuske) angemessen würdigt und den Leitern der großen rheinischen Archive, die von Amts wegen dem Vorstand angehörten, alle Aufmerksamkeit zuwendet. Weiterhin geht der Verfasser der praktischen Arbeit nach, den Fachkommissionen, den Jahresversammlungen mit dem obligatorischen öffentlichen Vortrag (in der Regel, aber nicht immer, eines Mitglieds). Sozialgeschichtlich interessant sind die Erhebungen zu den "Stiftern" und den (an Zahl dramatisch zurückgegangenen und nach 1918 auch keine Hochadligen mehr verzeichnenden) "Patronen" sowie den (auf Vorschlag des Vorstands kooptierten) "Mitgliedern", die auch mit Tabellen einsichtsvoll veranschaulicht werden. Schließlich und nicht zuletzt widmet sich das Buch den (besoldeten) Wissenschaftlichen Mitarbeitern der Gesellschaft, an deren Spitze - chronologisch gesehen - Georg von Below steht, deren Zahl vor dem Ersten Weltkrieg bereits die 30 überschritt, dann aber (Kriege, Wirtschaftslage u.a.) doch wieder massiv zurückging und diese Zahl bis 1981 nie mehr erreichte.
Das System der zahlungskräftigen Stifter und der regelmäßig zahlenden Patrone war gut durchdacht, machte die Gesellschaft aber doch nicht völlig unabhängig von staatlichen Zuschüssen, die zu leisten die Berliner Behörden sich allerdings schwer taten. Aber in der Provinzialverwaltung und dem Landtag und nach dem Zweiten Weltkrieg im Landschaftsverband Rheinland hatte sie doch meist Partner, die ihr bei Publikationsvorhaben zur Seite standen.
Pabst hat - vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Umstände - eine lesenswerte, durch archivalische Quellen bestens unterfütterte Organisationsgeschichte einer der großen regionalen Forschungseinrichtungen vorgelegt, die über die Träger, die Gremien und den administrativen Ablauf der Geschäfte erschöpfend Auskunft gibt und auch sozial- und wissenschaftsgeschichtlich von Interesse ist. Was fehlt, ist vor allem eine Darstellung der wissenschaftlichen Aktivitäten, der Publikationen, zu denen man das eine und andere erfährt, das aber einer zusammenfassenden Analyse bedarf. Und es fehlt, obwohl dies und jenes anklingt, der Vergleich mit entsprechenden anderen regionalen Organisationen, die sich zeitgleich meist - ohne zum Beispiel das Institut der Stifter - in der Form von Historischen Kommissionen realisierten.
Einige wenige Ausstellungen: Dass der "bereits 95-jährige Leopold von Ranke" 1881 mit einer Denkschrift der im Entstehen begriffenen GRGK bedacht wurde, wird ihn erfreut haben: aber er war "erst" 85 Jahre alt. Der Ranke-Schüler, der in Münster zu Hansens akademischen Lehrern gezählt hatte, hieß Theodor Lindner, nicht Linder. Offenbar ist das Personenregister nicht ganz zuverlässig; den verschiedentlich erwähnten Bonner Archivar Dietrich Höroldt habe ich jedenfalls dort nicht gefunden.
Heinz Duchhardt