Pavlína Rychterová / Jan Odstrčilík (eds.): Medieval Translations and Their Readers (= The Medieval Translator. Traduire au Moyen Âge; Vol. 20), Turnhout: Brepols 2023, 364 S., 17 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-59190-2, EUR 85,00
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Ghazzal Dabiri (ed.): Narrating Power and Authority in Late Antique and Medieval Hagiography across East and West, Turnhout: Brepols 2021
Gábor Klaniczay / Ildikó Csepregi (eds.): The Sanctity of the Leaders. Holy Kings, Princes, Bishops, and Abbots from Central Europe (Eleventh to Thirteenth Centuries), Budapest: Central European University Press 2023
Lars Kjaer / Gustavs Strenga (eds.): Gift-Giving and Materiality in Europe, 1300-1600. Gifts as Objects, London: Bloomsbury 2022
Die in vorliegendem Band versammelten Beiträge befassen sich mit Übersetzungen und ihrem Lesepublikum im Mittelalter. Behandelt wird die Rolle des Lesers im Übersetzungsprozess, Lesergemeinschaften und ihre aktive Beteiligung an den Entscheidungen der Übersetzer sowie die Übersetzung als Ergebnis eines Dialogs zwischen Autor, Text und Leser.
In der ersten Sektion sind Beiträge versammelt, die sich mit der Idee des Modelllesers befassen, wie sie in Übersetzungen von biblischen Texten und Texten der religiösen Unterweisung zum Ausdruck kommt. Alessandro Zironi analysiert die gotischen Übersetzungen der so genannten Wulfila-Bibel im Detail und geht der Frage nach, wie die Übersetzer die Bedürfnisse und Bildungshorizonte ihrer hypothetischen Leser antizipierten.
Maria Teresa Ramandi behandelt das Problem der kulturellen Übersetzung in ihrer Untersuchung der Übertragung ins Altnordische einer lateinischen Legende der Heiligen Agnes aus dem zwölften Jahrhundert und argumentiert dabei auf der Grundlage einer detaillierten linguistischen Analyse, dass der Charakter des kulturellen Kontextes bei der Bewertung jeder Übersetzung, die den Originaltext nie perfekt wiedergeben kann, von großer Bedeutung ist.
Jonatan Petterson beschäftigt sich mit einer altschwedischen Übersetzung des Pentateuchs aus der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, einem Höhepunkt der europäischen Bibelübersetzung. Der Übersetzer (bzw. die Übersetzer) wandte(n) verschiedene Textstrategien an, um den Text für die avisierte Laienleserschaft verständlich zu machen; sie arbeiteten vor allem mit Erläuterungen und Anmerkungen, um das Alte Testament im volkssprachlichen Diskurs der spätmittelalterlichen schwedischen Gesellschaft zu verankern und einen grundlegenden Leitfaden für die volkssprachliche exegetische Auslegung der Heiligen Schrift anzubieten.
Svobodová, Voleková und Rychterová beschäftigen sich mit den Prologen zu den einzelnen biblischen Büchern, die entweder nach lateinischen Vorlagen übersetzt oder von den Übersetzern selbst verfasst wurden. Diese Prologe befassen sich mit verschiedenen komplexen Fragen von Sprache und Übersetzung, nehmen die Reaktionen der Leser vorweg und erörtern sie in ähnlicher Weise wie die Kommentare im schwedischen Pentateuch. Dennoch erfuhr die tschechische Bibel in der böhmischen Reformation, in der die Bibellektüre als einziges Prinzip der reformatio ecclesiae enorme Bedeutung erlangte, eine ganz besondere Rezeption.
Der Beitrag von Marco Robecchi und Jaroslav Svátek nimmt das Genus der mittelalterlichen Reiseschrift, ihre Übersetzung in die Umgangssprachen und den Wandel ihrer Funktionen im Hinblick auf ihr Zielpublikum in den Blick. Laut Robecchi wurden in der Mitte des 14. Jahrhunderts von Jean le Long erstellten französischen Zusammenstellung einer Reihe gut rezipierter lateinischer Werke der Reiseliteratur vor allem die 'wissenschaftlichen' und 'wunderbaren' Aspekte der einzelnen Quellen herausgearbeitet, was wohl zu einem neuen Text führte. Die Autoren tschechischer Reiseberichte, die nach lateinischen und deutschen Vorbildern aus der Mitte des 15. Jahrhunderts verfasst wurden, wenden ähnliche Strategien an, um mehrere Ziele zu erreichen: den Leser zu unterhalten, seine 'wissenschaftliche' Neugier zu befriedigen und eine religiöse Botschaft neu zu definieren.
Katrin Janz Wenig liefert eine umfassende Analyse der volkssprachlichen Rezeption des Traktats De dilectione Dei et proximi, der Helwicus Theutonicus (gestorben 1263), Abt des Straßburger Dominikanerklosters, zugeschrieben wird, und der sogenannten Sermones Socii, einer Predigtsammlung des Zisterziensermönchs Konrad von Brundelsheim vom Beginn des 14. Jahrhunderts. Der Beitrag analysiert die Textstrategien der einzelnen Autoren, die auf der Grundlage der lateinischen Vorlagen volkssprachliche Texte zur Religionsunterweisung verfassten, um den Bildungshorizonten ihrer verschiedenen Leser gerecht zu werden. Diese sorgfältige Kontextualisierung des Materials ist ein wertvoller Beitrag zur Erforschung der mittelalterlichen Leserschaft, insbesondere für künftige vergleichende Ansätze.
Die Beiträge in der Sektion 'Dissemination of Knowledge' befassen sich mit der Frage, wie die Übersetzer die Leser ansprachen, wie die Menschen lasen und wie sie die für sie angefertigten Handschriften und gedruckten Bücher nutzten. Elisabeth Salter untersucht ausgehend von der Textvariabilität in der Manuskriptkultur, wie Menschen des späten Mittelalters geschriebene Texte als Teil ihres religiösen Lebens nutzten. Sie betrachtet Manuskriptkontexte im Rahmen der mittelenglischen Laienkatechese, die sowohl unter Laien als auch unter Klerikern in Kompilationen von volkssprachlichen Werken religiöser Unterweisung zirkulierten. Salter erörtert das methodische Problem, wie sich feststellen lässt, ob ein Text (oder seine Verwendung) 'orthodox' ist oder nicht.
Pavlina Rychterová stellt in ihrem Beitrag über den Andachtstraktat Die Tochter von Jan Hus aus dem Jahr 1413 eine ganz ähnliche Frage. Der Text besteht zum größten Teil aus der Übersetzung einer Predigt von John Wyclif für den Ostermontag (Lc 24,13), eingebettet in die von Bernhard von Clairvaux in seinen Meditationes piisimae de cognitione humane conditionis entworfene Struktur. Hus starb auf dem Scheiterhaufen als verurteilter Häretiker gemäß dem Beschluss des Konzils von Konstanz; das Konzil verurteilte auch die Schriften von Hus' Lehrer Wyclif. Utraquistische Bürger wie auch adlige katholische Damen lasen und interpretierten seine Werke der religiösen Unterweisung nach ihren eigenen Bedürfnissen.
Jan Odstrdilik konzentriert sich auf den Charakter der Sprache, die Praxis des Code-Switching und die Bedeutung des mittelalterlichen Latein als Metasprache im Mittelalter. Jörg Sonntag bespricht das spätmittelalterliche deutsche Puechlein von Guldin Spil (Buch des Goldenen Spiels), das der Basler Dominikanermeister Ingold um das Jahr 1432 verfasste. Ingolds Interpretation des lateinischen Materials konzentrierte sich auf das Konzept der ecclesia ludens und bediente sich der bewährten religiösen Technik, das Spiel in spiritueller Hinsicht zu interpretieren. Sie entsprach den Erwartungen und Bedürfnissen religiöser Frauen und Männer, die die so genannte via perfectionis praktizierten, indem sie verschiedene Techniken der Imitation einsetzte.
Die letzte Sektion, "Religious Education in Transition", umfasst Beiträge, die sich auf Textmaterial aus der Zeit konzentrieren, in der der Buchdruck die Beziehungen zwischen Sprachen, Texten, Autoren und Lesern allmählich veränderte und sie Schritt für Schritt ihrer 'handschriftlichen' Komplexität beraubte. Andrea Radošević analysiert die so genannten Bücher des Seligen Bernhard, zwei spätmittelalterliche kroatische Übersetzungen des lateinischen Traktats Liber de modo bene vivendi ad sororem, das erste aus dem 15. Jahrhundert in glagolitischer Schrift, das zweite aus dem 16. Jahrhundert. Radošević liefert eine detaillierte semantische Analyse der glagolitisch-kroatischen Übersetzung, die durch die sorgfältige Auswahl theologisch aufgeladener Begriffe einen ausgefeilten Ansatz für die spirituelle Lehre liefert.
Einem ähnlichen diskursorientierten Ansatz für eine theologische Übersetzung begegnen wir in Tamás Karáths Analyse der Übersetzung und Adaption der Emendatio vitae durch Richard Rolle aus dem 15. Jahrhundert. Karáth erörtert die theologischen Veränderungen der spirituellen Lehre von Rolle, die von den Übersetzern, die Karáth als Interpreten versteht, sowie von den Lesern vorgenommen wurden - Lesern, die sowohl aus den Orden und dem Weltklerus als auch aus dem Laienmilieu stammten.
Der Beitrag von Takami Matsuda behandelt die Möglichkeiten, die sich aus der volkssprachlichen Übersetzung äußerst komplexer theologischer Themen wie etwa der Prädestination ergaben. Das Konzept wurde in einem der populärsten Werke der spätmittelalterlichen Andachtsliteratur, dem Elucidarium, einem Kompendium der christlichen Lehre, das gewöhnlich Honorius Augustodunensis zugeschrieben wird, ausgearbeitet. Obwohl das Hauptübersetzungsprinzip, das die einzelnen Autoren, Kopisten und Leser bei der Behandlung des Problems der Prädestination anwandten, klar auf Vereinfachung setzte, zeugen die einzelnen Texte dennoch von einem gewissen sprachlichen Ehrgeiz.
Naoë Kukita Yoshikawa untersucht das Boke of Gostely Grace und den Orchard of Syon, Bearbeitungen von Mechtchild von Hackeborns Liber specialis gratiae und Katharina von Sienas Dialogo. Bei beiden Werken handelt es sich um religiöse Texte für Nonnen in der Abtei Syon, einem der wichtigsten europäischen Zentren der volkstümlichen Theologie. Yoshikawa konzentriert sich auf die Lesernetzwerke, die sich um die Abtei von Syon bildeten und hauptsächlich aus Nonnen und ihren weiblichen Verwandten aus dem englischsprachigen Adel bestanden.
Schließlich analysiert Omar Khalaf die Dicts and Sayings of the Philosophers von Earl Rivers, eine der mittelenglischen Versionen einer ursprünglich arabischen und lateinischen Zusammenstellung von Sprichwörtern, Sprüchen und Lehren, die Philosophen und legendären Figuren der Vergangenheit zugeschrieben wurden. Das Werk, das in zahlreichen Fassungen und in vielen europäischen Sprachen vorliegt, war sehr populär und fand daher schnell Eingang in den Druck. Khalaf geht auf die zahlreichen Funktionen der frühen Inkunabeln und auf die textlichen und personellen Netzwerke ein, die im Zusammenhang mit der neuen Technologie entstanden waren.
Der vorliegende Sammelband unternimmt den Versuch, verschiedene religiöse oder pastorale Texte, die seit dem Spätmittelalter in die verschiedenen europäischen Umgangssprachen übersetzt wurden, kritisch zu untersuchen und dabei nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu suchen. Wenn wir uns auf die Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Texten konzentrieren, müssen wir nicht nur fragen, woher genau diese Ähnlichkeiten stammen, sondern auch, wie identische Autoren und/oder ähnliche theologische Materialien und sprachliche Mittel und Strategien von den einzelnen Übersetzern und Kompilatoren ausgewählt und organisiert wurden. Um diese Frage zu beantworten, müssen nicht nur die Autoren, sondern auch die Leser miteinbezogen werden, da auch letztere eine große Rolle bei der Produktion der betreffenden Texte spielen.
Spyridon P. Panagopoulos