Max Trecker: Neue Unternehmer sucht das Land. Die Genese des ostdeutschen Mittelstands nach der Wiedervereinigung (= Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt), Berlin: Ch. Links Verlag 2022, 319 S., ISBN 978-3-96289-154-1, EUR 30,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Tim Schanetzky: "Kanonen statt Butter". Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich, München: C.H.Beck 2015
Sigrid Hirbodian / Sheilagh Ogilvie / Johanna Regnath (Hgg.): Revolution des Fleißes, Revolution des Konsums. Leben und Wirtschaften im Ländlichen Württemberg von 1650-1800, Ostfildern: Thorbecke 2015
Dierk Hoffmann: Mythos Sachsen. Privatisierung, Kommunikation und Staat in den 1990er-Jahren, Berlin: Ch. Links Verlag 2024
Klemens Kaps: Ungleiche Entwicklung in Zentraleuropa. Galizien zwischen überregionaler Verflechtung und imperialer Politik (1772-1914), Wien: Böhlau 2015
Klaus Schroeder: Kampf der Systeme. Das geteilte und wiedervereinigte Deutschland, Reinbek: Lau-Verlag 2020
Ein starker Mittelstand sollte es richten. Da waren sich die wirtschaftsreformerischen Kräfte in der letzten von der SED angeführten DDR-Regierung, westdeutsche Wirtschaftsfunktionäre und Politiker einig. Die Ertüchtigung leistungsstarker mittelständischer Unternehmen galt als Garant für eine erfolgreiche Implementierung des Modells der sozialen Marktwirtschaft in Ostdeutschland nach dem Sturz der SED-Diktatur.
Welche Anstrengungen dabei unternommen wurden und vor allem, warum die hochgespannten Erwartungen in den neunziger Jahren enttäuscht wurden, zeigt Max Trecker in seiner aufschlussreichen Studie. Für ihn ist "der Prozess der Bildung eines starken Mittelstands in Ostdeutschland [...] Gradmesser des Erfolgs der Vereinigung von Ost und West" (17).
Diese These stützt der Autor, indem er den bis in die Kaiserzeit zurückreichenden Mittelstandsdiskurs in Deutschland in einer Tour d'Horizon durchquert und seine Bedeutung für die erfolgreiche Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik herausstellt. Diese sollte nach dem Willen nahezu aller politisch verantwortlichen Akteure zum role model für Ostdeutschland werden.
Wie aber stand es 1989/90 um die Voraussetzungen? Die DDR-Planwirtschaft hatte abgewirtschaftet. Doch mit der Zerschlagung des Kombinatssystems wurden Wertschöpfungsketten zerstört, auf die neu entstehende mittelständische Betriebe angewiesen gewesen wären (18).
In der DDR hatte es eine beträchtliche Anzahl nicht-staatlicher Industriebetriebe gegeben, die in mehreren Wellen, zuletzt 1972, verstaatlicht und teilweise in Kombinate eingegliedert worden waren. Übrig blieben private, überwiegend handwerkliche Kleinstbetriebe. Deren Zahl erhöhte sich erst wieder ab Mitte der siebziger Jahre durch eine leichte Lockerung des bis dato restriktiven Kurses der SED.
Dass damit "relativ günstige Bedingungen für einen organischen Aufbau starker mittelständischer Strukturen in Ostdeutschland in den 1990er-Jahren" vorhanden gewesen wären, wie Trecker gleich mehrfach hervorhebt (28f., 116, 297), darf jedoch bezweifelt werden. Zwar übernahmen diese Betriebe in der DDR eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung mit Reparaturen und Dienstleistungen und halfen so, das schwache Angebot an Konsumgütern zu kompensieren.
Doch mit einem modernen, innovativen und wettbewerbsfähigen Mittelstand hatten sie nichts gemein, wie auch Trecker schreibt (234, 298). Weil er aber an der Behauptung guter Startbedingungen festhält, bleibt die Verantwortung für die stark stockende Privatisierung und den krisenhaften Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen in Ostdeutschland an den demokratisch legitimierten Akteuren hängen. Aus seiner Sicht war die Wiedervereinigung "ein primär von der Bundesrepublik umzusetzendes Projekt" (15). Weil die DDR zur "Verliererseite" des Kalten Krieges gehört habe, sei nicht "gemeinsam ein neues staatliches Projekt" gegründet worden und die demokratische Erneuerung "weitgehend unter Ausschluss ostdeutscher Eliten" erfolgt (15f.). Dass die SED abgewirtschaftet, ein völlig marodes Wirtschaftssystem hinterlassen und mittelständische Strukturen in der DDR nachhaltig zerstört hatte, bleibt bei Trecker seltsam unterbelichtet.
Die deutsche Einheit als westliche Übernahme - das ist der politische Subtext von Max Treckers Darstellung. Dabei unterschätzt er den enormen Druck, der auf den politisch Verantwortlichen lastete, möglichst rasch die Einheit und die Angleichung der Lebensverhältnisse herbeizuführen.
Treckers Darstellung ist vor allem eine der verpassten Chancen und struktureller Überforderung seit 1989/90. Schon die Regierung Modrow drang auf eine schnelle Reprivatisierung der 1972 verstaatlichten, rund 11.400 kleinen und mittelgroßen Industriebetriebe. Diese letzte große Sozialisierungskampagne in der DDR wurde bereits von führenden SED-Wirtschaftsfunktionären als Fehler angesehen. Immerhin konnten rund 3.000 Firmen rückübertragen werden (20), die allerdings gleich wirtschaftlich massiv unter Druck gerieten (118), aber immer noch bessere Überlebenschancen hatten als später privatisierte (151). Völlig zu Recht weist Max Trecker darauf hin, dass die Regierung Modrow in Wirtschaftsfragen naiv (114) und rückwärtsgewandt (117) agierte.
Im Rückblick, so Trecker, war auch das Kalkül der frei gewählten Regierung de Maizière naiv, ein wiedererstarkender Mittelstand möge "die sozialen Kosten der Strukturanpassung der DDR-Wirtschaft auffangen" (117). Schon die Einführung der D-Mark im Zuge der Währungsunion habe die Wettbewerbssituation der ostdeutschen Betriebe erheblich geschwächt (140f.).
Mehrere Faktoren macht Trecker dafür verantwortlich, dass die Treuhandanstalt ihre ursprünglich mittelstandsfreundliche Politik aufgab - so die große Menge der kurzfristig zu privatisierenden Unternehmen, die das Treuhand-Personal überforderte (122), die dramatische Wirtschaftskrise, die langfristige Planungen verhinderte, und Kommunikationsprobleme zwischen tonangebenden westdeutschen Treuhand-Managern und ostdeutschen Adressaten (123).
"Strukturpolitische Ziele", schreibt Trecker (124), "mussten in der Praxis mit dem Ziel der 'Einnahmemaximierung' kollidieren". Die Treuhandanstalt verstand sich als Verkaufs- und nicht als Gründungsagentur, die ostdeutschen Unternehmern "westliches Management Know How" hätte vermitteln können (168) - ein Defizit, das den mittelstandspolitischen Aufbau in Ostdeutschland schwer belastete.
Früh delegierte die Treuhandanstalt die Verantwortung für "Mittelstand und Handwerk" an die Landesregierungen (137f.). Trecker zeigt an den Beispielen der Bundesländer Sachsen, Thüringen und Brandenburg unterschiedliche mittelstandspolitische Strategien. Während es Sachsen und Thüringen mit ihren traditionsreichen industriellen Kernen darum gegangen sei, an alte Erfolge anzuknüpfen, wollte das mehr agrarisch geprägte Brandenburg von seiner Nähe zur Hauptstadt Berlin profitieren (216). Für Trecker war Brandenburg ein Gewinner, weil das Berliner Umland seit den siebziger Jahren von der SED bei Investitionen bevorzugt worden sei (248), während die Traditionsstandorte in Sachsen und Thüringen in einer seit 1930 währenden Dauerkrise gefangen blieben (247). Diesen Startvorteil habe Brandenburg zu nutzen gewusst. Der "Erhalt strukturbestimmender Großbetriebe wie des Stahlwerks Eisenhüttenstadt" plus Hauptstadtnähe hätten Investitionen nach Brandenburg gelockt und Arbeitskräfte vor dem Wegzug bewahrt (250). So sei ein Umfeld geschaffen worden, das nach und nach auch mittelständische Betriebe angezogen habe.
Dass die Fokussierung auf die neunziger Jahre ein zu kurzer Zeitraum war, um in Ostdeutschland eine soziale Marktwirtschaft mit einem leistungsstarken Mittelstand zu etablieren, zeigt Trecker am Beispiel der VEB Schweißtechnik Finsterwalde. Die Existenz dieses reprivatisierten Unternehmens hing trotz guter Ausgangsbedingungen lange am seidenen Faden. Erst nach der Jahrtausendwende gelang ein dauerhafter Aufschwung.
Wie erfolgreich war der Aufbau tragfähiger mittelständischer Strukturen in Ostdeutschland? Trecker lässt keinen Zweifel daran, dass die politisch gewollte schnelle Wiedervereinigung die ökonomische Krise überhaupt erst heraufbeschwor (299ff.).
Die Bilanz der neunziger Jahre war jedenfalls ernüchternd. Bis Ende August 1990 waren für mehr als 6.000 Betriebe Anträge auf Rückgabe gestellt worden.[1] Von den zwölf- bis dreizehntausend mittelständischen Betrieben, die das Institut für Mittelstandsforschung 1990 als reprivatisierungsfähig einstufte [2], waren im Juli 1997 jedoch nur 2.700 "am Markt" tätig. Lediglich ein Fünftel von ihnen wurde ihrer Rolle als "Hoffnungsträger" annähernd gerecht.[3]
Erst auf eine längere Sicht wirkt Treckers Einschätzung plausibel, dass "es dennoch [gelungen sei,] nach 1989 partiell leistungsfähige mittelständische Strukturen aufzubauen." (304).
Max Trecker hat eine wichtige, zumeist klug und plausibel argumentierende Studie über den Aufbau des gewerblichen Mittelstandes im Ostdeutschland der neunziger Jahre vorgelegt.
Und damit zugleich den Blick gelenkt auf die nötige Fortsetzung der Untersuchung über die Mittelstandspolitik in den neuen Bundesländern.
Anmerkungen:
[1] W. Freund / F. Kaufmann / A. Schmidt: Der Reprivatisierungsprozeß in den neuen Bundesländern (IfM-Materialien Nr. 79 des Instituts für Mittelstandsforschung). Bonn 1990, S. 21.
[2] F. Kaufmann (unter Mitarbeit von K. Wolff): Die Situation der reprivatisierten Unternehmen in den neuen Bundesländern (IfM-Materialien Nr. 128 des Instituts für Mittelstandsforschung). Bonn 1997, S. 4; Freund u. a., Der Reprivatisierungsprozeß in den neuen Bundesländern, S. 71.
[3] Kaufmann, Die Situation der reprivatisierten Unternehmen, S. 53f.
Frank Ebbinghaus