Quinn Slobodian: Crack-Up Capitalism. Market Radicals and the Dream of a World Without Democracy, London: Penguin Books 2023, 336 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-0-241-46024-5, GBP 25,00
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Sein Vorschlag war ihm offensichtlich eine Herzensangelegenheit. "I do not too often blow my own trumpet", schrieb der damalige Schattenfinanzminister Geoffrey Howe an seine Parteichefin Margaret Thatcher im März 1979, "but on this point I really do believe we may have an opportunity of making a break-through". [1] Mit der Gelegenheit zum Durchbruch war ein Konzept der Enterprise Zones gemeint, das der prominente Oppositionspolitiker kurz vor den britischen Unterhauswahlen aufs Tapet brachte und in das Programm der Konservativen Partei aufgenommen sehen wollte. Im Austausch mit einflussreichen Vordenkern der später als Thatcherismus bezeichneten Sozial- und Wirtschaftspolitik wie Keith Joseph, Nicholas Ridley und John Biffen hatte Howe die Idee städtischer Sonderwirtschaftszonen konkretisiert, die auf den Geografen Peter Hall zurückging. Ihm schwebte vor, in vom Strukturwandel stark betroffenen Städten durch die Aufhebung staatlicher Restriktionen im Steuer-, Bau- und Arbeitsrecht in bestimmten Stadtteilen private Investitionen anzuziehen und so Wirtschaftsförderung zu betreiben.
Der beschriebene Vorschlag einer Enterprise Zone, den die neu gewählte Thatcher-Regierung im Londoner Bürogebäudekomplex Canary Wharf in den 1980er Jahren tatsächlich realisieren sollte, ist eine der elf Fallstudien, mit denen sich der kanadische Historiker Quinn Slobodian auseinandersetzt. Seine Monografie über Marktradikale und ihren Traum von einer Welt ohne Demokratie reiht sich in die seit der Finanz- und Eurokrise verstärkt erscheinenden Arbeiten zum Neoliberalismus ein. Sie wirkt wie eine Fortsetzung seines 2018 erschienenen Buches über die Genese und den Einfluss dieser politischen Theorie. [2] Schon bei den neoliberalen "Globalists" der Genfer Schule hatte Slobodian deren prononcierte Aversion gegenüber nationalistischen Demokratien konstatiert, weil sie den Kapitalismus mit seinen dynamischen Kräften bedrohten. Diese seit 1918 entwickelte und nach dem Zweiten Weltkrieg zum Grunddogma der Mont Pèlerin Society gewordene Auffassung greift er auch in "Crack-Up Capitalism" wieder auf - "neoliberal [...] thinkers of different shades [...] were united by the belief that capitalism had to be protected from democracy in the age of mass democracy". (20)
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Slobodian seinen Titel als eine Metapher für die aus seiner Sicht sinistere Strategie der von ihm untersuchten Akteure begreift, bei denen, soweit ersichtlich, außer vielleicht Thatcher ausschließlich Männer von Bedeutung sind. Der von ihnen praktizierte Kapitalismus ziele auf "punching holes in the territory of the nation-state, creating zones of exception with different laws and often no democratic oversight". (3) Dieser Kapitalismus breche also gezielt politisch-geografische Strukturen auf, weshalb Slobodian Zone als "an enclave carved out of a nation and freed from ordinary forms of regulation" (2) definiert. Innerhalb ihrer Grenzen seien die üblichen Steuerregelungen häufig ausgesetzt, damit die dort tätigen Investoren ihre eigenen Regeln aufstellen könnten.
Doch geht es Slobodian in seinem Buch offensichtlich nicht nur darum, mit Hilfe der aus der Geografie, Stadtplanung oder Politikwissenschaft entlehnten raumbezogenen Kategorie der Zone fruchtbar zu analysieren, wie fragmentiert Nationalstaaten im Inneren sein können, wenn sie kapitalistisch überformt sind. Seine These "the world of nations is riddled with zones (sic!)" (2) verbindet er mit dem Zusatz "and they define the politics of the present in ways we are only starting to understand". (2) Damit verweist er auf die zweite Intention seines Buches: Er versucht, eine umfassende Ideengeschichte derjenigen Libertären und Neoliberalen zu schreiben, deren politische Agenda darauf abzielt(e), die Idee der Zone als ein Instrument des freien Marktes zu etablieren, um diesen vor regulatorischen Zwängen zu schützen.
In "Crack-Up Capitalism" vertieft Slobodian den zentralen Befund aus seinem vorherigen Werk, indem er die verschiedenen Strömungen des Neoliberalismus weiter differenziert. Die "Globalists" strebten in der Nachkriegszeit regelbasierte internationale Ordnungen an, die keiner direkten demokratischen Kontrolle unterlagen und stattdessen von technokratischen Institutionen überwacht werden sollten. Hingegen sahen die seit circa 40 Jahren immer offensiver auftretenden Marktradikalen in jeglicher demokratischer Kontrolle entzogenen Zonen die Verheißung - Zonen als einzig dem freien Spiel der Marktkräfte unterworfene Enklaven. Darin spiegelt sich die Überzeugung des von ihm ausführlich behandelten Milton Friedman wider, dass der Kapitalismus am besten gedeihe, wenn es so viel wirtschaftliche Freiheit wie möglich gebe. Friedman zufolge könne politische Freiheit im Zweifelsfall sogar ein Hindernis für wirtschaftliche Freiheit sein, da Demokratien wegen ihrer konstitutiven Wahlen in der Gefahr stünden, das freie Unternehmertum einzuschränken, um irrationale Forderungen der Bevölkerung aus Gründen des Machterhalts zu erfüllen. Aus dieser Sicht wäre die beste Regierungsform ein Territorium, das nach den gleichen Prinzipien wie ein Unternehmen geführt würde.
Diesen in der Form von Zonen organisierten Territorien folgt Slobodian um den gesamten Globus. Weithin bekannte Stadtentwicklungsprogramme wie das bereits erwähnte Canary Wharf in London oder Hudson Yards in New York City, aber auch Projekte von Stadtstaaten wie Dubai, Singapur und Hongkong bilden den Auftakt seiner plastisch beschriebenen Beispiele. Im Verlauf des Buches werden diese immer exotischer. Sie reichen vom libertären Enthusiasmus für die Selbstfragmentierung Südafrikas in "Bantustans" bis zur ideologischen Konvergenz zwischen Anarchokapitalisten und Neokonföderierten im Süden der USA. Ein weiteres faszinierendes Beispiel ist das vom US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Paul Romer für Honduras forcierte Konzept der Charter Cities, die als Kolonialismus für das 21. Jahrhundert angekündigt wurden und die Milton Friedmans Enkel Patri ausdrücklich befürwortete.
Am Beispiel Hongkongs gelingt es Slobodian auf besonders instruktive Weise, die beiden Intentionen des Buches miteinander zu verknüpfen. Die britische Kronkolonie war in den 1970er Jahren "a small territory with little or no democracy", das mithilfe eines "captive market through maximal economic openness and the rising value of scarce land" (37) zu einem der wachstumsstärksten Finanz- und Wirtschaftsstandort der Welt geworden war. Friedman pries Hongkong unter anderem in seinem von einer Fernsehserie begleiteten Buch "Free to Choose: A Personal Statement" als universelle Version für die Zukunft. Der Ökonom argumentierte dabei, dass gerade das Fehlen politischer Freiheit in Hongkong ein hohes Maß wirtschaftlicher Freiheit und damit Wohlstandsgewinne ermöglicht habe. [3] Für viele Regierungen westlicher Demokratien war Hongkong dennoch explizit ein Vorbild.
Dem Eindruck des großen Lesevergnügens, den diese innovative, überraschende und lehrreiche Studie des hervorragend schreibenden Autors hinterlässt, stehen inhaltliche Fragen gegenüber, die am Ende der Lektüre offenbleiben müssen. Aus historischer Perspektive bedeutsam ist vor allem die nach den Ursprüngen des Konzepts Zone und damit verbunden die Frage, ob die Idee tatsächlich eine Erfindung neoliberaler Denker war und, wie Slobodian insinuiert, nur negative Folgen zeitigte. Zu denken wäre beispielsweise an die seit dem 17. Jahrhundert verstärkt entstehenden Freihäfen.
Anmerkungen:
[1] Sir Geoffrey Howe an Margaret Thatcher, 12.03.1979, Churchill Archives Centre, Thatcher MSS (2/1/3/9), online verfügbar unter: https://www.margaretthatcher.org/document/109819 [29.08.2024].
[2] Quinn Slobodian: Globalists. The End of Empire and the Birth of Neoliberalism, Cambridge, Mass. 2018.
[3] Quinn Slobodian: Democracy Doesn't Matter to the Defenders of "Economic Freedom", The Guardian, 11. November 2019.
David Irion