Robert Foltin: Die Linke in Österreich. Eine Einführung (= kritik & utopie), Wien: Mandelbaum 2023, 237 S., ISBN 978-3-99136-500-6, EUR 14,00
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Die Reihe "Kritik & Utopie", in der das hier besprochene Buch erschienen ist, zeichnet sich durch Einführungen oder Überblickswerke etwa über die Linke in China, den Marxismus oder den Ökosozialismus aus. Des Weiteren werden Bücher zu aktuellen politischen Themen publiziert. Es handelt sich dabei nicht primär um akademische Schriften, sondern um linke politische Interventionen.
Der Rezensent unterliegt selbst der verbreiteten deutschen Ignoranz gegenüber Österreich und den Eigenheiten seiner Geschichte. Erstaunt nahm er deshalb zur Kenntnis, dass die reformierte Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ plus), bei den Landtagswahlen in Salzburg über 10 Prozent der Stimmen holte und in der Stadt selbst mit 21,8 Prozent sogar vor der FPÖ zweitstärkste Kraft wurde. Ferner stellt die Partei mit Elke Kahrs seit 2021 in der steirischen Hauptstadt Graz die Bürgermeisterin.
Um derartige Entwicklungen in der österreichischen Linken nachvollziehen zu können, eignet sich die Lektüre von Foltins Buch. Die zwölf Kapitel werden durch zwei Exkurse anderer Autoren ergänzt. Der Autor beschränkt sich bei der Geschichte bis 1918, dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches, auf Cisleithanien, also die österreichische Hälfte der Doppel-Monarchie. Dabei handelt er vor allem die Parteien der organisierten Arbeiterbewegung ab, berücksichtigt aber auch die zahlreichen sozialen Bewegungen mit emanzipatorischem Anspruch.
Der erste Arbeiter-Bildungsverein gründete sich 1867 in Wien. Außerdem riefen Lohnabhängige in diesen Jahren erste Unterstützungskassen ins Leben. An Demonstrationen für das Koalitionsrecht beteiligten sich Zehntausende.
Die führenden Personen der Sozialdemokratie, Andreas Scheu und Heinrich Oberwinder, nahmen an wichtigen Treffen der deutschen Schwesterorganisationen teil und brachten die dortigen Debatten mit in ihr Heimatland. Seinerzeit konkurrierten unterschiedliche Positionen um die Vorherrschaft in der Arbeiterbewegung. Moderate standen gegen radikale Kräfte und Deutschnationale gegen Internationalisten. Vor allem nach der kleindeutschen Reichseinigung 1871 setzten sich die Radikalen durch. Die österreichische Sozialdemokratie, die sich auf dem Parteitag in Hainfeld Ende 1888 als Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) konsolidiert hatte, war deswegen auf Jahrzehnte hin weiter links als die deutsche. Bei allen Ähnlichkeiten zur Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung, bildete sich doch im Nachbarland eine Spezifik heraus, die aus der Struktur des Habsburgerreiches resultierte. In dem multilingualen Vielvölkerreich nahm die nationale Frage einen großen Raum ein. Bei den ersten Wahlen nach allgemeinem Männerwahlrecht erhielt die Sozialdemokratie fast ein Drittel der Stimmen und war damit endgültig zur Massenpartei geworden. Ferner bildeten sich zahlreiche kulturelle Vereinigungen von Bildungs- bis Freizeitorganisationen. Diese Gegenkultur bildete die Grundlage für das Rote Wien. Die Arbeiterklasse in der Hauptstadt war von Beginn an multikulturell.
Die nationalen Spannungen nahmen mit den Balkankriegen in den 1910er Jahren auch innerhalb der Sozialdemokratie zu. Zunehmend spaltete sie sich in deutschsprachige und tschechische Sektionen auf. Die Niederlage 1918 bedeutete das Ende des Habsburgerreiches. Verschiedene Teilstaaten erklärten ihre Unabhängigkeit. Deutschsprachige sozialdemokratische Abgeordnete bildeten im Oktober 1918 zunächst eine provisorische Regierung. Einen Monat später wurde die Republik ausgerufen. Bei den ersten Wahlen mit allgemeinem Wahlrecht für Männer und Frauen erhielten die Sozialdemokraten 40 Prozent der Stimmen. Sie stellten damit die stärkste Partei, hatten aber die absolute Mehrheit verfehlt. Diese errangen sie hingegen in der Hauptstadt Wien. Diese Machtstellung nutzte die Partei, um auf kommunaler Ebene zahlreiche Projekte umzusetzen. Den Mittelpunkt stellte dabei das Wohnungsbauprogramm dar. Unzählige Gemeindebauten entstanden, darunter der Karl-Marx-Hof. Außerdem konstituierte sich Ende 1918 die Kommunistische Partei, die KPÖ.
In den 1920er Jahren spitzten sich die Verhältnisse zu; immer häufiger kam es zu handgreiflichen oder bewaffneten Auseinandersetzungen mit rechten paramilitärischen Verbänden. Zugleich wuchs der Stimmenanteil der SDAP von Wahl zu Wahl, verblieb aber unter der absoluten Mehrheit.
Einen Streik der Eisenbahner 1933 nutzte der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, um das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz erneut in Kraft zu setzen. Es verbot Versammlungen und schränkte die Pressefreiheit ein. Weitere repressive Maßnahmen folgten sowohl gegen die politische Linke als auch gegen großdeutsche Nationalsozialisten. Die Situation spitzte sich bis Februar 1934 weiter zu. Schließlich beschloss die SDAP den Generalstreik und die bewaffnete Verteidigung durch den Schutzbund. Kämpfe brachen in Wien aus. Der Widerstand wurde brutal niedergeschlagen. Die dreitägigen Auseinandersetzungen endeten mit hunderten Toten und Verletzten, einigen standrechtlichen Erschießungen und der Zerschlagung der Arbeiterbewegung. Die Regierung verbot die Sozialdemokratie, beschlagnahmte ihre Gelder und Immobilien. Insofern verlor sie den kurzen Bürgerkrieg auf ganzer Linie. Das Fanal des Widerstands erwies sich allerdings für die internationale Linke als bedeutsam. Erstmals hatten sich die Organisationen der Arbeiterbewegung bewaffnet gegen den sogenannten Austrofaschismus erhoben. Nichtsdestotrotz warfen linke Kritiker der SDAP vor, zu zögerlich gehandelt zu haben. Auch deshalb entwickelte sich die KPÖ danach zu einer Massenpartei.
Bei einem gescheiterten Putsch der Nationalsozialisten im Juli 1934 wurde Dollfuß ermordet, zu seinem Nachfolger Kurt Schuschnigg ernannt. Die Repression gegen die Arbeiterbewegung hielt in den folgenden Jahren an. Die Parteien stritten unter anderem über die Sozialfaschismustheorie und die Frage, ob Österreich zu Deutschland gehören oder eine eigenständige Nation sein sollte. Das Land wurde immer stärker vom NS-Regime unter Druck gesetzt, zugleich formierte sich Widerstand gegen den Anschluss. Die Regierung setzte eine Volksabstimmung darüber an, nahm sie aber unter Drohungen des Nachbarn wieder zurück.
Am 11. März 1938 trat Schuschnigg schließlich zurück und befahl dem Bundesheer im Falle eines deutschen Einmarschs, keine bewaffnete Gegenwehr zu leisten. Einen Tag später marschierte die Wehrmacht ein und wurde von der österreichischen Bevölkerung mit Jubel begrüßt. Dieser Freudentaumel ging mit antijüdischen Ausschreitungen in Wien und anderen Städten einher. Eine im Nachhinein angesetzte Volksabstimmung ergab 99 Prozent Zustimmung für den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich.
Führende Sozialdemokraten gingen sofort ins Exil und gründeten in Paris die Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten. Die KPÖ bemühte sich erfolglos, einen Massenwiderstand zu organisieren. Später schlossen sich viele Kommunisten den jugoslawischen Partisanenverbänden an.
Im anschließenden Teil beschreibt Foltin die politische Konstellation, die sich nach 1945 herausbildete. Sie zeichnete sich jahrzehntelang durch eine Dominanz der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) aus, die untereinander die Pfründe verteilten. Die KPÖ hingegen geriet im Zuge des Kalten Krieges ins Hintertreffen und fristete ein Nischendasein. Ebenso etablierte sich eine spezifische österreichische Form der Sozialpartnerschaft. Das Anwachsen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) veränderte die Parteienlandschaft grundlegend. Die letzten Kapitel behandeln die Entstehung der Neuen Sozialen Bewegungen und die Entwicklung der außerparlamentarischen Linken bis in die Gegenwart.
Das Buch von Foltin bietet einen guten Überblick über die Geschichte der Linken in Österreich. Vor allem der historische Teil bis 1945 liefert die Grundlage, um die Spezifik zu verstehen. Die Ausführungen zur außerparlamentarischen Linken sind deutlich von der politischen Sympathie des Autors geleitet. Dem Charakter einer kompakten Einführung wird das Buch allerdings vollkommen gerecht.
Sebastian Voigt