Alexandra Anisie / Monica Brinzei / Luciana Cioca et al. (a cura di): Iacobi de Altavilla. Lectura in libros Sententiarum. Tomvs I. Principivm Qvestiones 1-6 (Prologvs et QQ. 1-4 Libri Primi) (= Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis; 312), Turnhout: Brepols 2024, CXXXII + 380 S., ISBN 978-2-503-60725-2, EUR 425,00
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Reginald of Durham: The Life and Miracles of Saint Godric, Hermit of Finchale. Edited and Translated by Margaret Coombe, Oxford: Oxford University Press 2022
Franz-Reiner Erkens: Sachwalter Gottes. Der Herrscher als christus Domini, vicarius Christi und sacra majestas. Gesammelte Aufsätze. Zum 65. Geburtstag herausgegeben von Martin Hille, Marc von Knorring, Hans-Christof Kraus. Unter Mitarbeit von Andreas Fohrer, Berlin: Duncker & Humblot 2017
Wer im Mittelalter an einer der theologischen Fakultäten des Abendlands Karriere machen wollte, kam an ihnen nicht vorbei: den "Sentenzen" des Petrus Lombardus, deren Kommentierung von jedem angehenden magister theologiae verlangt wurde. Die vier Bücher der Sentenzen - immerhin "das" mittelalterliche Standardwerk in systematischer Theologie - gehören zu den wirkmächtigsten Texten des späten Mittelalters. Ihre Bedeutung kann (nicht zuletzt aufgrund ihrer Omnipräsenz) kaum überschätzt werden. Obwohl die Fülle an erhaltenen Sentenzenkommentaren fast schon erdrückend groß zu nennen ist, haben doch lediglich fünf Kommentare zisterziensischer Provenienz die Zeitläufte überdauert. Es sind dies diejenigen von Jean de Mirecourt (1344/45), Pierre Ceffons (1348/49), Gottschalk von Pomuk (1366/67), Konrad von Ebrach (1369/70, 1376/77) und Jakob von Eltville (1369/70).
Ein groß angelegtes, am Pariser Institut de recherche et d'histoire des textes und der Babeş-Bolyai-Universität im rumänischen Klausenburg angesiedeltes Forschungsprojekt zielt auf die Edition der Lectura in libros Sententiarum aus der Feder des Jakob von Eltville ab, genauer: auf die Edition des Kommentars zum ersten Buch von Petrus Lombardus' einflussreicher Schrift. Drei Bände sind geplant, der erste liegt nun vor. Er umfasst das Principium, zwei Quaestiones zum Prolog und die ersten vier Quaestiones des ersten Buches.
Jakob, über dessen Vita nur wenig bekannt ist, wurde im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts in Eltville im Rheingau geboren. [1] Er trat bei den Zisterziensern in Eberbach ein und wurde zum Studium nach Paris entsandt. Von dort kehrte er um 1372 nach Hause zurück, um als Abt seines Heimatklosters zu amtieren. Zuvor war er zum magister theologiae promoviert worden. Frucht seiner akademischen Tätigkeit an der Seine war der Sentenzenkommentar, der heute noch in 23, über ganz Europa verstreuten Handschriften überliefert ist. Jakob von Eltville hatte diese Sentenzen im akademischen Jahr 1369/70 "gelesen". Und was er der gebildeten Pariser Universitätsöffentlichkeit präsentierte, war ebenso reichhaltig wie umfangreich. Der Mönch aus Eltville legte damit ein Zeugnis von der geistigen Spann- und Leistungskraft der Zisterzienser ab, die in Paris mit ihrem Collège des Bernardins über eine hochangesehene Studienstätte verfügten.
Welche Beweggründe haben nun die Herausgeber der vorliegenden Edition dazu veranlasst, sich dieses Monstertextes anzunehmen und in intellektueller Kärrnerarbeit eine kritische Edition zu erstellen? In der Einleitung (IX-CIX) werden sechs Gründe präsentiert: 1. Es handelt sich um die erste gedruckte kritische Edition eines zisterziensischen Sentenzenkommentars überhaupt, entstanden im "golden age of Cistercian theology" (XIV); 2. Die Edition zeugt vom großen Einfluss, den Theologen aus dem Kreis der Augustinereremiten auf die "weißen Mönche" ausübten; 3. Sie gibt Einblick in die "bricolage textuel", den Rückgriff auf umfangreiche Zitatschleppen, den Jakob bei der Abfassung des Kommentars pflegte, und verdeutlicht 4. den Transfer gelehrten Wissens auf den Achsen Oxford-Paris und Paris-Mitteleuropa. Die Edition erweitert 5. das Wissen um die Präsenz deutscher Gelehrter in Paris und deren Bedeutung bei der Gründung der Theologischen Fakultäten in Wien, Prag, Köln, Erfurt, Heidelberg und Krakau und rückt 6. einiges an historiographischer Verwirrung zurecht, indem gezeigt wird, dass die sogenannte Lectura Eberbachensis nichts anderes ist als die Lectura des Eberbachensis, eben Jakobs von Eltville.
Für den Kommentar des ersten Buches existiert eine einzige Handschriftenredaktion. Dieser Befund wird ausgehend von einer minutiösen Beschreibung der einschlägigen Codices hergeleitet (XXIV-LXVI). Für eine erste inhaltliche Orientierung bietet sich ein Blick auf die Tabula quaestionum an, in der die einzelnen Distinctiones samt der ihnen zugewiesenen Quaestiones nicht nur im Wortlaut abgedruckt, sondern auch auf ihr Vorkommen in den Handschriften befragt werden (LXVIII-LXXXI). 19 Handschriften überliefern den Text vollständig (13) bzw. in Auszügen (6). Kollationiert wurden - gleichsam als Probelauf für die Gesamtedition - sämtliche Handschriften, wobei es insbesondere die Schreiberversehen per homoeoteleuton waren, die den Weg hin zu einem aussagekräftigen Stemma und damit zu denjenigen Handschriften wiesen, die die Grundlage des Editionstextes bilden sollten. Den Herausgebern ist unbedingt zuzustimmen: "Combined with the traditional complete collation of selected sections, this quick search for large additions and omissions would make critically editing long and widely disseminated scholastic works more manageable. " (LXXXVI). [2]
Die ratio edendi, dargelegt auf einigen ausgesprochen lesenswerten Seiten (CII-CIX), hatte unterschiedlichen Vor- und Maßgaben Rechnung zu tragen. Bei Editionen solchen Umfangs, tausende von Seiten zählend und in einer Vielzahl von Textzeugen überliefert, müssen praktisch-pragmatische Erwägungen eine zentrale Rolle spielen. Zentral ist die Beschränkung des kritischen Apparats auf ein Minimum. Doch wie wird man dabei legitimen Anforderungen beispielsweise von Historikern gerecht, die aus dem apparatus criticus wertvolle Informationen etwa zur Rezeptionsgeschichte des Textes ziehen wollen? Die Antwort der Editoren erscheint einfach - "often a middle ground seems best" (CII) -, verschleiert jedoch das Ausmaß an editorischer Vorbildung und Erfahrungswissen, die nötig sind, um solcherart Entscheidungen treffen, den "goldenen Mittelweg" überhaupt finden zu können.
Der im vorliegenden Fall eingeschlagene Weg zur Entscheidungsfindung, d.h. zur Reduktion der für die Edition maßgeblichen Handschriften, wird für den Leser unmittelbar einsichtig rekonstruiert - und überzeugt auf breiter Linie. Übrig blieben zwei Handschriften, heute in Erfurt (Universitätsbibliothek, Dep. Erf., CA F. 118, fol. 1ra-98ra) und Saint-Omer (Bibliothèque d'agglomération, 158, fol. 1ra-195rb) verwahrt. Der apparatus criticus vermerkt dabei nicht allein die Stellen, in denen die Lesarten der beiden Handschriften divergieren. Mitberücksichtigt wurden fünf weitere Handschriften. Der auf dieser Grundlage erstellte Apparat hält deshalb all diejenigen Informationen bereit, die auch von rezeptionsgeschichtlichem Interesse sind. Ein zweiter Apparat (apparatus fontium) weist die Quellen nach, aus denen Jakob bei der Abfassung seines Kommentars schöpfte.
Als Solitär erscheint allein das Principium, das anonym unikal in einer Jenaer Handschrift überliefert ist (Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, El. F. 47) und dessen Zuweisung an Jakob von Eltville als Verfasser jüngst nachgewiesen werden konnte.
Monica Brînzei charakterisiert Principia im Allgemeinen als "potential gold mine that could provide some surprising findings" [3], aussagekräftig insbesondere in Hinblick auf die Offenlegung akademischer Netzwerke. Im Falle des vorliegenden Principium, in dem die Frage, utrum Deus ad quamlibet speciem entis creabilis se habens distanter infinte in aliqua specie intellectuali a nobis nominari possit quidditative behandelt wird, richtet sich der Blick etwa auf einige Pariser Gelehrte wie Johannes de Deodona, mit deren wissenschaftlichen Standpunkten sich Jakob auseinanderzusetzen hatte.
Ein Blick in den Index der Autoritäten (348-373) zeigt, in welch hohem Maße sich Jakob von Eltville dem verbunden fühlte, was die den Augustinereremiten verbundenen Thomas von Straßburg, Gregor von Rimini, Alphonsus Vargas von Toledo oder Hugolino von Orvieto bereits zuvor erarbeitet und veröffentlicht hatten.
Die Editoren schließen ihr Vorwort mit einem bescheidenen Wunsch: Editoribus detur bonum vinum. Der Rezensent hofft, dass dies inzwischen geschehen ist. Verdient hätten sie es.
Anmerkungen:
[1] Licht in so manches biographische Dunkel bringt folgender Sammelband: Monica Brînzei / Christopher Schabel (eds.): The Cistercian James of Eltville (†1393). Author in Paris and Authority in Vienna (Studia Sententiarum; 3), Turnhout 2018.
[2] Vgl. hierzu unbedingt auch Monica Brînzei / Chris Schabel: Critically Editing a So-Called "Sentences Commentary", in: Sicut dicit. Editing Ancient and Medieval Commentaries on Authoritative Texts, ed. by Shari Boodts / Pieter de Leemans / Stefan Schorn, Turnhout 2020, 243-271.
[3] Monica Brînzei: When Theologians play Philosopher. A Lost Confrontation in the Principia of James of Eltville and his Socii on the Perfection of Species and its Infinite Latitude, in: The Cistercian James of Eltville (†1393). Author in Paris and Authority in Vienna, ed. by Monica Brînzei / Christopher Schabel, Turnhout 2018, 43-78, hier 44.
Ralf Lützelschwab