Rezension über:

Harry Morgan: Music, Politics and Society in Ancient Rome, Cambridge: Cambridge University Press 2023, XIII + 284 S., ISBN 978-1-009-23233-3, GBP 75,00
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Rezension von:
Angela Ganter
Universität Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Angela Ganter: Rezension von: Harry Morgan: Music, Politics and Society in Ancient Rome, Cambridge: Cambridge University Press 2023, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 12 [15.12.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/12/38099.html


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Harry Morgan: Music, Politics and Society in Ancient Rome

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Die Monographie Music, Politics and Society in Ancient Rome ist aus einer Dissertation an der University of Cambridge hervorgegangen. Der Titel ist gut gewählt, insofern er, ausgehend von der Ubiquität von Musik in der römischen Gesellschaft, die Verklammerung von Politik und Gesellschaft mit verschiedenen musikalischen Praktiken und Haltungen thematisiert. In Harry Morgans eigenen Worten handelt es sich um "a study of how Roman attitudes to music evolved throughout the mid-to-late Republic and early Principate, and how music was used as a political tool by Roman elites during this period" (2). Diskurse um Moral, Schichtenzugehörigkeit, ethnische Herkunft (insbesondere der Bezug zur griechischen Kultur), Gender und Sexualität spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Mit der "Introduction" (1-41) gelingt Morgan eine weitreichende Einführung in die Welt römischer Musik. Auf der Höhe des Forschungsstandes expliziert er sowohl Quellenlage und Terminologie als auch generelle Fragestellungen wie griechische und etruskische Einflüsse auf römische Musik, den Zusammenhang von Klang, Raum und sozialer Kontrolle, Sinneswahrnehmung und Verkörperung von Musik sowie den sozialen Status von Musikern und Musikerinnen, um so auf den eigenen Ansatz hinzuführen.

Daran schließen sich vier Fallstudien an, die charakteristisch für eine bestimmte Zeit bzw. in der Quellenlage besonders ergiebig sind. Da sie von der Mittleren Republik bis in die neronische Zeit reichen, deuten diese intensiven Diskussionen zeitgebundener Verflechtung von Musik, Politik und Gesellschaft zugleich Wandel an, obwohl dies nicht im Vordergrund der Fallstudien steht, dafür aber im "Epilogue" (239-248) thematisiert wird: Während die ideologischen Prämissen musikbezogener Diskurse weitgehend die gleichen geblieben seien, während Musik durchgehend für politische Zwecke instrumentalisiert worden sei, habe sich das Engagement für Musik verändert - was sich nicht nur auf das Verhältnis der römischen zur griechischen Kultur, sondern auch auf die Interaktion zwischen Eliten und Nicht-Eliten ausgewirkt habe.

Die erste Fallstudie, "The Games of L. Anicius Gallus and the Cultural Politics of Music in the Second Century BCE" (42-82), widmet sich mittelrepublikanischer Triumphpolitik und Spektakelkultur in der Mittleren Republik. Dabei stehen Moraldiskurse und Abgrenzungsdiskurse gegenüber griechischen kulturellen Usancen im Vordergrund. Die Spiele des L. Anicius Gallus des Jahres 167 v. Chr. veranschaulichen, wie sehr Musik eine "effektive Währung" (81) war, um den eigenen Platz in der hochkompetitiven Darbietung militärischer gloria herauszustellen: Elemente aus der Plautinischen Komödie, des Triumphs und von Gladiatorenspielen wurden hier kunstvoll miteinander verwoben. Die Art und Weise, wie Musik dargeboten wurde, verbreitete darüber hinaus die Botschaft der Graecia capta, dass man die griechische Welt nicht nur militärisch erobert, sondern auch ihre Kultur vereinnahmt habe. Während Teile der philhellenischen Elite eine aktive Aneignung griechischen musikalischen Erbes betrieben, lehnten andere diese Form der Hellenisierung vehement als Ausweis darniederliegender altrömischer Moral ab. In dieser wie in späteren Epochen zeige sich, dass erstens musikalische Ausdrucksweisen und zweitens Haltungen zur Musik vielgestaltig waren.

Vor allem an Ciceros Œuvre wird offensichtlich, dass Diskurse über Musik in der Späten Republik einerseits musiktheoretisch, andererseits politisch geführt wurden ("Popular Music and Popular Politics in the Late Republic", 83-141). Im Zentrum steht der Gegensatz zwischen populares, die Musik u.a. als Rhetorik verstärkendes, Schichtenunterschiede nivellierendes Mittel benutzten, um die plebs demagogisch an sich zu binden, und optimates, die für eine Regulierung massenpsychologisch durchschlagender Inszenierungen wie im Theater plädierten. Nicht die Musik an sich, sondern ihr spezifischer Gebrauch gefährde die Stabilität der Gesellschaft, meinten sie und insbesondere Cicero, wenn er seinen Intimfeind Clodius Pulcher als effeminierten Harfespieler, Chorleiter und Entertainer persiflierte.

Apollo Citharoedus als der Gott, den Augustus in seiner Anfangsphase als princeps zur Leitfigur der neu anbrechenden Epoche des Friedens nach den Bürgerkriegen stilisierte, thront über der dritten Fallstudie zu "Augustus, Apollo's Lyre and the Harmony of the Principate" (142-190). In der Tradition Nietzsches sieht Morgan Apollo auch deshalb als Lieblingsgott des Augustus an, weil er mit den dionysischen Vorlieben von Marcus Antonius kontrastierte. Metaphorisch wurde der princeps zum Harmonie erzeugenden Musiker, der als Dirigent der res publica eine diverse Bürgergemeinschaft unter sich vereinte.

"Nero and the Age of Musomania" (191-238) befasst sich schließlich mit Nero als dem princeps, der über seine Tätigkeit als Musiker das Ansehen der Elite verlor. Morgan zeichnet allerdings ein differenziertes Bild: Das Bild vom verrückten Musikus sei in erster Linie den ihn ablehnenden Autoren aus der Elite geschuldet, deren Stimme wir noch hören. Zunächst müsse man sein Agieren als imitatio Augusti und in die Musikbegeisterung weiter Kreise der jüngeren Generation dieser Zeit einordnen. Auch Nero habe Musik benutzt, um seine politische Agenda umzusetzen, was ihm vor allem mit seinen das Volk begeisternden Neroniana Cantica gelungen sei.

Morgan beginnt die Großkapitel mit einer Episode oder der intensiven Interpretation einer Textstelle, um diese anschließend in verschiedene Kontexte einzubetten. Dabei argumentiert er dicht an den Quellen in der ganzen Spanne, wie sie zur Verfügung stehen: von literarischen Zeugnissen, die naturgemäß im Vordergrund stehen, über Münzen und Inschriften bis hin zu Mosaiken, Fresken und archäologischen Überresten. Die Studie ist im wahren Sinne anschaulich, weil Morgan es versteht, im Rahmen der Fallstudien aus fragmentierten Zeugnissen eine Geschichte zu spinnen bzw. Diskurse über Zitate und enge Arbeit an den Quellen erzählerisch zu Leben zu erwecken, ohne deshalb die Positionen antiker Autoren zu replizieren. Im Gegenteil, die Ausführungen zeugen sowohl terminologisch-philologisch als auch forschungsgeschichtlich von hoher kritischer Sensibilität. Darüber hinaus besticht das Buch durch viele farbige Abbildungen von herausragender Qualität.

Die Hauptthesen werden jeweils zu Anfang und am Ende eines jeden Kapitels präsentiert, werden genauso in der Einleitung angedeutet, wie sie im Epilog zusammengefasst werden. So kann jeder Leser auch dort, wo die Unterkapitel Kontexte thematisieren und Musik scheinbar zur Nebensächlichkeit wird, jederzeit die Hauptaussagen erkennen, auf welche die Ausführungen hinauslaufen. Insofern harmoniert das variiert Repetitive wunderbar mit Seitenwegen ausgeschmückt diskutierter Szenerie. Kurz: Morgan hat ein anregendes, zugleich wohldurchdachtes und anschauliches Buch geschrieben, aus dem sowohl diejenigen, die sich für die Rolle von Musik in der römischen Gesellschaft, als auch diejenigen, die sich in erster Linie für Sozialgeschichte oder die Instrumentalisierung von Kunst und Performanz für politische Macht interessieren, Gewinn schöpfen werden. Und besser noch: All diese Leserkreise mit ihren spezifischen Interessen werden verstehen, dass Musik, Politik und Gesellschaft in Rom untrennbar zusammenhingen.

Angela Ganter