Meike Hensel-Grobe / Heidrun Ochs (Hgg.): Geschichtsdidaktik Update. Aktuelle geschichtsdidaktische Forschungsansätze der Early Career Researchers (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik; Bd. 26), Göttingen: V&R unipress 2022, 210 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-1419-2, EUR 40,00
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Uta Fenske / Daniel Groth / Klaus-Michael Guse / Bärbel P. Kuhn (Hgg.): Kolonialismus und Dekolonisation in nationalen Geschichtskulturen und Erinnerungspolitiken in Europa, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2015
Peter Schulz-Hageleit: Alternativen in der historisch-politischen Bildung. Mainstream der Geschichte: Erkundungen-Kritik-Unterricht, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014
Christian Heuer / Manfred Seidenfuß (Hgg.): Problemorientierung revisited. Zur Reflexion einer geschichtsdidaktischen Wissensordnung, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2020
Heidrun Ochs: Geschichtswissenschaftliches Schreiben lehren, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2016
Meike Hensel-Grobe: Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues. Studien zur Stiftung des Cusanus und seiner Familie (15.-17. Jahrhundert), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007
Eine wissenschaftliche Disziplin hat immer auch die Aufgabe, Wissenschaftler*innen in der Qualifizierungsphase unterschiedliche Diskussions- und Vernetzungsforen zu bieten, die sowohl als inhaltliche und methodische Unterstützung auf diesem Weg als auch als Forum für die Reflexion und Weiterentwicklung des Fachdiskurses verstanden werden können. Insofern können die Promotions- und Habilitationsprojekte auch als Seismograf der Entwicklung einer Disziplin interpretiert werden. Dafür spricht auch der Titel des hier zu besprechenden Bandes: "Geschichtsdidaktik Update. Aktuelle geschichtsdidaktische Forschungsansätze der Early Career Researchers." Versammelt sind Beiträge der zehnten ECR-Tagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik, die 2020 coronabedingt digital und nicht wie vorgesehen an der Universität Mainz stattfand. Der Band ist in vier Hauptkapitel gegliedert, wobei erstens Theoriekonzepte, zweitens Geschichtsunterricht und Lehrkräfte, drittens historische Narrationen von Schüler*innen und viertens hochschuldidaktische Perspektiven im Fokus stehen. Trennscharf ist diese Gliederung nicht, vielmehr liegen die Begriffe auf ganz unterschiedlichen Ebenen, denn nicht nur werden in allen Beiträgen Theoriekonzepte zur Diskussion gestellt, es sind auch die Beiträge aus den anderen Kapiteln alle empirisch. Eine überzeugende Struktur des Diskurses wird damit nicht angeboten, ist aber auch bei den sehr unterschiedlichen Beiträgen kaum zu leisten. Vielmehr zeigen sich auch unerwartete, dafür aber umso interessantere Querverbindungen zwischen den Ansätzen.
Unter der Überschrift "Theoriekonzepte in der Diskussion" sind drei Beiträge versammelt: So formuliert Philipp McLean das Ziel, historisches Lernen als eine eigensinnige und reflexive Aneignung von Geschichtskultur zu definieren und den Begriff der Mündigkeit für die Geschichtsdidaktik weiter zu klären und fruchtbar zu machen. Ruth Fiona Roll setzt sich mit den im geschichtsdidaktischen Diskurs häufig verwendeten Begriffen der "Reflexivität, Reflexion und Selbstreflexivität" auseinander und zeigt an diesen, wie stark die damit verbundenen Konzepte im Detail umstritten sind. Beide Ansätze haben aber auch große Überschneidungen. Philipp Bernhard formuliert schließlich vier "postkoloniale Claims" für den Umgang mit Kolonialgeschichte. Nicht zuletzt im Vergleich wird dabei auch deutlich, wie stark mit diesen Theoriekonzepten normative Perspektiven diskutiert werden, auch wenn dies kaum explizit benannt wird.
Im zweiten Hauptkapitel "Geschichtsunterricht und Lehrkräfte im Fokus" stellt Helene Bergmann eine Studie und erste Ergebnisse zu den Effekten differenzieller Leseunterstützung bei der Textarbeit historischen Lernens vor. Tobias Flink untersucht das Verständnis von Lernenden zum historischen Erklären, das er im Rahmen einer Interventionsstudie erhoben hat, die hier aber nicht weiter thematisiert wird. Lisa Genthner untersucht schließlich, inwiefern Lehrkräfte eine Ergebnisoffenheit bei der Urteilsbildung im Geschichtsunterricht umsetzen.
Im dritten Kapitel "Schüler*innenerzählungen in der Analyse" stellt Marie Hohmann ihre Studie zum deutsch-französischen bilingualen Geschichtsunterricht vor, in dem sie Schüleressays zur Französischen Revolution untersucht. Lukas Greven untersucht Formen des forschend-entdeckenden historischen Lernens in Beiträgen zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten in einer retrospektiven Längsschnittstudie. Er macht dabei deutlich, dass die re-konstruktiven Zugänge dominieren, de-konstruktive Aussagen zu historischen Narrationen hingegen deutlich seltener vorkommen.
Im abschließenden vierten Kapitel "Hochschuldidaktische Perspektiven" stellt Jessica Kreutz in aller Kürze vier quantitative Studien zu Kohärenzen der geschichtsdidaktischen Anteile in den Lehramtsstudiengängen vor. Schließlich präsentiert Burghard Barte eine Befragung von Studierenden, die mit Blick auf die Strukturen historischen Wissens analysiert wird. Während der Beitrag von Kreutz explizit hochschuldidaktisch ist, geht Barte einer grundlegenden Frage nach, die nur anhand von Studierenden untersucht wird.
Insgesamt liegt ein breites Kaleidoskop interessanter Beiträge vor, die durchaus als typisch für unterschiedliche Perspektiven und Schwerpunktsetzungen der Geschichtsdidaktik verstanden werden können. Dabei ergeben sich manche interessanten Querverbindungen, wenn etwa nach der Offenheit bei der Urteilsbildung (Genthner) gefragt und eine eigensinnige Aneignung (McLean) gefordert werden. Mehrere Arbeiten beziehen sich zudem auf ein Konzept historischen Lernens, das im Modus der Re-Konstruktion historischer Narrationen daherkommt (sowohl bei Hohmann und Greven als auch bei Flink und Genthner), so dass sich auch auf dieser Ebene die Dominanz des re-konstruktiven Zugriffs vor der analytischen De-Konstruktion historischer Narrationen zeigt. Hier spiegelt sich in der wissenschaftlichen Debatte ein Ergebnis der Schülerleistungen, die Greven erhoben hat. Wenn danach gefragt wird, wie sich Jugendliche mit den historischen Orientierungsangeboten in der Geschichtskultur auseinandersetzen, dann wird der Bedarf an empirischen Studien zur De-Konstruktion solcher Narrationen sichtbar.
Bemerkenswert ist ferner die Dominanz empirischer Projekte bei den Qualifikationsarbeiten. Dies ist auch ein Ausdruck dafür, dass die empirische Wende weit vorangeschritten ist und sich viele Geschichtsdidaktiker*innen um die erfahrungsgesättigte Fundierung theoretischer Konzepte bemühen. Positiv hervorzuheben ist in vielen Arbeiten ein ausgeprägtes Methodenbewusstsein. Dabei fällt allerdings auch auf, dass vielfach als Auswertungsmethode ganz unterschiedlicher Daten die Qualitative Inhaltsanalyse gewählt wird. Diese Methode eignet sich zur Reduktion von Komplexität großer Datenmengen und ist dafür auch sinnvoll einzusetzen. Nachdenklich stimmt diese Dominanz einer Auswertungsform aber, weil sie nur das explizit Gesagte in den Fokus rückt und alles Latente oder Implizite (Zwischentöne, Andeutungen und Ambivalenzen) ausklammert, die doch gerade bei historischen Narrationen von hoher Relevanz sind. Zu fragen ist also, welche blinden Flecken durch diese methodische Zuspitzung erzeugt werden. Alles in allem bietet der Band einen guten Überblick über den aktuellen Stand geschichtsdidaktischer Qualifikationsarbeiten und den dabei bevorzugten Forschungsmethoden. Dass einige Beiträge noch Entwicklungspotenzial aufweisen, wie z.B. im Hinblick auf die Stimmigkeit von Fragestellung, Erhebungs- und Auswertungsmethode, liegt in der Natur einer Nachwuchstagung.
Johannes Meyer-Hamme