Dario Internullo: Senato sapiente. L'alba della cultura laica a Roma nel medioevo (secoli XI-XII) (= La corte dei papi; 33), Roma: Viella 2022, 407 S., 8 Farbabb., ISBN 978-88-3313-838-1, EUR 38,00
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Die italienischen Stadtkommunen erfreuen sich einer ungebrochenen Beliebtheit. Chris Wickham hat vor einigen Jahren den Blick wieder auf ihre Frühzeit gelenkt. [1] Diesem Pfad folgt Dario Internullo, der sich der Konstituierung und Konsolidierung der römischen Kommune annimmt.
Ihn interessieren die intellektuellen Grundlagen der entstehenden Kommune, das Profil ihrer Protagonisten und der Einfluss ihrer Expertise auf die Ausbildung und Etablierung der römischen Schwurgemeinde. Als kulturelle Pfeiler macht er Richter und Notare aus, deren Bedeutung für die weitere Entwicklung der italienischen Kommunallandschaft wiederholt herausgestellt worden ist. Die Studie basiert auf einer beeindruckenden Palette edierter wie unedierter Überlieferung, insbesondere auf rechtserheblichen Schriftstücken, aber auch auf römischen Kodizes mit Rechtstexten, Geschichtswerken und Stadtbeschreibungen. Wie andernorts hat auch das Archiv der römischen Kommune die Wirren der Geschichte nicht überstanden, allerdings stehen für das 10. bis 12. Jahrhundert fast 1.500 Dokumente aus kirchlichen Archiven zur Verfügung.
All dies wird einleitend erläutert (14-25), ehe der historische Rahmen vom Früh- bis zum Hochmittelalter geboten wird (27-81). Stadtgestalt und -gesellschaft werden ebenso skizziert wie Buchkultur und - in Anlehnung an Ronald Witt - "documentary culture". Während sich weite Flächen von Stadt und Umland im Besitz von Kirchen und Klöstern befanden, traten neben dem alten Adel im 11./12. Jahrhundert neue politische, nämlich zu Reichtum gelangte Akteure auf den Plan. Geistliche Einrichtungen waren weiterhin für die Vermittlung von Schriftkenntnissen, Herstellung von Kodizes oder Nutzung und Verwahrung von Schriftstücken (deren Produktion im Laufe des 12. Jahrhunderts signifikant anstieg) verantwortlich; einzig im Lateran - Ausbildungsstätte der Notare und Richter - konnte man neben liturgischen auch juristische und historiographische Texte einsehen.
Im Anschluss werden die für die Stadt relevanten Verbindungen zu Papst und Kaiser nachgezeichnet (83-122). Bis ins 12. Jahrhundert hielten sich Kaiser selten in Rom auf. Sie beschränkten sich zumeist darauf, Schutzbriefe auszustellen und Privilegien zu bestätigen. Seit dem 11. Jahrhundert lassen sich indes direkte Kontakte zu römischen Akteuren häufiger nachweisen.
Das dritte Kapitel illustriert die Genese der römischen Stadtkommune, dabei macht Internullo vier Phasen aus (123-187). Während der durch das Ringen um das rechte Gewaltenverhältnis hervorgerufenen Krise von Papst- und Kaisertum (1080-1120) ließen sich erste präkommunale Anzeichen wie Koordinierungen in regiones ("rioni") feststellen. Anschließend habe sich eine Proto-Kommune von Adel, Richtern und "rioni" ausgebildet, die eigenständig Steuern erlassen, das Heer mobilisieren oder Schriftstücke produzieren konnte (1120-1138). Innozenz II. (1138-1143) habe vergebens versucht, sich diese proto-kommunalen Strukturen einzuverleiben (was mit einer Pantoffeltierchen fressenden Amöbe verglichen wird, 146). Im Streit um Tivoli kam es zum Bruch der Stadtgemeinde mit dem Papst und zur renovatio Senatus, deren Bedeutung der Verfasser relativiert, da es sich nicht um die Gründung der Kommune, sondern um die institutionelle Reform auf breiterer sozialer Basis der vorangegangenen Transformationen gehandelt habe (1143-1148). Die anti-magnatische Schwurgemeinschaft der Ewigen Stadt füge sich somit in das Panorama der italienischen Kommunallandschaft (175); der römischen Kommune wird folglich (zu Recht) ihre Exzeptionalität abgesprochen.
Der eigentliche Kern der Studie folgt in den nächsten Kapiteln. Zunächst wird dem Profil der Richter (iudices) und Notare (scriniarii) nachgespürt (189-271). Die Anfänge dieser Rechtspraktiker lagen in der päpstlichen Bürokratie. Sie wandten sich jedoch im frühen 12. Jahrhundert der Kommune zu, ohne die Bindungen zur Kurie vollends zu kappen. Beide Gruppen vergrößerten sich zudem durch eine soziale Öffnung; das Richterkollegium fächerte sich in iudices palatini, iudices dativi und advocati/causidici auf, während innerhalb der Notarschicht kulturelle Unterschiede auszumachen sind. Anhand von Rechtsdokumenten und Verwaltungsschriften versucht der Verfasser, ihren Verdienst (berufliche Einnahmen, Papstgeschenke) annäherungsweise zu berechnen. Richter hätten mit 1.500-2.000 Denari jährlich ungefähr doppelt so viel verdient wie Notare. Vermögende Rechtspraktiker erwarben auch Grundbesitz. Ihr kulturelles Profil wird mittels Büchern für die Richter und Dokumente für die Notare konturiert. Sie lasen und nutzten antike und frühmittelalterliche Historiographien, Grammatik- und Rhetorikschriften, lateinische Klassiker und Kataloge der antiken Monumente Roms. Die Richter seien zudem maßgeblich vom Justinianischen Recht geprägt gewesen, das ab dem 11. Jahrhundert nicht mehr nur in Kompendien, sondern vollständig bekannt war; die Notare hingegen von der lokalen dokumentarischen Tradition, der Bibel und den Kirchenvätern, Kanzleiformularen und Cassiodors Variae. Dieses intellektuelle Reservoir sei der Stadtgesellschaft verfügbar gemacht worden und habe die institutionelle Entwicklung der Kommune entscheidend beeinflusst.
Wie dieses kulturelle Kapital nutzbar gemacht wurde, wird an drei Handlungsfeldern aufgezeigt: Dokumentationspraxis, Rechtsprechung und urbanistisches Programm (273-350). Lediglich 79 Briefe, Verträge und Prozessakten des römischen Senats aus dem Zeitraum 1145-1210 haben sich erhalten, deren divergierende formale Gestaltung den andauernden Behauptungsprozess der Kommune spiegele, wohingegen Wortwahl und Rhythmik (cursus) eine zunehmend homogenisierte politische Sprache erkennen ließen. Die Prozessordnung habe zwar nicht allzu effektiv funktioniert, die rege Nachfrage der Kommunalgerichte aber zur sukzessiven Behauptung des Senats beigetragen. Einen ideellen wie politischen Wert besaß das monumentale Patrimonium Roms, dessen sich die Kommune zu bemächtigen begann (u.a. Brücken, Stadtmauern); auch antike Säulen zählten zum honor publicus Urbis. Die Mirabilia urbis Romae, gemeinhin als Rompilgerführer verstanden, deutet der Verfasser aufgrund ihrer Überlieferung in Verwaltungsbüchern zu Bestandsaufnahmen des monumentalen "urbanen Dekors" um, an dessen Redaktion und Zirkulation die Richter beteiligt gewesen seien.
Ein konzises Fazit fasst die Ergebnisse zusammen (315-366) und betont nochmals Gemeinsamkeiten zwischen der römischen und den anderen nord- und mittelitalienischen Kommunen, und zwar die Rechtspraktiker im Kommunaldienst, ihre weiterhin gepflegten Verbindungen zu alten Herrschaftsträgern sowie ihr Rückgriff auf Bibliotheken und Archive der Geistlichkeit. Ferner prüft Internullo die These Wickhams, dass die Kommunen nicht zielgerichtet entstanden seien: In Rom habe man anfangs zwar noch keine konkreten Vorstellungen gehabt, ab den 1120er Jahren hätten einzelne Akteure jedoch durchaus ein übergreifendes Projekt verfolgt. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister beschließen den Band (367-407).
Wenngleich die Hinführung etwas lang geraten ist, hat Internullo eine imposante Studie vorgelegt, die durch souveräne Stoffbeherrschung, beeindruckende analytische Leistung und erfreuliche Positionierung in strittigen Fragen besticht. Die Thesen und Befunde dürften weitere Untersuchungen zu anderen Kommunen bzw. zum Einfluss des "kulturellen Kapitals" von Richtern und Notaren auf anderen kommunalen Handlungsfeldern anregen.
Anmerkung:
[1] Chris Wickham: Sleepwalking into a New World. The Emergence of Italian City Communes in the Twelfth Century, Princeton 2015.
Giuseppe Cusa