Rezension über:

Jürgen Jablinski: Vom Pfand zum Amt. Vormoderne Staatsbildung in der Grafschaft Ravensberg 1428-1556 (= Studien zur Regionalgeschichte; Bd. 27), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2023, 280 S., ISBN 978-3-7395-1327-0, EUR 59,00
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Rezension von:
Wilfried Reininghaus
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Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Wilfried Reininghaus: Rezension von: Jürgen Jablinski: Vom Pfand zum Amt. Vormoderne Staatsbildung in der Grafschaft Ravensberg 1428-1556, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 10 [15.10.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/10/38050.html


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Jürgen Jablinski: Vom Pfand zum Amt

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Die Grafschaft Ravensberg im nordöstlichen Westfalen fiel 1428 an die Herzöge von Jülich-Berg und gehörte seit 1521 mit Kleve-Mark zum mächtigsten Herrschaftskomplex im Nordwesten des Reiches. Vor diesem Hintergrund ist die 2017 in Bielefeld angenommene Dissertation einzuordnen, deren Leitfrage der lokalen Herrschaftsorganisation in diesem Territorium gilt. Das Jahr 1556 setzt den Schlusspunkt, weil in jenem Jahr im "Ravensberger Urbar" der ländliche Besitz in der Grafschaft und die darauf lastenden Abgaben umfassend dokumentiert wurden. [1] Darin zeigt sich eine völlig veränderte Struktur der Landesverwaltung. 1428 beruhte sie nicht auf Ämtern, sondern auf Landesburgen, die an Adlige verpfändet waren. Jablinski stellt deshalb die erste Phase seines Untersuchungszeitraums unter die plausible Überschrift "Pfand ohne Amt". Er untersucht, wie fünf Landesburgen durch Herrschaftspfandverträge vergeben wurden. Übertragen wurden die Burgen "mit allem Zubehör an Land und allen Untertanen einschließlich der zugehörigen Besitz- und Rechtstitel zum Zweck der Herrschaftsausübung" (47). Dahinter stand ein Raumkonzept, das die gesamte Fläche der Grafschaft umfasste, die damit nicht wie andere kleine Herrschaften in Westfalen "für immer von der Landkarte verschwanden" (50).

1470 begann die Abkehr von dieser Politik. Die Initiative ging vom Adel und von den Städten aus, die nach einem Instrument gegen die Fehden suchten. Auslaufende Pfandverträge boten die Chance zur Neugestaltung, obwohl die Vermengung von Pfandschaften und Krediten an den Landesherren die Ablösung erschwerte. Die Vergabe der Burg Sparrenberg an Graf Philipp II. von Waldeck markierte 1490 eine Wende, weil dieser zugleich als Statthalter des Landesherrn fungierte. Eine Landesvisitation leitete 1535 eine weitere Etappe der Entwicklung ("Amt ohne Pfand") ein. Das vergrößerte Herrschaftsgebiet verlangte eine Reduzierung der fürstlichen Präsenz in den einzelnen Teilgebieten und nach Lösungen, um dennoch Ansprüche gegen die Untertanen durchzusetzen. In der Fläche entstanden Bezirke mit den Landesburgen im Zentrum, denen Amtleute vorstanden. An der Spitze der Lokalverwaltung stand nun Matthias Aldenbochum, der gleich zwei Ämtern vorstand. Darunter agierten Rentmeister, Landschreiber und Vögte. Prägend war nun eine Schriftlichkeit, durch die eine Kontrolle obrigkeitlicher Normen möglich wurde. Erst jetzt bildeten sich feste Grenzen heraus sowie neue Sicherheitskonzepte im Zeichen des Geldrischen Kriegs 1543 (u.a. durch Ausbau der Sparrenburg zur Festung). Auch die Finanzen des Landes mussten neu geordnet werden; heraus kam ein Mischsystem von Steuern und Krediten. Dies wiederum forderte den Adel heraus, der die Intentionen des Landesherrn nicht ohne Vorbehalte unterstützte.

Jablinskis Arbeit besticht sowohl durch präzise Fragestellungen als auch durch detaillierte Auswertung einer Aktenserie, die in der Düsseldorfer Kanzlei unter dem Titel "Allerlei ravensbergische Sachen und Händel daran gelegen" zwischen 1535 und 1559 entstand. An der Teiledition dieser Akten war er 1997 selbst beteiligt. [2] So gelingt es ihm, den fließenden Wandel der Lokalverwaltung zwischen dem mittleren 15. und dem mittleren 16. Jahrhundert zu charakterisieren. Jablinski nennt dies einen Übergang zur vormodernen Staatlichkeit; die Pfandherrschaft war ein Vorlauf. Die Epochenzugehörigkeit dieses Prozesses diskutiert er u.a. in der Zusammenfassung (S. 217-220). Ob es sich dabei um einen Weg "in die Moderne" (222) handelt, bliebe noch zu erörtern. "Modern" bzw. "vormodern" sind in mehreren Kontexten unterschiedlich besetzt. Diese Unschärfe überrascht ein wenig bei einem Autor, der souverän die ältere Auffassungen von Amtleuten u.a. begriffsgeschichtlich widerlegt (S. 40f., 123f.). Zudem hätte die Prosoprographie der nach 1470 tätigen hohen Beamten mehr Beachtung verdient. Der aus der nördlichen Grafschaft Mark stammende Aldenbochum und auch Philipp von Waldeck bleiben im Vergleich zu den adligen Inhabern der Landesburgen vor 1470 blass. In der Summe kann jedoch kein Zweifel an der hohen Qualität dieser Arbeit bestehen, die nicht nur Forschungen zur Grafschaft Ravensberg, sondern auch zur vergleichenden Landesgeschichte neue Impulse gibt.


Anmerkungen:

[1] Franz Herberhold (Bearb.): Das Urbar der Grafschaft Ravensberg, Teil 1: Text. Münster 1960; Teil 2: Register, Münster 1981.

[2] Wolfgang Mager / Petra Möller unter Mitarbeit von Jürgen Jablinski (Bearb.): Das Urbar der Grafschaft Ravensberg von 1556. Teil 3: Ergänzende Quellen zur Landes- und Grundherrschaft in Ravensberg (1535-1559), Münster 1997.

Wilfried Reininghaus