Rezension über:

Oliver Mayer-Simmet / Thomas Heiland: "Open Educational Resources" im Geschichtsunterricht. Studienkurs mit Lehr-Lern-Material, Stuttgart: UTB 2023, 106 S., ISBN 978-3-8252-5616-6, EUR 19,90
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Rezension von:
Sven Neeb
Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Sven Neeb: Rezension von: Oliver Mayer-Simmet / Thomas Heiland: "Open Educational Resources" im Geschichtsunterricht. Studienkurs mit Lehr-Lern-Material, Stuttgart: UTB 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 11 [15.11.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/11/37456.html


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Oliver Mayer-Simmet / Thomas Heiland: "Open Educational Resources" im Geschichtsunterricht

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Die zunehmende Digitalisierung des Bildungswesens stellt für den Geschichtsunterricht sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance dar. Offene Lehr- und Lernmaterialien, die als Open Educational Resources (OER) bezeichnet werden, bieten beachtliche Potenziale für die Gestaltung eines qualifizierten und individualisierten historischen Lernens. Gleichzeitig birgt der unreflektierte Einsatz frei zugänglicher Materialien nicht unerhebliche Risiken. Die Monographie "Open Educational Resources" im Geschichtsunterricht von Oliver Mayer-Simmet und Thomas Heiland (2023) leistet in diesem Kontext einen wichtigen Beitrag zur didaktischen Qualifizierung angehender Geschichtslehrkräfte im Umgang mit OER. Sie zeigt auf, wie die systematische Analyse und Bewertung dieses Medientyps anhand fachspezifischer Qualitätskriterien gelingen und wie OER in Konzeption und Gestaltung eines heterogenitätssensiblen Geschichtsunterrichts integriert werden können.

Die Autoren plädieren dafür, OER nicht als "Allheilmittel" zu betrachten, sondern ihre Potenziale und Grenzen kritisch zu reflektieren. Dabei stellen sie den engen Zusammenhang zwischen der Qualität von Unterricht und der Qualität der verwendeten Lehr-Lernmittel in den Mittelpunkt. Mayer-Simmet und Heiland argumentieren überzeugend, dass OER aufgrund ihrer offenen Lizenzierung und ihrer hohen Adaptionsfähigkeit eine Schlüsselrolle bei der Individualisierung und Differenzierung des historischen Lernens spielen können. Sie bieten Lehrkräften die Möglichkeit, Materialien an die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Interessen und Lernstile ihrer Schülerinnen und Schüler anzupassen, und ermöglichen so die Berücksichtigung der vielfältigen geschichtsunterrichtlichen Heterogenitätsdimensionen, die beispielsweise durch nationale, kulturelle und religiöse Unterschiede determiniert werden.

Besonders hervorzuheben ist die theoretische Fundierung der Arbeit. Die Autoren verorten ihre Argumentation im aktuellen Forschungsdiskurs zur Qualität von Lehr-Lernmitteln und greifen dabei auf etablierte Kompetenzmodelle, wie das von Baumert & Kunter [1], zurück. Sie veranschaulichen anhand der Analyse von Portfoliosegmenten aus dem begleitenden Studienkurs, dass angehende Lehrkräfte zu Beginn ihres Studiums die Qualität von OER häufig nur oberflächlich anhand technischer und praktischer Kriterien beurteilen. Am Ende des Kurses jedoch, nachdem sie sich intensiv mit didaktischen Qualitätskriterien auseinandergesetzt haben, rücken pädagogische und geschichtsdidaktische Aspekte in den Vordergrund. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer gezielten Förderung der Analysekompetenz angehender Lehrkräfte im Umgang mit OER und die Relevanz der Monographie für die Lehramtsausbildung im Fach Geschichte.

Mayer-Simmet und Heiland betonen weiterhin die Bedeutung des Geschichtsbewusstseins als zentrale Ziel- und Ausgangskategorie des Geschichtsunterrichts und stellen verschiedene Modelle desselben vor. Sie argumentieren, dass OER, die ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein fördern, die Perspektivenvielfalt in historischen Lernprozessen berücksichtigen und die Bedeutung von Geschichtskultur thematisieren müssen.

Die Autoren stellen zudem verschiedene Prinzipien eines didaktisch qualifizierten Geschichtsunterrichts vor, darunter die Lebensweltorientierung, die Wissenschaftsorientierung, die Multiperspektivität und die Alterität. Diese Elemente, die auch eng mit dem Heterogenitätsgedanken verknüpft sind, bilden die Grundlage für die von den Autoren vorgeschlagene, fachspezifische Ergänzung des "Augsburger Analyse- und Evaluationsrasters für analoge und digitale Bildungsmedien" (AAER). [2] Das AAER, welches im Rahmen des Projekts "Bildungsmedien Online" an der Universität Augsburg entwickelt wurde, wird detailliert erläutert und auf seine Potenziale und Limitationen in Bezug auf die Analyse und Bewertung von OER untersucht. Mayer-Simmet und Heiland modifizieren das AAER durch sieben geschichtsdidaktische Dimensionen mit dazugehörigen Items und Indikatoren, die die spezifische Qualität von OER für den Geschichtsunterricht erfassen.

Die Publikation ist aber nicht primär als theoretische Abhandlung konzipiert, sondern vielmehr als handlungsorientierter Studienkurs, der Lehramtsstudierende des Faches Geschichte auf die Analyse und Bewertung von OER im Rahmen einer transparenten Theorie-Praxis-Korrelation vorzubereiten beabsichtigt. Dabei wird einem modularen Bausteinprinzip mit fünf thematischen Elementen gefolgt, die jeweils theoretische Grundlagen mit praktischen Anwendungsbeispielen verbinden.

Die Handreichung ist in einem klaren und verständlichen Stil verfasst. Die Autoren nutzen eine präzise Fachsprache und erläutern komplexe Sachverhalte in nachvollziehbarer Art und Weise. Die zahlreichen Praxisbeispiele, die aus dem Studienkurs und aus der OER-Landschaft stammen, veranschaulichen die theoretischen Ausführungen und machen die Relevanz für die Unterrichtspraxis deutlich.

Allerdings wird dabei die Frage der Nachhaltigkeit digitaler Angebote und der damit verbundenen technischen Herausforderungen nur kursorisch behandelt und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Nutzung und Bearbeitung von OER hätten ausführlicher und differenzierter entfaltet werden können.

Insgesamt stellt das Werk von Mayer-Simmet und Heiland einen wertvollen Beitrag zur Professionalisierung angehender Geschichtslehrkräfte im Umgang mit OER dar. Es ist jedoch nicht nur für Lehramtsstudierende sowie für Referendarinnen und Referendare interessant und hilfreich, sondern auch für bereits praktisch tätige Dozierende und Lehrkräfte relevant. Die Handreichung bietet eine solide Grundlage für die praxisorientierte Auseinandersetzung mit OER in historischen Lernprozessen und liefert darüber hinaus wertvolle Impulse für die Gestaltung eines zeitgemäßen und heterogenitätssensiblen Geschichtsunterrichts.


Anmerkungen:

[1] Jürgen Baumert / Mareike Kunter: Das Kompetenzmodell von COACTIV, in: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV, hgg. von Mareike Kunter / Jürgen Baumert / Werner Blum / Uta Klusmann / Stefan Krauss / Michael Neubrand, Münster 2011, 29-53.

[2] Carl-Christian Fey / Eva Matthes (Hgg.): Das Augsburger Analyse- und Evaluationsraster für analoge und digitale Bildungsmedien (AAER). Grundlegung und Anwendungsbeispiele in interdisziplinärer Perspektive, Bad Heilbrunn 2017.

Sven Neeb