Städtische Museen Freiburg / Beatrix Hoffmann-Ihde (Hgg.): Freiburg und der Kolonialismus. Gestern? Heute?, Dresden: Sandstein Verlag 2022, 296 S., ISBN 978-3-95498-688-0, EUR 38,00
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Hannimari Jokinen / Flower Manase / Joachim Zeller (Hgg.): Stand und Fall. Das Wissmann-Denkmal zwischen kolonialer Weihestätte und postkolonialer Dekonstruktion, Berlin: Metropol 2022
Silke Hensel / Barbara Rommé (Hgg.): Aus Westfalen in die Südsee. Katholische Mission in den deutschen Kolonien, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2018
Natalie Bayer / Mark Terkessidis (Hgg.): Die postkoloniale Stadt lesen. Historische Erkundungen in Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin: Verbrecher Verlag 2022
Wie werden temporäre Ausstellungen zur kolonialgeschichtlichen Aufarbeitung einer Stadt dokumentiert, wie werden die gewonnenen Erkenntnisse gesichert und veröffentlicht? In den meisten Fällen zeugen ausschließlich Presseberichte oder auszugsweise Dokumentationen der Ausstellungstexte davon. Der in diesem Forum besprochene Begleitband zu einer Ausstellung im Stadtmuseum Münster hält die generierten Erkenntnisse in Aufsatzform fest. In der Form eines Ausstellungskataloges ist das vorliegende Werk das Ausführlichste, das bisher im deutschsprachigen Raum zu einer kolonial gewendeten Stadtgeschichte veröffentlicht wurde.
Der opulente Ausstellungsband wartet in jedem seiner sieben Kapitel nicht nur mit prägnanten Einführungsessays auf, sondern widmet sich jeweils in einer Abbildungssektion einzelnen Objekten und Abbildungen. Abgerundet wird jedes dieser Kapitel durch meist vier Kurzbiographien von Sammler:innen, die für den Aufbau der themenbezogenen Bestände in Freiburg maßgeblich waren. Bei diesen Lebensskizzen ist auch die agency von Frauen (Antonie Thawka Brandeis und Lotharia Müller, 42) und Angehörigen unterer Schichten (etwa der Bauernsohn und Matrose Robert Wilhelm Beirer, 170) berücksichtigt.
Fünf Kapitel widmen sich in bewährter Gliederung den Hauptthemen des kolonialistischen Spektrums einer Stadt, kurz formuliert: Mission, Krieg, wirtschaftliche Ausbeutung, Wissenschaft und Propaganda. Drei besonders aussagekräftige und innovative Kapitel seien dabei herausgehoben: Beatrix Hoffmann-Ihde bringt in ihren Ausführungen zu "Freiburg und christliche Mission" den Kulturkampf im frühen Kaiserreich zur Sprache (47), der in der ehemals vorderösterreichischen Stadt eine besondere Rolle spielte und grundsätzliche Auswirkungen auf die staatlicherseits mitgeplanten Missionsunternehmungen in den deutschen Kolonien hatte. Die desgleichen oftmals übergangenen wirtschaftlichen Vergünstigungen der Missionsinstitutionen kommen ebenfalls nicht zu kurz (49). In der Einführung zu europäischer Expansion und Kolonialkrieg gelingt es Susanne Kuß, auf wenigen Seiten das diskursive Terrain methodisch sauber und dennoch verständlich abzustecken. Die zentrale Salzwasserthese wird dabei ebenso referiert wie der frühneuzeitliche Kolonialdiskurs in Spanisch-Amerika - ein Erfahrungshintergrund, der bei der Fixierung auf die deutschen Kolonien zu Unrecht oftmals vergessen wird (81f.). Auch notwendige Schattierungen kommen zur Sprache, beispielsweise: "Es gab nicht 'den' Kolonialismus, sondern zeitlich und räumlich jeweils unterschiedliche Konstellationen, die sich nur aus dem Zusammenspiel von regionalen, transnationalen und globalen Entwicklungen erklären lassen" (83). Heiko Wegmanns Analysen zu den "Aktivitäten kolonialistischer Vereine und Netzwerke in Freiburg" sind ein zuverlässiger Überblick zum prokolonialen Vereins- und Tätigkeitsspektrum, der überregionale Aussagekraft besitzt und dementsprechend auch eine gewichtige Anregung für andere Städte im deutschsprachigen Raum darstellt.
Der nach den eigentlichen thematischen Kapiteln abschließende Teil zu "Partizipation als Methode postkolonialer Ausstellungspraxis" (Einführung von Beatrix Hoffmann-Ihde) bringt mit der Frage nach Beteiligung auf den Tisch, was oft gefordert wird und (bislang) selten gelingt. Kurzum: Hier gelingt es, und zwar nicht als theoriesattes Trockenschwimmen, sondern unprätentiös und packend als best-practice-Beispiel. Ein Element von vielen, die über den gesamten Band verstreut sind: Eine Fotografie, die durch Schenkung 1995 an das Adelhausermuseum für Natur- und Völkerkunde kam und "OvaHerero-Frauen in traditioneller Lederbekleidung" darstellt. Die jungen Frauen sind teils ohne Oberbekleidung gezeigt, man weiß nichts darüber, unter welchen Umständen (und wie freiwillig) das Foto entstand - darf man solch ein Objekt zeigen? Es wird im Katalog gebracht und zweifach kontrovers diskutiert, von einer Freiburger Studentin und von namibischen Projektpartner:innen; pro und kontra, die interne Debatte bleibt nicht hinter den Kulissen.
Die zahlreichen Objekte selbst lassen sich querliegend zu den Großthemen in verschiedene Kategorien einordnen. Eine (zu) kleine Kategorie bezieht sich auf einen spezifischen Freiburger Kontext, in dem das Objekt als solches gefasst und ausführlich erkannt und beschrieben wird - besonders eindrücklich etwa eine "Benin-Bronze" (32f.) und ein Blechschild der Dienststelle des Reichskolonialbundes, Kreisverband Freiburg (233). Eine ganze Reihe von kolonialismusbezogenen Objekten stammt aus Freiburger Beständen, doch dienen diese eher als Aufhänger für Wissenswertes - zweifelsohne notwendig für den Kontext, aber letztlich nur oberflächlich objektbezogen. Beispielsweise steht die aus Ton, Gips und Textilien angefertigte Figur eines Gurkha-Soldaten für die Rekrutierung nepalesischer Soldaten für das Britische Empire. Nichts über die Größe des Objekts und den möglichen Gebrauch, doch wird man innerhalb von neun Zeilen im Galopp zum "Afrikanischen Jahr" 1960 geführt. Vielleicht wäre hier weniger mehr gewesen. Eine letzte, glücklicherweise sehr kleine Kategorie besteht gar aus Passepartout-Objekten, die völlig ohne Freiburger Bezug funktionieren und beliebig eingesetzt werden können, wie etwa das Usambara-Veilchen (17) und Jagdfotografien (158).
Die ungleiche Spezifität der Objekte schmälert die Aussagekraft des empfehlenswerten Bandes keineswegs. Er zeigt, dass Freiburg ein bemerkenswerter Beispielfall für den Kolonialismus ist - nicht als Kolonialmetropole im engeren Sinne, sondern dafür, dass das Interesse der Stadtöffentlichkeit und ein kontinuierliches Erkenntnisinteresse verschiedener Institutionen, zivilgesellschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen beeindruckende Ergebnisse zur Allgemeingültigkeit kolonialistischer Phänomene erbringen kann.
Fabian Fechner