Fei He: Die Wirtschaftsbeziehungen der BRD mit der VR China. 1949 bis zur chinesischen Reform- und Öffnungspolitik (= Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte; Beiheft 32), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2023, XII + 266 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-124549-2, EUR 99,95
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Im Unterschied zur Gegenwart waren die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik China in den Jahren 1949 bis 1978 noch wenig entwickelt. Dem entspricht ein für diese Zeit ausgesprochen defizitärer Forschungsstand. In diese Lücke stößt Fei He mit einer Dissertation, die sich für die chinesische Seite auf die Kommunalarchive Shanghais und Beijings und für die deutsche auf die Bestände des Bundeswirtschaftsministeriums im Bundesarchiv, die Akten des Auswärtigen Amts und eine Reihe von Unternehmens- und Bankenarchiven stützt. Dabei geht es insbesondere um den Zusammenhang zwischen den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Etwas bemüht wirkt die in der Einleitung ausgebreitete Rollentheorie bei der Analyse der internationalen Beziehungen, die Fei He auch auf die westdeutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen anwenden möchte.
In der chronologisch gegliederten Arbeit geht es zunächst um die Jahre 1949 bis 1952. Die Allianz mit der Sowjetunion, die China auch wirtschaftlich unterstützte, prägte diese Zeit genauso wie der Kurswechsel in Richtung Sozialismus. Das und der gleichzeitige Kalte Krieg, verschärft in Ostasien durch den Korea-Krieg (1950-1953), waren keine guten Ausgangsbedingungen für den beiderseitigen Handel. Dennoch kam es zu ersten Kontaktaufnahmen zwischen deutschen Unternehmen und einer chinesischen Delegation auf der Moskauer Weltwirtschaftskonferenz von 1952. Wegen komplizierter Zahlungsbedingungen, eines westlichen Embargos gegen China und der dortigen ökonomischen Ungewissheiten waren zunächst nur wenige westdeutsche Firmen am Handel mit China beteiligt.
Wenngleich beide Seiten in der nächsten Phase (1953-1957) stärker am Handel mit dem jeweils anderen interessiert waren, konnte erst 1957 ein semi-staatliches Abkommen zwischen dem (seit 1952 bestehenden) Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und der staatlichen chinesischen Handelsorganisation abgeschlossen werden. Denn das von China und Teilen der deutschen Industrie angestrebte staatliche Wirtschaftsabkommen wurde von der Bundesrepublik mit Verweis auf die Hallstein-Doktrin abgelehnt (da Beijing diplomatische Beziehungen mit Ost-Berlin unterhielt). In dem Jahr nach dem Vertragsabschluss kam es fast zu einer Verdreifachung des Handelsvolumens (von 371 Mio. DM auf 927 Mio. DM).
Die Jahre 1958 bis 1965 waren von großen Schwankungen in den Wirtschaftsbeziehungen geprägt, insbesondere aufgrund der chinesischen Wirtschaftspolitik, die mit dem "Großen Sprung nach vorn" eine rasche Industrialisierung und völlige Unabhängigkeit von der Sowjetunion anstrebte. Dass dieser in einer gigantischen Katastrophe mit 27 bis 30 Millionen Toten endete, erwähnt Fei He zwar nicht, aber sehr wohl, dass sich dadurch die Beziehungen zur Sowjetunion verschlechterten, die 1960 ihre Entwicklungsberater abzog. Erneute Verhandlungen der westdeutschen mit der chinesischen Seite über ein staatliches Handelsabkommen scheiterten, obwohl China nach einigem Hin und Her sogar die Berlin-Klausel akzeptierte, weil die US-Regierung dies nicht für opportun hielt. Auch ohne Handelsvertrag verbesserten sich die Handelsbeziehungen zu China 1965 wieder, da die chinesische Seite bereit war, weiter mit der Bundesrepublik zu verhandeln und letztere Bundesbürgschaften für eine Reihe größerer Aufträge gewährte. Dazu trug auch Druck aus der deutschen Wirtschaft bei, die in China nicht gegenüber Frankreich, das 1964 diplomatische Beziehungen aufnahm, ins Hintertreffen geraten wollte.
Zwei Ereignisse beeinflussten die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen in der folgenden Phase (1966-1971) erheblich: die chinesische Kulturrevolution verbunden mit einer strengen Autarkiepolitik auf der einen und eine erste Rezession in der Bundesrepublik auf der anderen Seite. Beides führte dazu, dass das westdeutsch-chinesische Handelsvolumen, das 1966/67 noch einmal zugelegt hatte, ab 1968 zurückging. Mit den Ussuri-Zwischenfällen vom März 1969, die den Höhepunkt des sowjetisch-chinesischen Konflikts markierten, änderte sich indes die politische Gesamtsituation: Auf der einen Seite kam es zu einer Annäherung Chinas an die Vereinigten Staaten, die die Beschränkungen in ihrem China-Handel lockerten. Auf der anderen Seite führte dies dazu, dass sich die Sowjetunion gegenüber dem Westen, insbesondere der Bundesrepublik, konzilianter gab, so dass nun die Voraussetzungen für die Neue Ostpolitik gegeben waren - ein Zusammenhang, der von Fei He so nicht gesehen wird. Im Zuge der Neuen Ostpolitik war die Regierung Brandt-Scheel indes darauf bedacht, zunächst die Verträge mit der Sowjetunion, Polen und der DDR abzuschließen, bevor sie sich dem Fernen Osten zuwandte. Die westdeutsche Wirtschaft, die sich gegenüber den Vereinigten Staaten und anderen westeuropäischen Staaten auf dem chinesischen Markt benachteiligt sah, drängte die Bundesregierung indes, die Rahmenbedingungen für den Handel mit China zu verbessern, was die Aufnahme diplomatischer Beziehungen einschloss.
Als nach der Ratifizierung der Verträge Bonns mit Moskau und Warschau 1972 die Bundesrepublik und China im Oktober desselben Jahres diplomatische Beziehungen aufnahmen, fiel auch eine wichtige Barriere für die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen. Zwei Monate später folgte der Abschluss eines westdeutsch-chinesischen Handels- und Zahlungsverkehrsabkommens, und die Bundesregierung liberalisierte den Import aus China. Auch das westdeutsche Exportvolumen nach China stieg 1973 um etwa 50 Prozent und betrug im Jahr 1974 erstmals über eine Mrd. DM. 1976 wurde zwischen beiden Staaten eine Wirtschaftskommission eingerichtet, und die Handelsbeziehungen normalisierten sich zusehends. Nun begannen die Reisen großer Wirtschaftsdelegationen nach China, und in Beijing fand 1975 die TECHNOGERMA statt, die erste ausschließlich der westdeutschen Industrie gewidmete Wirtschaftsmesse. Die Wirtschaftsbeziehungen nahmen einen vorher ungeahnten Aufschwung. Die Exporte aus der Bundesrepublik stiegen, die Exporte aus China nicht im gleichen Maße, so dass es zu einem chinesischen Handelsdefizit kam, was auch damit zusammenhing, dass die deutschen Preise relativ hoch waren. Auch nachdem die Machtkämpfe an der Spitze Chinas nach dem Tode Maos 1976 beendet worden waren, gab es weiter Probleme im bilateralen Wirtschaftsaustausch: So war die chinesische Seite nicht bereit, Erdöl in die Bundesrepublik zu exportieren, und sie war bestrebt, "technisches Know-how möglichst kostenlos auf dem Wege des Erfahrungsaustauschs [zu] erwerben" (212), statt Lizenzverträge abzuschließen. Hinzu kamen für deutsche Firmen ungünstige Kreditbedingungen und Wechselkursrisiken. Trotz all dieser Probleme galt China schon Mitte der 1970er Jahre für deutsche Unternehmer als "Markt der Zukunft" (229).
In der hier besprochenen Arbeit kommt Fei He zu dem wenig überraschenden Schluss, dass die Wirtschaftsbeziehungen beider Staaten vor allem von der Entwicklung der Ost-West-Beziehungen abhängig waren. Die These, dass die wechselseitige Abhängigkeit der beiden Länder infolge der verbesserten Wirtschaftsbeziehungen zunahm, trifft auf den Untersuchungszeitraum aufgrund des viel zu geringen Handelsvolumens noch nicht zu. Interessant ist allenfalls die Erkenntnis, dass die "pragmatische, aber vorsichtige Außenwirtschaftspolitik [...] der VR China dabei [half], die Krise der sozialistischen Welt in den achtziger Jahren zu 'überleben'" (250). Denn anders als die osteuropäischen Staatshandelsländer habe sich China "nicht in die Abhängigkeit ausländischer Gläubiger [...] begeben" und dem Eigenbedarf von Erdöl und Steinkohle Priorität gegenüber dessen Export eingeräumt (250).
Die weitgehend deskriptive Arbeit von Fei He bietet zwar einen ersten Einstieg in die Geschichte der westdeutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen zwischen 1949 und 1978. Sie wird allerdings dadurch beeinträchtigt, dass eine Reihe von Behauptungen zur westdeutschen Außenpolitik unklar bleibt - so etwa dass Adenauer mit seiner Formel "'Wiedervereinigung durch Westintegration' [...] nicht gegen den Strom des Antikommunismus zu Beginn der 50er Jahre schwimmen" konnte (34) - was überhaupt nicht in seinem Interesse lag. Außerdem entsteht stellenweise der Eindruck, als habe sich Fei He von dogmatischen chinesischen Positionen nicht gelöst, beispielsweise wenn der Eintritt Chinas in den Koreakrieg 1950 auf das "Bedrohungsgefühl wegen der US-Flotte und des Angriffs auf Nordkorea" zurückgeführt wird (28), ohne die sowjetische und chinesische Billigung der nordkoreanischen Aggression gegen den Süden überhaupt zu erwähnen. Es befremdet ein wenig, solche Sätze in einer an einer deutschen Universität eingereichten Dissertation zu finden.
Hermann Wentker