Julia Bloemer: Empirie im Mönchsgewand. Naturforschung in süddeutschen Klöstern des 18. Jahrhunderts (= Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit; Bd. 22), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022, 276 S., 14 Farb-, 9 s/w-Abb., 11 Tbl., ISBN 978-3-525-31142-4, EUR 65,00
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Wissenschaftliche Forschung ist meist an Universitäten institutionalisiert. Vor der Säkularisation wirkten in katholischen Territorien auch zahlreiche Klöster als außeruniversitäre Forschungseinrichtungen avant la lettre und zwar längst nicht nur in einer Konzentration auf (naheliegende) philosophisch-theologische Themen oder Aspekte der Geschichtsschreibung. Nicht wenige Klöster verfügten auch über kostspielige instrumentelle Sammlungen, mit deren Hilfe vor allem Physik, Astronomie und das Wetter erforscht wurden.
Vor diesem Hintergrund untersucht Julia Bloemer in ihrer im Sommersemester 2021 an der Ludwig-Maximilians-Universität München bei Prof. Dr. Kärin Nickelsen verteidigten Studie die Interaktion von Mönchtum und Naturforschung im Kontext süddeutscher Klöster des 18. Jahrhunderts. Es geht Bloemer um die "Bedingungen von Wissensproduktion jenseits von Erkenntnisfortschritt" (12), im Zentrum der Untersuchung stehen folglich die Lebens- und Forschungspraktiken von Gelehrten in Klöstern. Um die Verbindung insbesondere der experimentellen Naturlehre mit Astronomie als angewandter Mathematik zu verdeutlichen, wählt sie den Begriff des "Naturforschers", um die von ihr untersuchte Personengruppe zu charakterisieren: Es geht um "monastische Naturforscher [...], die sich mit mathematisch-physikalischen Instrumenten beschäftigten und in den Bereichen von Physik und Astronomie forschten" (252).
Der Zugriff erfolgt über drei Themenkomplexe: Im ersten Abschnitt (39-118) behandelt Bloemer die Strukturen, in denen sich monastische Naturforschung im 18. Jahrhundert vollzog. Als Beispiel wird die vernetzte Wetterbeobachtung, organisiert durch Vorgaben der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, gewählt. Für klimatische Beobachtungen waren Wetterbeobachtungsposten notwendig, für die die Klöster qua institutionem geeignet schienen: Sie boten "finanzielle Absicherung, Ortsstabilität sowie Kontinuität und Datenfülle durch die Klostergemeinschaft" (116-117). Um diese Forschung besser zu unterstützen, passten die Klostergemeinschaften mitunter ihre Tagesabläufe an. Bloemer sieht darin einen Ausdruck der Bedeutungsverschiebung zugunsten von Gelehrsamkeit gegenüber dem Gottesdienst.
Den zweiten Abschnitt widmet Bloemer im Rahmen der "Naturforschung im Observatorium" (119-174) der konkreten Forschungspraxis: Wie wurde geforscht? Sie zeigt auf, dass die klösterlichen Instrumentensammlungen und Forschungsgebäude wie Sternwarten die Voraussetzungen für naturwissenschaftliche Forschungen waren. Mindestens 53 Klöster im süddeutschen Raum besaßen mathematisch-physikalische Instrumentensammlungen mit Teleskopen, Sextanten und anderem technischen Gerät. Andernteils geht es auch um die Räume - Klosterobservatorien in Lambach, St. Emmeram in Regensburg, Prüfening, Indersdorf, Rottenbuch, Ochsenhausen und Rott am Inn und das einflussreiche Kremsmünster in Oberösterreich werden als Beispiele angeführt. Bloemer kann nachzeichnen, wie abhängig Naturforscher von ihren Institutionen und den darin bestehenden Hierarchien waren, wollten sie Instrumente anschaffen oder nutzen, von der Errichtung von Forschungsbauten wie Sternwarten mit ihrem repräsentativen Charakter gar nicht zu reden (154-155). Etwas tragikomisch muten die Leiden des Prosper Goldhofer (1709-1782) an, der sich in Kloster Polling um hochwertige Instrumente zur Beobachtung und Vermessung des Venustransits vom 6. Juni 1761 bemühte. Diese wurden auch durch den Prälaten bewilligt und mit mehreren Jahren Vorlauf aus Frankreich angeschafft. Doch als es soweit war, wollte der Prälat des Klosters lieber selbst das wertvolle Teleskop nutzen und überließ dem kompetenteren Naturforscher Goldhofer ein älteres, zudem auch noch defektes Instrument. Die Rüge für die sich daraus ergebenden ungenauen Messdaten durch einen französischen Mitbruder musste Goldhofer selbst einstecken (126-131). Bloemer untersucht ferner die Kommunikationsräume, die Klostergelehrten zur Verfügung standen. Deutlich wird, dass die Kommunikationswege einerseits stark von den Strukturen ihres Klosters und ihres jeweiligen Ordens abhängig waren - einer der Gründe, dass die monastischen Naturforscher nur begrenzten Anschluss an die Gelehrtenrepublik fanden (252).
Der letzte inhaltliche Abschnitt widmet sich der "Naturforschung vor Publikum" (175-232). Hier interessiert sich Bloemer vordergründig für die Vermittlung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse an das zeitgenössische "Publikum" (178). Dargestellt wird dies anhand der quellenmäßig gut fassbaren Praxis des Gewitterschießens, mit dem diese extreme Wetterlage beeinflusst werden sollte, und davon abgeleiteter Forschungsprojekte monastischer Naturforscher. Eine wichtige Erkenntnis Bloemers ist, dass die Ergebnisse monastischer Naturforschung meist über Briefe oder in unmittelbarer Präsentation mitgeteilt wurden. Dass neuere Vermittlungsformate wie Zeitschriftenartikel seltener benutzt wurden, trug weiter dazu bei, dass die Klostergelehrten in der öffentlichen Wahrnehmung marginalisiert waren. Bloemer zeigt, dass den monastischen Naturforschern auf dem Land bzw. in der Peripherie das höfische Publikum fehlte und sie damit meist nicht als Personen mit relevantem Fachwissen, nicht als Experten wahrgenommen wurden (231).
Zum Schluss entwickelt Bloemer eine Synthese ihrer Ergebnisse (233-253), wobei sie nochmals die "spezifische Wissenschaftskultur mit einer starken Binnen-Zentrierung" (235) hervorhebt, die im monastischen Umfeld verhaftet blieb. Die monastische Naturforschung war stark von den Strukturen der jeweiligen geistlichen Orden geprägt (etwa im Hinblick auf mögliche Kommunikationsräume) und der jeweiligen Klostergemeinschaft, der sich der Naturforscher vor Ort einzuordnen hatte (243). Bemerkenswert ist, dass das Verschwinden klösterlicher Wetterbeobachtung in Bayern erst durch den Aufbau eines Metereologischen Dienstes ab 1878 wieder ausgeglichen werden konnte (250-251). Zudem erscheint monastische Naturforschung in der in der Studie beschriebenen Form als eine Besonderheit des süddeutschen Raums (253).
Bloemer unterbreitet eine gut recherchierte und lesbare Studie. Die Untersuchung ist schlüssig gegliedert und vermittelt einen guten Einblick in die Zusammenhänge zwischen Forschungspraxis und klösterlichen Instrumentensammlungen. Die Verfasserin geht bei der Auswertung sehr sorgfältig vor. So werden Begrifflichkeiten meist mit Bedacht verwendet, wie Bloemer etwa bei der Diskussion um die "Öffentlichkeit" und damit zusammenhängender Begriffe wie "Publikum" unter Beweis stellt (174-180). Etwas vage hingegen bleibt der Begriff "süddeutsch" (20), weil hauptsächlich Kurbayern und die angrenzenden Hochstifte untersucht werden. Über die Situation in katholischen Gebieten etwa des Breisgaus, auf der Schwäbischen Alb oder in Österreich erfährt man jedoch lediglich im Einzelfall etwas (z.B. 151). Bloemers Untersuchung reiht sich auch in verschiedene Arbeiten der vergangenen Jahre, die die Bedeutung von kulturellen, wissenschaftlichen und ökonomischen Leistungen in katholischen Ländern gegenüber protestantischen betonen. [1] Mit ihr liegt eine ausgezeichnete Studie vor, die Licht in ein bisher zu wenig erforschtes Thema frühneuzeitlicher Wissenschaftsgeschichte bringt.
Anmerkung:
[1] Im kulturellen Bereich etwa Reinhart Meyer: Norddeutsche Aufklärung versus Jesuiten, in: Jenseits der Diskurse. Aufklärungspraxis und Institutionenwelt in europäisch komparativer Perspektive, hg. von Hans Erich Bödeker / Martin Gierl, Göttingen 2007, 99-132.
Andreas Becker