Alina Marktanner: Behördenconsulting. Unternehmensberater in der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik, 1970er- bis 2000er-Jahre (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 136), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2023, VIII + 241 S., ISBN 978-3-11-079597-4, EUR 59,95
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Die Beratungsaufträge von Ministerien werden in der Öffentlichkeit zumeist nur im Zusammenhang mit Affären und Skandalen wahrgenommen. Ganz unbekannt war bislang, wie der Einsatz kommerzieller Beratungsfirmen zur Regierungs- und Verwaltungspraxis werden konnte. Davon vermittelt Alina Marktanner in dieser Monografie, einer gekürzten und überarbeiteten Fassung ihrer Dissertation an der Universität zu Köln, erstmals ein fundiertes, auf Archivakten und eine Vielzahl veröffentlichter Quellen gestütztes Bild.
Marktanner grenzt die Unternehmensberatung im öffentlichen Sektor treffend als "Behördenconsulting" von der wissenschaftlichen Politikberatung ab. Dezidiert wendet sie sich dagegen, den untersuchten Beratungsvorgängen spätere Deutungsmuster wie "Neoliberalismus" und "Ökonomisierung" überzustülpen. Entstehung und Aufstieg des Behördenconsultings versteht sie als "Geschichte sich wandelnder Modi politischer Entscheidungsfindung" (13).
Die gut geschriebene Studie stützt sich auf Analysen zu drei Beratungsvorgängen, in denen Marktanner Wendepunkte sieht: die Unternehmensberatung bei der Deutschen Bundespost in den 1980er Jahren, die Schulgutachten für das Land Nordrhein-Westfalen in den 1990er Jahren und das Consulting bei der Bundesanstalt/Bundesagentur für Arbeit in den Jahren 2003/04. Vorab wird in einem instruktiven Überblick über die Anfänge des Beratungsmarkts in der Bundesrepublik auch auf das Spektrum der Unternehmensberatungen und einzelne Firmen eingegangen. Die Rolle der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften im Beratungsgeschäft bleibt ausgeklammert.
Bis in die 1970er Jahre hinein erwies sich die öffentliche Verwaltung für die Unternehmensberatungen als eine "widerspenstige Kundin" (49). Nur wenige Consultingfirmen bewarben sich in diesem Umfeld um Aufträge von Behörden. Marktanner arbeitet heraus, dass es sich vorwiegend um Unternehmen mittlerer Größe handelte, die nicht um die lukrativen Beratungsaufträge der Industriekonzerne konkurrieren konnten.
In den 1980er Jahren begannen die Ministerien, aus eigener Initiative Beratungsfirmen einzuschalten. Verdeutlicht wird dies an den Beratungsaufträgen des Postministers Christian Schwarz-Schilling (CDU) für die Firmen Mummert + Partner und Knight Wendling. Die Consultants hatten nicht Vorarbeiten für die späteren Postreformen der Ära Kohl zu leisten, sondern ein neues Unternehmenskonzept für die Bundespost und ein Sanierungskonzept zur Senkung der Personalkosten zu erstellen. Mittels dieser Gutachten sollte es gelingen, die Bundespost auf "Eigenwirtschaftlichkeit" auszurichten, was seit langem an starken Widerständen gescheitert war. Ähnliches lässt sich für den 1990 erteilten Beratungsauftrag des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums an die Kienbaum Unternehmensberatung GmbH feststellen. Hier ging es darum, das nach längerem Stellenabbau durch Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfall in Kritik geratene Schulwesen des Landes kostenneutral zu reformieren.
Das dritte Fallbeispiel, bei dem sich Marktanner nur auf veröffentlichte Quellen und Zeitzeugeninterviews stützen kann, verweist auf einen Wandel des Beratungseinsatzes in den frühen 2000er-Jahren. Die großen Strategieberatungen McKinsey und Roland Berger wären damals systematisch in das Behördenconsulting eingestiegen. Bei den Hartz-Reformen beschränkte sich deren Rolle nicht auf die Erstellung von Gutachten, sie waren jetzt in den Entscheidungsgremien vertreten.
In allen Fällen war der Expertennimbus der Beratungsfirmen von größter Bedeutung. Ihre Gutachten konnten als "objektive" Bewertungen ausgegeben werden. Tatsächlich entsprachen die Empfehlungen der Berater im Wesentlichen den Vorstellungen der Auftraggeber, schon weil sich die Firmen weitere Aufträge sichern wollten. Aber politisch waren sie schwer angreifbar. Die Auftraggeber konnten darauf verweisen, dass die Consultants, anders als Regierungskommissionen, "frei von politischen Einbindungen und Rücksichtnahmen" (Schwarz-Schilling) arbeiteten (69).
Nach Marktanners zentraler These wurde das Behördenconsulting zur Regierungspraxis, um konfliktträchtige Entscheidungen mittels "objektiver" Gutachten leichter durchsetzen zu können. Unbestreitbar dürfte die Durchsetzbarkeit von Veränderungen ein wichtiges Motiv für die Vergabe von Beratungsaufträgen im öffentlichen Sektor sein. Doch kann dies unterschiedlich gedeutet werden, als Strategie, sich über die Interessen von Personalvertretungen, Gewerkschaften und anderer Betroffener hinwegzusetzen, oder als eine Reaktion auf das Scheitern erforderlicher Reformen an der Beharrungsfähigkeit bürokratischer Apparate. Marktanner betont stark Ersteres, ohne die andere Sichtweise auszublenden.
Das Kalkül, Konflikte mittels externer Berater zu "entpolitisieren", ging in keinem der beschriebenen Fälle auf. Durch umstrittene, von der Politik nicht vermittelbare Empfehlungen der Consultants und Kritik an der Höhe der gezahlten Honorare gerieten die Auftraggeber in der Öffentlichkeit an den Pranger. Das Schulgutachten von Kienbaum führte gar zu einem Proteststurm, der Kultusminister Hans Schwier (SPD) fast das Amt gekostet hätte. Der Protest gegen die Hartz-Gesetze richtete sich dann wegen der unmittelbaren Mitwirkung von McKinsey und Roland Berger auch gegen die Berater. Der Name McKinsey wurde in der kritischen Öffentlichkeit zu einem Synonym für Sozialabbau.
Die untersuchten Fälle können freilich nicht erklären, warum das Behördenconsulting seitdem sprunghaft zugenommen hat. Bei den allermeisten Beratungsaufträgen geht es nicht um konfliktträchtige Entscheidungen. Sie werden in bürokratischer Routine vergeben und gelten inzwischen als so unverzichtbar, dass dadurch leicht Abhängigkeiten entstehen können. Hier bedarf es weiterer Erklärungsansätze.
An Grenzen stößt diese Pionierstudie auch bei den Ausführungen zu den großen Strategieberatungsfirmen. McKinsey dürfte sich früher als beschrieben im Behördenconsulting positioniert haben, etwa mit seinem schon Anfang der 1980er-Jahre entwickelten Organisationskonzept für das Verteidigungsministerium. Doch der mythenreiche Schleier um den Aufstieg der führenden Beratungsfirmen wird sich nicht so rasch lüften. Die Akten der verschwiegenen Branche blieben auch Marktanner verschlossen.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich der "verwaltungshistorische Zugriff" (205) der Studie durchgehend als ergiebig und erhellend erweist. Von den verbreiteten Klischees vom "Beratungsstaat" setzt sich Alina Marktanner mit einem differenzierten Bild vom "beratenen Staat" (1) ab, ohne an kritischer Distanz zu verlieren. Mit den Aufträgen für externe Berater haben sich Regierungs- und Verwaltungspraktiken verändert, aber nach eigenständigem Kalkül. Die Unternehmensberatungen mussten dabei lernen, dass sich der Erfolg der Aufträge in einem politischen Umfeld nach anderen Kriterien bemisst als in der Wirtschaft.
Es ist zu wünschen, dass der wichtige Ertrag dieser Monografie zu weiterer Erforschung des Behördenconsultings anregt.
Johannes Bähr